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La
vie en rose
Der Spatz in
der Hand
Wenn ich meiner Mutter erzählen würde,
daß ich ein "Biopic" konsumiert habe, dann würde sie vermutlich
denken, ich hätte einen Schweinebraten aus ökologischer Haltung gegessen.
Dabei ist meine Mutter ein äußerst gebildeter Mensch, aber sie kann
wie die meisten Mütter nichts anfangen mit eingedeutschten Neologismen,
die schon im englischen Original nicht gut waren, und mir geht es in diesem
Fall ähnlich, denn wenn da ein Wort existiert, von dem wir noch nicht mal
wissen, wie man es ausspricht, das eigentlich nur von Fachjournalisten verwendet
wird und auch da nur aus Verlegenheit, weil es halt kein anständiges Wort
für die Sache gibt – das könnte ein Anzeichen sein, daß an der
Sache selber was faul ist.
Biopic, zusammengezogen aus "biography"
und "picture", bedeutet: Wir verfilmen das Leben eines bedeutsamen
Menschen. Und da sind schon zwei Fallstricke drin, nämlich erstens das
Leben und zweitens der bedeutsame Mensch. Das Leben ist nämlich lang und
im Ganzen eher undramatisch, dafür aber so vielschichtig, daß man
für einen Film 99% weglassen und hinterher trotzdem den Eindruck erwecken
muß, man hätte ein ganzes Leben erzählerisch eingekreist, das
rückblickend auch noch irgendwie Sinn machen sollte.
Fallstrick zwei hingegen, Der Bedeutsame Mensch,
ist per se ein schwieriges Objekt – die meisten Berühmtheiten sind ja für
besondere Qualitäten berühmt, das verfällt dann allzu leicht
in Heiligenverehrung und der Zuschauer in Tiefschlaf, ganz ähnlich wie
in der Kirche, wo die Heiligenverehrung ja ihren angestammten Platz hat. Aus
diesem Grund nimmt man für Biopics auch gern Berühmtheiten mit Ecken
und Kanten und Höhen und Tiefen, und letztere bekommt man immer noch am
zuverlässigsten bei den Dämonen des Drogenkonsums.
Wenn in der Mitte des Biopics, so etwa nach einer
knappen Stunde, der Held mal den Aufstieg aus seiner Ghetto-Favela-Kindheit
so halbwegs geschafft hat und eine nostalgische Montage aus Zeitungsseiten mit
den ersten Erfolgsmeldungen durchs Bild rotiert und die Freiheitsstatue mit
dem Eiffelturm Swing tanzt, dann kommt im nächsten Bild der Absturz in
den Alkohol so sicher wie das Amen in der Kirche. Ein weiteres Problem des bedeutsamen
Menschen ist seine Bedeutsamkeit, die es sehr schwierig macht, ihn mit ebenbürtigen
Nebenfiguren zu umgeben. Ergebnis ist oft eine schauspielerische Solo-Show,
die dann von den Fachleuten im Feuilleton regelmäßig als "Tour
de Force" bestaunt wird, oft aber eher einen Eindruck hinterläßt
wie, sagen wir mal, Jürgen Vogels Masturbationsszene in "Der freie Wille".
Diese allgemeinen Betrachtungen, die überhaupt
nichts mit dem hier besprochenen Film zu tun haben, hätte ich hier nicht
so lang ausgebreitet, wenn sie überhaupt nichts mit dem hier besprochenen
Film zu tun hätten. Deswegen zuerst die gute Nachricht: Marion Cotillard,
die hier das französische Nationaldenkmal Edith Piaf verkörpert, macht
das ganz toll und vor allem völlig uneitel. Sie verwandelt sich in eine
Straßengöre und eine Diva und ein krächzendes altes Wrack, man
glaubt ihr jeden Moment und hat nie das doofe Gefühl, einer Schauspielerin
bei der virtuosen Schauspielkunstausübung zugucken zu müssen.
Der Rest ist wie beschrieben: Der Film hüpft
durch das Leben seiner Hauptfigur wie die Krähe durch den Salat, die Piaf
hat Ecken und Kanten und Drogenprobleme, die Nebenfiguren sind so austauschbar
und so egal, daß man sich noch nicht mal ihre Gesichter merken kann. Ein
Film hat ja oft ein Gestaltungsprinzip, eine grundlegende Geisteshaltung, die
sich in allen Elementen zeigt, und wollte man dieses Prinzip bei "La vie
en rose" beim Namen nennen, dann wäre es die Zerfahrenheit. Bilder
hängen aneinander und ergeben keine Geschichte, Menschen kommen ins Bild
und sind dann wieder weg und kommen irgendwann wieder oder auch nicht, zwischendurch
finden wir uns auf einmal in einem Boxkampf wieder, weil das im Film gut kommt
und man so tolle Geräusche darunterlegen kann, und nach 140 Minuten ist
endlich alles vorbei. Wie es endet, wußten wir aber schon am Anfang, weil
der Film es nämlich für eine gute Idee hält, sich den Fesseln
der Chronologie zu entledigen. Der naheliegendste rote Faden ist im Biopic ja
der Fortgang der Ereignisse, da könnte man sich denken: Wäre mal sinnvoll,
in der Reihenfolge zu bleiben, wenn man schon keine andere Linie hat. Aber nein,
es wird zwischen den Zeitebenen hin- und hergesprungen, als wäre alles
egal. Und das ist es dann auch.
Das Schlimme ist, daß man sich hinterher denkt:
Es wäre durchaus möglich gewesen, aus diesem Leben und dieser durchaus
hübschen Musik einen brauchbaren Film zu machen. In Amerika hat das mit
den Musikerbiographien doch schon ein- oder zweimal funktioniert, auch wenn
ich mir "Walk
The Line" aus einer grundlegenden
Johnny-Cash-Verweigerung heraus nicht angeschaut habe. Hier ist es leider komplett
schief gegangen. Amerika führt 1:0 gegen Frankreich. Schade.
Dietrich Brüggemann
Dieser Text ist zuerst erschienen
im:
La vie
en rose
La Môme.
Frankreich 2007. R,B:
Olivier Dahan. K:
Tetsuo Nagata. S: Richard Marizy. M: Christopher Gunning. P: Légende,
TF1 International u.a. D: Marion Cotillard, Sylvie Testud, Pascal Greggory,
Emmanuelle Seigner, Jean-Paul Rouve, Gérard Depardieu u.a. 140 Min. Constantin
ab 22.2.07
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