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Inspektor
Lavardin: Das Schloss der Gehenkten
Vorname: Inspektor
Schlösser haben ihre eigenen Gesetze. Die ihrer
maroden Bewohner, einer geschlossenen, gefräßigen Gesellschaft. Z.B.
dass die Zeit nicht weitergehen darf. Stehen deshalb so viele Uhren herum? Sie
zeigen die Zeit weniger an als dass sie das Museum der Zeit sind, verwaltet
von einem Uhrmacher, der früher ein Schönheitschirurg war, dessen
wichtigste Operation, die an seiner eigenen Frau, ihm misslungen ist, weswegen
man ihm die Lizenz entzogen hat. Neben den vielen Uhren können die zahlreichen
Touristen ausgestopfte, präparierte Tiere an allen Ecken und Enden des
Schlosses bewundern. Was sie nicht sehen können, ist das Tribunal, der
Knoten der Zeit des Schlosses, dem sich niemand entziehen kann, der einmal versucht
hat, daran zu zupfen.
Wie etwa die arme Christine, Schwester Bernadettes,
welche Inspektor Lavardin (Jean Poiret) mit drastischen Mitteln nötigt,
seinen Angelurlaub abzubrechen, um nach Portugal, wo das Schloss steht, zu reisen
und sich auf die Suche nach Christine zu begeben. Natürlich ist Liebe im
Spiel. Der jüngste Nachfahre im Schloss, unter Drogen gehalten, um dem
Tribunal tagtäglich zur Verfügung zu stehen und das dortige Gesetz
mit zu beglaubigen, verliebt sich in Christine und bringt Unruhe in die große
Bude. Nach und nach erfährt Lavardin, dass sie nicht die einzige ist, die
zwar in das Schloss hineingegangen ist, aber offensichtlich nicht mehr herauskam.
Neben der Liebe ist natürlich Geld der zweite Unruhestifter. Vor langer
Zeit, genau vor 25 Jahren, betrat ein Ehepaar das Schloss, um die Spielschulden
des Schlossbesitzers einzutreiben. Das konnte natürlich nicht gut gehen.
Wie vom Erdboden verschluckt, wird das Ehepaar mitsamt Auto und allen wichtigen
Dokumenten nicht mehr gesehen. Und da die eigentliche Zeit des Schlosses die
Zeitlosigkeit ist, gibt es auch einen besonderen Raum für diese Realität
außerhalb aller Realität, eben das Tribunal.
Dort herrscht er, der angeblich Selbstmord verübt
hat, der letzte Herrscher und Prasser, vor einer erlauchten kleinen Schar von
Figuren, die allesamt der medizinischen Kunst des Einbalsamierens ihre museale
Rolle der Zeugenschaft verdanken. Aus Opfern werden Richter, auch wenn sie nichts
mehr zu sagen haben. Neben dem verrückt gewordenen Alten thront die tote
Gattin, und im Rondell sitzen all die, die etwas mehr sein wollten als uniformierte
Touristen, die zwar alles aufnehmen, aber nichts sehen. Letzter Neuzugang ist
natürlich Christine, und nach einem erfolglosen Besuch beim Medizinmann,
an dessen Stelle die monströse Gattin Lavardin empfängt und für
einen kurzen Moment ihr morphinistisches Geigenspiel unterbricht (Franjus „Augen ohne Gesicht“ aus 1959 lassen grüßen), ist Lavardin
beinahe selbst Opfer der Killer der Zeit, die genau in dem Moment wieder weitergeht,
als der resignierte Arzt sich in einem Akt der Selbstopferung in die Höhle
des Tribunals mit einem um seinen Kopf geschlungenen Seil fallen lässt
und so der toten Zeit ein Ende bereitet. Die anstehende Selbstjustiz des Clans
ist dann nur noch eine Frage der Ehre: Adel verpflichtet.
Dieter Wenk
(07.00)
Dieser Text ist zuerst erschienen
in:
Inspektor
Lavardin: Das Schloß der Gehenkten
LE
CHATEAU DU PENDU
Frankreich
- 1988 - ca. 90 min. Erstaufführung: 19.8.1994 MDR
Regie:
Christian de Chalonge
Co-Drehbuch:
Claude Chabrol
Darsteller:
Jean
Poiret (Inspektor Lavardin)
Anne
Roussel (Bernadette)
Teresa
Madruga (Carlotta)
José
Manuel Mendes (José)
Ruy
Furtado (Uhrmacher)
José
Wallenstein (Hugo)
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