zur
startseite
zum
archiv
The
Last Movie
Samuel Fuller, Regisseur von "Shock Corridor",
dreht in Chinchero, Chile seinen neuen Film. Einen Western. Wir beobachten ihn
durch die Kamera bei seinen hastigen, oftmals in eher rüdem Ton geblafften
Regieanweisungen. Unser Kamerablick impliziert, dass wir einen Film übers
Filmemachen sehen. Denn schließlich sehen wir Dennis Hoppers "The
Last Movie", seinen Nachfolgefilm zu dem spektakulären Überraschungserfolg
"Easy
Rider", in dem Samuel Fuller
sich selbst spielt. Doch dann mit einem Mal blickt Fuller direkt in die Kamera,
scheint seine Anweisungen nun an uns selber zu richten. Die Kamera stünde
ja völlig falsch. Denn "da drüben" wäre ja schließlich
die "Eins". Wie befohlen fährt die Kamera auf den für sie
vorbestimmten Platz und nimmt die Szene auf: Billy the Kid kehrt nach langer
Abwesenheit nach Hause, in seinen Stammsaloon zurück. Die sonst so klar
definierte Trennlinie zwischen dem Film, den wir sehen, nämlich "The
Last Movie", und dem Film, den dieser behandelt, wird weggewischt. Willkommen
in der Postmoderne, willkommen zu dem selbstreflexivsten Film der Gegenkulturepoche
Amerikas und willkommen zum großen Meisterwerk Dennis Hoppers: "The
Last Movie".
Erklärte Jean-Luc Godard bereits 1967 mit "Week
End" das Kino für beendet, zieht Hopper nun seinen Schlussstrich unter
dem Medium. Nachdem er mit seiner Independentproduktion "Easy Rider"
einen Kassenschlager verbuchen konnte, bot ihm das Studio "Universal"
an, seinen nächsten Film zu finanzieren, ihm jedoch absolute künstlerische
Freiheit zu lassen – in der Hoffnung, sich damit einen "instant cult classic"
einzukaufen. Doch nachdem sich Dennis Hopper ein Jahr lang nach den Dreharbeiten
an den Schneidetisch gesetzt und, teilweise unter Anleitung des Gegenkulturgurus
Alejandro Jodorowsky, seine finale Fassung angefertigt hatte, hatten die Studiobosse
keinen modernen Film, der das Lebensgefühl der Gegenkulturgeneration illustriert,
vorliegen, sondern einen Brocken filmphilosophisches Selbstfindungsdrama – bezogen
auf das Medium. Der Schnitt schien auf den ersten Blick dissonant, einen roten
Faden machte man nicht ausfindig. Doch Schnitt und die Verweigerung einer konventionellen
ab-ovo-Erzählweise sind natürlich eine Notwendigkeit für einen
Film wie diesen: Ein Film, der die Kluft zwischen filmischer Wirklichkeitssimulation
und unserer wahren Realität dokumentiert.
Sinnbild der puren, filmischen Wirklichkeitssimulation
ist der Stuntman: Die akrobatischen Choreographien sehen erst aus den jeweiligen
Kamerawinkeln wie authentische Prügeleien aus. Und während in "The
Last Movie", in einer im halbwegs authentischen Ambiente eines peruanischen
Dorfes aufgebauten Filmstadt gedreht wird, ist vermutlich gerade die Gewaltsimulation
der kritischste und am wenigsten überzeugende Part des Filmunternehmens.
Dennis Hopper spielt hier einen solchen Stuntman namens Kansas. Nachdem einer
seiner jungen Kollegen bei einem Unfall während eines Stunts ums Leben
kommt, entscheidet er sich, in dem Dorf zu bleiben, währen die Crew wieder
zurück nach Hollywood abzieht, um Ruhm und Geld im Austausch für das
Filmprodukt zu erwerben.
"We fake everything", versucht Kansas den
Dorfbewohnern die Funktionsweise des Films näher zu bringen. Doch ihnen
– und das geht auf eine reelle Beobachtung Hoppers während der Dreharbeiten
zu "Die vier Söhne der Katie Elder" zurück – wird der Unterschied
zwischen Realität und Film nicht klar. Sie bauen sich aus Bambus die Filmausrüstung
nach: Kameras, Tonangeln, Scheinwerfer. Die Dorfbewohner simulieren zwar den
Vorgang des Filmemachens, den Einsatz der Technik, scheuen aber nicht davor
zurück, die Bühne vor der Kamera realiter nachzubilden. Und so kommt
es zum infernalischen Chaos: Die Dorfbewohner drehen ihre eigenen Filme mit
Bambuskameras, schlagen sich dabei aber zu Boden und fackeln ihre Häuser
ab. Der Priester (gespielt von Tomas Milian), der sich anfänglich im Film
beschwerte, dass die nachgebaute Filmkirche ebenso spiritueller Hort für
die Bevölkerung sei, wie das alte Kirchengebäude im Dorf, bittet Kansas
um Hilfe – und dieser wird plötzlich Mittelpunkt des Interesses der Bambus-Filmcrew.
Er soll als Opfer für den Film hingerichtet werden. Ein weiterer, pointierter
Hinweis auf missverständliche "Filmwahrheiten" ist die letzte
Szene, in der Hopper und Don Gordon am Lagerfeuer sitzen – ähnlich angeheitert
wie Jack Nicholson in der berühmten "Easy Rider"-Szene – und
über ihre Zukunft als Goldsucher reden. Als Kansas (Hopper) nachfragt,
ob Neville (Gordon) denn auch an Quecksilber gedacht hätte, erklärt
dieser, dass er von Quecksilber nichts wüsste, denn alles, was er vom Goldsuchen
versteht, habe er aus dem Film "Der Schatz der Sierra Madre" gelernt.
Besonders zu Beginn und am Ende von "The Last
Movie" ist die Struktur wie bei Brecht entdramatisiert: Szenen aus dem
Finale finden sich wild in den Anfang einmontiert und den "Showdown"
bildet eine Szene, die Grundlage für den gesamten Goldsucherplot bietet,
der aber selber im Film nie vorkommt. Hopper zeigt ganz bewusst das Schlagen
der Filmklappe in einigen Einstellungen, filmt manche wiederum gar nicht und
fügt anstatt dessen kokett kurze "scene missing"-Insertionen.
Logisch, dass der Filmtitel auch erst in der 27. Minute auf der Leinwand steht.
Doch die Mitte des Filmes nutzt Hopper für eine streng chronologische Geschichte.
Sein Protagonist, der Stuntman Kansas, bleibt in Chinchero und lebt mit einer
Prostituierten zusammen. Gemeinsam träumen sie von amerikanischem Materialismus:
Ein Haus hätten sie gerne. Mit Swimmingpool und Flugzeuglandebahn. Und
Maria, die Dorfhure, die er liebt, wäre gerne eine mondäne Dame mit
eigenem Coiffeur in der "City". Kansas sieht seine Chance, endlich
die nötigen Kontakte zu knüpfen, als er einem Geschäftsmann und
seiner Familie eine Lesbenshow in dem Bordell organisiert. Hoppers Angriff auf
einen hochnäsigen Kulturimperialismus ist weniger politische Kritik, als
filmisch artikulierte Verachtung.
Dass "The Last Movie" nie wirklich "politisch"
wird, sondern immer "persönlich" bleibt, im Sinne davon, dass
Hopper nur filmische Illustrationen für seine Wut gegen das US-amerikanische
System findet, aber keinerlei Lösungsansätze oder politische Alternativen,
gerade im Hinblick auf Amerikas Umgang mit ökonomisch niedriger gestellten
Kulturen, anbietet, ist verschmerzbar. Hopper sagte einmal, dass er Godards
Theorien liebe, jedoch nichts mit seinen Filmen anfangen könne. So erscheint
es nicht überraschend, dass Hopper seine didaktischen Ansätze weitaus
weniger hintergründig verpackt als eben Godard es vermutlich getan hätte.
So gerät "The Last Movie" aber auch zu einem derart gewaltigen
und großartigen Werk. Denn wo Hoppers Kritik an Amerika schwachbrüstig
erscheint, ist seine Offensive gegen Hollywood umso stärker.
Sein Film ist ein Werk im Sinne von Pirandello oder
Brecht. Vollkommen losgelöst aus einer gewöhnlichen Narrative. Hopper
zerstörte die eigentliche Geschichte in "The Last Movie" – nicht
jedoch mit einem Holzhammer, sondern mit der Pinzette. Denn entgegen all jener
Vorwürfe besitzt "The Last Movie" eine wohl durchdachte Montage:
Szenen, in denen der bereits verwundete, blutende und mit Dreck verschmierte
Kansas durch die kleine Ortschaft irrt, während die Peruaner ein freudiges
Fest feiern, stehen neben Szenen, die Kansas noch als arbeitenden Stuntman zeigen
und worin er in seiner freien Zeit bei einem Ausritt die Schönheit Chincheros
erkundet. Sowohl Anfang als auch Ende sind hier miteinander verschachtelt und
werden schließlich unterbrochen durch Szenen aus jenem fiktiven Samuel-Fuller-Western,
dessen einzige Szenen brutale Schießorgien sind, in denen keine Einstellung
ohne Todesschrei und spektakuläres Ableben auskommt. In diesen ersten dreißig
Minuten umreißt er die beiden Extreme im Wandel seines Charakters: Einmal
der Amerikaner, der klischeetypisch in der Steppe auf seinem Pferd reitet und
einer fremden Kultur die Errungenschaften des Westens aufdrängt: Film,
Technik. Und am Ende der Mann, der kurz davor steht, als Opferlamm von den Dorfbewohnern,
die einer Missdeutung des Filmprozesses als religiösem Akt unterliegen,
hingerichtet zu werden – also einem Mann, der sein Schicksal selbst gewählt
hat. Dazwischen der Verursacher allen Übels: Der Hollywoodfilm. Der Brutalowestern,
der schnell in dem peruanischen Kaff heruntergekurbelt wird. Indem er seinen
Film nicht als korrumpierten Hollywoodfilm dreht, sondern so wie seine Vorbilder
eine freie, experimentelle Form, wie die Fellinis oder eben Godards nutzt, findet
er schließlich die Lösung in dem Problem des Hollywoodfilms. Sein
Werk ist kein Film des Bösen, kein scheußliches Industrieprodukt,
das die Ureinwohner einer peruanischen Stadt ausbeutet, sondern das, was Film
sein sollte: Kunst.
Natürlich stirbt Kansas am Ende (und somit eben
nicht direkt am Ende). Hoppers Ableben ist so unrealistisch wie möglich
gehalten. Er wankt, fällt zu Boden, steht wieder auf, macht einen zweiten
Versuch. Bei einer anderen Einstellung auf seinen fallenden Körper grimassiert
er ausgelassen in die Kamera, richtet sich wieder auf und springt in der Gegend
herum. Hier fängt die Kamera unmissverständlich die Lüge des
Films ein: "We fake everything" – ohne es jedoch durch Filmtricks
oder Montage zu retuschieren. Das ist filmkünstlerische Konsequenz. Hopper
zeigt hier, dass er das Kino, das Medium und Hollywood so viel besser verstand,
als seine meisten anderen Kollegen. Selbst seine Regiefreunde stellten nicht
ein derart gewagtes, mutiges und avantgardistisches Projekt auf die Beine. Gedankt
wurde es ihm nicht – bei einer Premiere etwa wurde Hopper sogar aus dem Kino
gejagt. "The Last Movie" floppte. Und so ist der Titel leider prophetischer,
als man denken mag. Selbst die amerikanische Gegenkultur brachte nach diesem
Meisterwerk Hoppers nie wieder einen derart losgelösten, künstlerischen
und herausfordernden Studiospielfilm heraus, wie diesen.
Björn Last
Dieser Text ist zuerst erschienen
in:
The
Last Movie
zur
startseite
zum
archiv