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Das
Leben der Anderen
Hier träumt einer einen Traum von der DDR. Aber
wer träumt? Und was träumt er? Und brauchen wir eine Traumerzählung
von der DDR?
Es ist ein Traum vom guten Menschen, der an das glaubt,
was er tut, und der tut, was er tut, weil er daran glaubt. Der deshalb enttäuschbar
ist und verführbar. Enttäuschbar durch das schiere Böse bloßer
Macht. Verführbar durch das schiere Gute des Glaubens an eine bessere Welt.
Der Film träumt sich also eine Nische des Guten im bösen System, eine
Nische, in der auch ein Folterer beginnen kann, Brecht zu lesen (den poetischen
Brecht, nicht den stalinistischen Brecht der Lehrstücke), in der auch ein
idealistischer Autor die Balance halten kann zwischen Dissidenz und Macht, weil
er im Inneren nicht korrupt ist. Der Bereich des Heilen, wörtlich und metaphorisch,
ist der Bereich der Kunst. Böse Menschen singen keine schönen Lieder
und dem Stasi-Beobachter zwingt die Sonate vom guten Menschen eine Träne
ins Auge.
Mancher hat dergleichen geträumt, gerade in
der DDR, in der eine Idee vom besseren Staat besserer Menschen ja nicht von
vorneherein diskreditiert war. Es gab, wie sich bald zeigen sollte, sogar IMs,
die sich für Dissidenten hielten und ihren Führungsoffizier für
einen Bruder im Geiste. Das aber beweist nur, dass der Traum der Guten vom Guten
im Bösen aufs Ganze gesehen eine Illusion war, nichts anderes. Und doch
träumt "Das Leben der Anderen" den Traum der DDR, noch einmal,
noch einmal von vorne, in einer Situation, in der alles längst so offenkundig
gescheitert ist. Aber geträumt werden muss, noch siebzehn Jahre später.
Worauf das, alles in allem, hinausläuft, ist dann doch, es muss gesagt
sein: gesamtdeutscher Kitsch.
Es liegt das auch an der abschüssigen Bahn,
auf die der Film gerät, nicht sofort, sondern irgendwann. Denn zunächst
nimmt er Strukturen in den Blick. Ganz wörtlich: Strukturen des Blicks.
Das Theater als Szene, ein Blick von oben, ein inquisitorischer Blick, Konzentration
auf die Positionalität des Personenarrangements. Hier der Täter (ein
Folterexperte), da die Opfer (die Künstler). Die Grenzen zwischen Gut und
Böse scheinen nach einer einführenden Folterszene klar. Dann aber
die Verschiebung, des Blicks und der Sympathien. Der Lauscher entwickelt Sympathien
für die Belauschten, wir entwickeln Sympathien für den Lauscher. Zunächst
orchestriert der Film diese Verschiebung noch recht subtil, im Einsatz der Kamera,
auch der Musik. Eher eindringlich als aufdringlich. Das kulminiert in einem
großartigen Bild: Der Lauscher mit Kopfhörer auf einem Stuhl, eingeschlafen
mit den schlafenden Belauschten, in der Haltung des Schmerzensmannes, wehrlos
gegen die Wehrlosen. Und für diesen Moment ist oder wird der Traum beinahe
glaubhaft.
Zwischen der Skylla großäugiger Innerlichkeit
(Ulrich Mühe) und der Charybdis des Ausbuchstabierens schleudert "Das
Leben der Anderen" bald aber nur noch von hier nach da, verliert die Balance
des Beginns und schreddert seine Figurenbeobachtungen und Strukturanalysen in
einer Plot-, auch Melodramenmechanik, die nur noch wenig mit DDR, 1984 und viel
mit Fernsehen, Hauptsendezeit zu tun hat. Das kulminiert, nur zu passend, in
der überflüssigen Koda nach '89, die dem Betrachter zu guter Letzt
noch in schäbiger Weise Rührungsmomente abknöpfen will.
P.S.: Ich erinnere mich gut an das gelbe Licht der
Laternen im Osten Berlins. War es nicht viel fahler und keineswegs so butterweich
golden wie ein ums andere Mal hier?
Ekkehard Knörer
Diese Kritik ist zuerst erschienen
in:
Zu diesem
Film gibt’s im archiv der filmzentrale mehrere
Texte
Das
Leben der Anderen
Deutschland
2005 - Regie: Florian Henckel von Donnersmarck - Darsteller: Martina Gedeck,
Ulrich Mühe, Sebastian Koch, Ulrich Tukur, Thomas Thieme, Hans-Uwe Bauer,
Volkmar Kleinert, Herbert Knaup - Prädikat: besonders wertvoll - FSK: ab
12 - Länge: 137 min. - Start: 23.3.2006
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