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Das Leben der Anderen
Mundgerecht
konsumierbare Vergangenheit
Was ist eigentlich dran am Hype
um Disneys DDR-Melo "Das Leben der Anderen"? Wenn Disney mal einen
Film über die Stasi und DDR-Tristesse in seinem "Buena Vista"-Verleih
herausbringt, muss es sich schon um etwas Besonders handeln. Und tatsächlich:
Florian Henckel von Donnersmarcks vom Berlinale-Wettbewerb - zu Recht - abgelehntes
Stasi-Melo "Das Leben der Anderen" wird zu seinem Filmstart von einem
Hype sondergleichen begleitet. Jetzt müssen ihn alle sehen. Aber warum
eigentlich?
Das ist so einer dieser Filme,
wie er Kulturstaatsministern gefällt. Ein süffiges Melodram aus bräunlich
düsterer DDR-Zeit, mit etwas Sex und Kunst gewürzt, viel garst'ger
Repression, einigen Toten, noch mehr Herzschmerz, ein paar kalten bösen
Tätern, vielen, vielen deutschen Opfern und einem Saulus, der zum Paulus
wird. Kulturstaatsminister Bernd Neumann lud den Bundestag gleich zur exklusiven
Vorpremiere, DDR-Berufsversteher Wolfgang Thierse findet ihn "atemberaubend",
und die Mitglieder der exklusiven "Deutschen Filmakademie" können
schon gleich gar nicht irren: Elfmal insgesamt haben sie "Das Leben der
Anderen" von Florian Henckel von Donnersmarck nominiert.
Die heilige "Branche"
also - welch ehrfurchtsvoller Klang, wenn der greise Günter Rohrbach, der
einst Fassbinder förderte, jetzt als Akademiepräsident dieses Wort
ausspricht, für das ihm Fassbinder, lebte er noch, womöglich Prügel
androhen würde, und weite, glücklicherweise nicht alle Teile der deutschen
Filmkritik, sekundieren nach Kräften: "Grandios!", "grandios!",
"grandios!", "grandios!", "grandios!", hieß
es tatsächlich fünfmal in Folge im Deutschlandradio - eher Film"kritik"
als Reflexion und Fragen. "Unsexy" heißt es lobend sogar im
Kultblatt "Steadycam" - aber das macht ihn ja auch noch nicht gut.
Und als ob Engagement nicht auch sexy sein, schön inszeniert und mit Stilgefühl
daher kommen könnte.
Gleichklang
macht Konsensfilm
Die klügeren westdeutschen
Zeitungen holten sich zur Sicherheit lieber gleich noch einen Ossi, am besten
einen Schriftsteller, der als DDR-Experte qua Geburt den Film zum Dokument adelt
und ihm Authentizitätszeugnis ausstellt. "Der politische Sound ist
authentisch, der Plot hat mich bewegt", klampfte Wolf Biermann in der Welt,
und dann, mit zwei Ausrufezeichen: "Er hat ja alles das nicht selber erlebt!
Und trotzdem kann solch ein junger Mann mitreden!". Was ja nur den ernsthaft
erstaunen kann, der eigentlich findet, dass man nur das beurteilen kann, was
man selbst erlebt hat. So wurden seit den 50er Jahren gern Debatten über
die Nazi-Zeit erledigt.
Und Thomas Brussig fand alles
in der SZ "in den Details so realistisch, dass man wie von selbst glaubt,
er beruhe auf Tatsachen." Mitunter kamen zusätzlich auch noch 68er
Kritiker und Totalitarismustheoretiker zu Wort, seit Jahren bewährte und
sichere Kantonisten wie Mariam Lau, die in der Welt gegen "diese seltsame
Verniedlichung der SED-Diktatur" wettert und gleich eine kleine Westler-Verschwörungstheorie
entwickelt: "Daß der Film es nicht in den Wettbewerb der diesjährigen
Berlinale geschafft hat, ist vor diesem Hintergrund ["Diese verquere Identifikation
mit der DDR"] dann schon nicht mehr so verwunderlich."
Bei soviel Gleichklang wird man
unruhig: Kann denn nicht mal wenigsten einer aus der Reihe tanzen? Kann man
nicht ein wenig abgewogener Pro und Contra gegeneinander stellen. Oder ist man
gleich ein böser Mensch, ein Verteidiger der Diktatur, wenn man den Film
jetzt nicht ganz so toll findet wie der Rest der Welt? Die FAZ ist mal wieder
fast die einzige, die differenzierte und den "Konsensfilm" erkannte,
der er ist: „Er tut niemandem weh, er organisiert Einverständnis, indem
er noch im Scheitern und im Sinnlosen einen Sinn findet, aber er ist nie aufregend
oder originell ... Als wäre die affektgehemmte Haltung des Lauschers auf
ihn übergegangen.“
Trotzdem ist den Film über
die böse Stasi zu gucken nun Bürgerpflicht. Erst recht, weil sie so
böse dann nicht ist und am Ende mit dem Blut einer edlen Frau alle Deutschen,
Täter und Opfer irgendwie miteinander zur großen Gemeinschaft versöhnt.
Jetzt müssen ihn alle sehen. Der Besuch ist zum Beflissenheitsakt und politischem
Gebot geworden. Und man darf wetten, dass "Das Leben der Anderen"
im Wonnemonat Mai den einstigen Bundesfilmpreis erhalten wird. Genau das Einmütige
und noch mehr das Schrille der jetzigen Lobeshymnen macht misstrauisch und weckt
instinktiv den Verdacht, es ginge eben hier doch nicht allein um einen schönen
Film und dessen Qualität.
Die
bitteren Tränen des Stasi-Hauptmanns
Es gibt einen Moment, so ungefähr
in der Mitte von "Das Leben der Anderen", da weint Gerd Wiesler. Es
ist nur eine einzige lange Träne, die stumm und kalt am Nasenflügel
dieses harten Mannes hinunter fließt, dessen übriges Gesicht dabei
nahezu unbewegt bleibt. Weinen scheint auf den ersten Blick so gar nicht zu
diesem verschlossenen, auch innerlich verhärteten Stasi-Hauptmann zu passen,
der gerade mit dem "OV Laszlo" beschäftigt, auf einem Dachboden
am Berliner Prenzlauer Berg hockt und einen Künstler bespitzelt.
"OV" heißt nämlich
im Stasi-Jargon "operativer Vorgang", und "Laszlo" ist der
Name unter dem die Stasi den Schriftsteller Georg Dreymann in ihren Büchern
führt. Alle durch Geräusche und eine Überwachungskamera am Hauseingang
rekonstruierbaren Details dieses Lebens werden von Wiesler rund um die Uhr in
bürokratischem Duktus protokolliert. "Vermutlich Geschlechtsverkehr"
heißt es da mitunter.
Wiesler weint nicht aus Trauer,
obwohl er soeben über eine der rund zwei Dutzend Wanzen, die von seiner
Organisation kürzlich in der Wohnung des Autors verteilt wurden, vom Selbstmord
eines anderen Künstlers erfahren hat. Schon eher weint er vermutlich ein
wenig aus Rührung, weil ihn die Musik bewegt, die Dreymann, noch ganz im
Schock der Nachricht, halb besinnungslos am Wohnzimmerflügel spielt.
Doch am wahrscheinlichsten ist,
dass Wiesler über sich selber weint. Er weint, weil er gerade einen entscheidenden
Moment der Selbsterkenntnis erlebt und begreift, an was er da eigentlich beteiligt
ist, was das für ein Staat ist, für den er seine schmutzige Arbeit
tut. Und wie fern er selbst dem ist, was eigentlich das Leben ausmacht: Anstand,
Loyalität, Vertrautheit, Intimität, Gefühle, Mut. Dieses Leben,
das leben die anderen, doch erst durch den "OV Laszlo" erfährt
Wiesler, was ihm fehlt. Er wird von nun an sein Leben ändern. Es ist keine
Entscheidung, die auf einen Schlag kommt, sie hatte sich schon zuvor bei einem
Theaterbesuch angekündigt, und noch lange wird er mit sich ringen, wird
Gutes tun, und dann wieder das, was seine Organisation von ihm verlangt.
"...und
versuche gut zu sein."
Später sieht man Wiesler,
wie er Brecht-Gedichte liest, und dann, wie er ein Lied hört mit Wolfgang
Bocherts Zeile "...und versuche gut zu sein." Wiesler versucht es.
Es ist die Kunst, die ihn zum guten Menschen macht, und das "Das Leben
der Anderen" erzählt davon, wie das geschieht. Es ist ganz erstaunlich
und stimmt froh, wie stark der Regisseur Florian Henckel von Donnersmarck offenbar
an die Kunst glaubt, zugleich allerdings fragt man sich skeptisch, ob denn das
nicht eine sehr altbackene, biedermeierliche Vorstellung von Kunst ist, die
hier dominiert: Kunst als das Schöne, Trostspendende, als das, was dem
Leben zunächst einmal fern steht und es besser macht. Fern steht die Kunst
in Henckel von Donnersmarcks Sicht auch der Politik.
Indem der Film einen solchen Gegensatz
zwischen Kunst und Politik konstruiert, knüpft er an die klassischen Ästhetiken
des Deutschen Idealismus an: der "ästhetisch erzogene" Mensch
als Gegenprogramm zu den rohen Kräften der von der Französischen Revolution
geprägten Politik. Bezeichnend dafür das vom Regisseur gern verwandte
Lenin-Zitat in Bezug auf Beethovens Appassionata:
„Ich kann diese Musik nicht oft
hören, weil ich sonst Menschen die Köpfe streicheln will, denen ich
sie doch einschlagen muss, mitleidslos einschlagen.“
Der Film könnte auch "Die
Sonate vom Guten Menschen" heißen wie das Musikstück, das im
Film vorkommt, denn sein eigentliches Thema ist nicht, wie es jetzt immer heißt,
die DDR oder die Stasi, sondern die Frage, was es heißt, gut zu sein.
"Sie sind ein guter Mensch", sagt Christa-Maria Sieland eines Tages
zu Wiesler, als sich beide zufällig in einer Kneipe begegnen, die Schauspielerin,
Lebensgefährtin des Schriftstellers, und ihr Stasi-Schatten, der ihr, weil
er um ihre Probleme noch besser weiß, als ihr Lebensgefährte, ein
paar aufmunternde Worte sagt.
Politisch
ist der ganze Film daher ein Bluff
Gewiss handelt "Das Leben
der Anderen" auch von der DDR. Es erzählt von ein paar Monaten in
deren Endphase, Ende 1984 bis Frühjahr 1985. Sieland ist erfolgreiche Bühnendarstellerin,
aber labil, denn sie ist medikamentensüchtig. Vor allem hat sie sich auf
ein Verhältnis mit DDR-Kulturminister Hempf eingelassen, der seine Macht
schamlos ausnutzt und sie erpresst. Auch Dreymanns Überwachung geht auf
Hempf zurück, er will "etwas finden", notfalls konstruieren,
um den Nebenbuhler auszuschalten.
Das ist das eigentlich Kuriose
an diesem Film: Die Überwachung, von der er erzählt, und mit dem er
die wahre Natur des Überwachungsstaats bloßlegen will, ist rein persönlich
durch Eifersucht motiviert und gar keine politische. Denn Dreymann ist zunächst
gegenüber dem Regime weitaus loyaler, als viele andere, ein geradezu linientreuer
Erfolgsautor und persönlicher Freund Margot Honeckers, die ihm, wer hätte
das gedacht, ausgerechnet Solschenizyn-Bücher mit persönlicher Widmung
schenkt. Sein Herz hat er natürlich trotzdem am rechten Fleck. Und erst,
als Dreymann von den heimlichen Treffen seiner Freundin erfährt, fasst
er den Mut, heimlich einen regimekritischen Text zu schreiben. Auch hier also
Eifersucht und Liebe als Triebfedern, nicht in erster Linie politisches Engagement.
Dies hat er übrigens mit einem ganz anderen, filmisch viel besseren Film,
mit Benjamin Heisenbergs "Schläfer" gemeinsam. Die Tragödie
der DDR, so könnte man diesen Film verstehen, war, dass sie ihre Gefolgsleute
und deren Idealismus durch persönliche Kleinlichkeit und den Egoismus der
Funktionäre kaputt machte. Politisch ist der ganze Film daher ein Bluff.
Dreymanns Überwacher Wiesler
ist zu diesem Zeitpunkt längst zu dessen verborgenem Schutzengel geworden
und deckt das Verfassen des Textes - zum Thema Selbstmordstatistik in der DDR,
ein hochinteressanter Aspekt übrigens -, widerstrebend, aber irgendwie
doch überzeugt. Als dieser dann anonym im westdeutschen "Spiegel"-Magazin
publiziert wird, setzt die Stasi-Tätersuche mit der ganzen Härte der
Apparatsmacht ein. Doch auch in diesem Fall überrascht es eher, dass die
Diktatur immer noch Beweise für das verlangt, was sie doch im Grunde längst
weiß, und wofür sie irgendwann sogar ein Geständnis protokolliert
hat. Zumindest den Anschein der Rechtsstaatlichkeit wollte die Diktatur also
wahren? Aber warum eigentlich? War die DDR etwa ein Rechtsstaat?
Wer "Das Leben der Anderen"
jetzt von ganz Linksaußen kritisiert - man lese etwa die schnöseligen
Texte der "Junge Welt"-Kryptostalinisten ("ein weiterer Versuch,
die DDR zu delegitimieren") -, der sollte bedenken: Florian Henckel von
Donnersmarck zeigt gute DDR-Menschen, der ebnet die Unterschiede zwischen den
beiden deutschen Diktaturen auf dieser Ebene nicht ein, im Gegenteil.
Frauenopfer
und Läuterung der Männer
Trotzdem endet alles nicht gut;
es kommt zum Verrat aller an alle mit folgerichtig tragischem Ausgang. "Ich
war zu schwach. Ich kann nie wieder gutmachen, was sie getan haben", sagt
Sieland zu ihrem Überwacher, als sie sterbend auf dem Pflaster liegt und
endlich begriffen hat, was er getan hat. Und die einzige Frau unter den Hauptfiguren
ist es natürlich, die ihr Leben lassen muss, und für die Freiheit
von zwei Männern am Ende vom Regisseur/Autor geopfert wird. Damit die Läuterung
der Hauptfiguren in Gang kommt, muss die Frau zunächst vergewaltigt werden
und später in ihrem Blut liegen.
Mit dieser Handlung fügt
sich "Das Leben der Anderen" den klassischen Gesetzen des Melodrams.
Das bleibt natürlich auf seine Art immer spannend und ist oft bewegend.
Und vielleicht wäre es schön, wenn es tatsächlich so gewesen
wäre. Mit "der Wahrheit über die DDR", wie der Regisseur
und viele Nachbeter jetzt behaupten, hat das allerdings trotzdem nicht übermäßig
viel zu tun. Auch wenn Margret Köhler stellvertretend für viele im
Branchenmagazin "Blickpunkt Film" behauptet, das Werk sei "sauber
recherchiert", wird dies auch durch Wiederholung nicht wahrer. Der Anspruch,
historische Realität zutreffend wiederzugeben, hält genauerer Überprüfung
nicht stand.
Der Kardinalfehler in Bezug auf
die historischen Fakten liegt darin, dass es einen Stasi-Mann, der gleichzeitig
Dozent an der Stasi-Hochschule, persönlicher Überwacher und Leiter
der Verhöre von Verdächtigen war, nicht gab. Tatsächlich praktizierte
gerade die Stasi strenge Arbeitsteilung. Und entscheidend für das Wesen
des Systems war die gegenseitige und multiplizierte Überwachung. Keiner
konnte irgendeinem vertrauen.
Ganz gut illustriert dies eine
Anekdote aus dem Leben des DDR-Schriftstellers Jurek Becker: Über eine
Gesprächsrunde von acht Personen, zu der er und Manfred Krug gehörte,
haben die anderen sechs je einen Bericht geschrieben. Ein Kulturminister, der
mit diesem Amt nicht einmal Mitglied im DDR-Politbüro war, konnte einem
Stasioffizier übrigens auch keine Befehle erteilen oder seine Karriere
beeinflussen. Kein Funktionär konnte auch die Stasi mal eben so auf einen
x-beliebigen DDR-Bürger ansetzen, schon gar nicht aus derlei persönlichen
Motiven - auch wenn das als Roman & Filmstoff noch so süffig klingt.
Jeder "OV" wurde überprüft. Auch ist aus den 80er Jahren
kein Selbstmord eines namhaften Regisseurs bekannt und keiner einer bekannten
Schauspielerin.
Klischees
des Tristessekinos
Auch den Geist der DDR verfehlt
der Film in seiner Absicht, die Geschichte eines DDR-Schindlers zu erzählen,
völlig. Denn einen Oskar Schindler gab es in der DDR eben nicht, denn nicht
einer von Hundertausenden Stasi-Mitarbeiter hat in irgendeiner, der Film-Episode
annährend ähnlichen Form seine Überwachungsobjekte geschützt
und gedeckt oder Verdächtigen zu helfen versucht. Henckel von Donnersmarck
erfindet sich den guten Stasi-Menschen - und man möchte schon wissen, woher
das Entlastungsbedürfnis eigentlich kommt, das sich in solchen Szenarien
befriedigt?
Die Wiesler-Figur und ihre filmische
Rechtfertigung, die diesen am Ende als Opfer des Systems, als heimlichen guten
Menschen und Wohltäter vom Prenzlauer Berg dastehen lässt, macht aus
dem gemeinen Stasi-Mann eine Identifikationsfigur für all die alternden
Ex-Regimeprofiteure, die heute mit dicken Renten in ihren Schrebergärten
hocken und PDS wählen. Hubertus Knabe, Leiter der Stasi-Gedenkstätte
Hohenschönhausen, betont: „ Der Film ist unnötig unglaubwürdig,
das hat es nicht gegeben, und das konnte es auch nicht geben, weil die Stasi
in orwellscher Manie auch ihre eigenen Leute überwacht hat.“
Auch Jörg Dresemann, Leiter
der Stasi-Gedenkstätte Normannenstraße, in der der Film zum Teil
gedreht wurde, hat an der Geschichte "vieles zu bemängeln". Er
führt nur die Verteidigung an, es handle sich ja "um keinen Dokumentarfilm,
sondern um eine imaginierte, vorgestellte Geschichte", ein Argument, aus
dem vor allem eine gewisse Verachtung für das Genre spricht. Entscheidend
ist aber, dass der Film ungeachtet solcher Einwände als "die"
Wahrheit über die DDR wahrgenommen wird. Dabei bietet er nur eine andere
Seite der Wahrheit als jene, von der "Sonnenallee" und "Good Bye Lenin!" erzählten.
Es sind die Klischees des Tristessekinos:
leere Straßen, leere Zimmer, graue Häuser, graue Gesichter. Die Prostituierte,
die im Stasi-Dienst offenbar für dessen Mitglieder kostenlos nutzbar war,
ist eine fette alte Vettel wie ihr System. Die Privatwohnung von Wiesler ist
so karg eingerichtet wie eine Mönchszelle, geprägt von Leere, pedantisch
ordentlich mit unpersönlichen Gegenständen dekoriert - der Raum eines
zwanghaften, depressiven Charakters - und als solches ein Spiegel des Systems,
das er repräsentiert. Überhaupt blickt Henckel von Donnersmarck auf
die DDR wie auf ein Glaubenssystem. Sein Wiesler ist einer, der gläubig
ein Teil des Systems wurde, und nun in eine Glaubenskrise kommt. Indem der Film
ihn läutert, kritisiert er moralisch sicher Macht, Karriere, Geilheit -
was er weitaus weniger sicher tun könnte, erzählte er eine West-Geschichte.
Aber auch diese Leere hat mit
der Realität eines brodelnden Kulturlebens rund um den Prenzlauer Berg,
mit vollen Kneipen, mit Lese- und Gesprächszirkeln, mit der bürgerlichen
Gesellschaft des realexistierenden Sozialismus nichts zu tun. Immerhin gibt
der Film einem ein Gefühl für das, was Überwachungsstaat bedeutet.
Allerdings werden fast alle Menschen in diesem Film, auch die niederen Chargen
der Stasi, in erster Linie Opfer und sind "gute Menschen". "Böse"
im tieferen Sinn ist nur der Minister und Wieslers Führungsoffizier. Dabei
bestand das Geheimnis des langen Bestehens der DDR, wie auch anderer Diktaturen,
doch wohl eher darin, dass es viele, auch "kleine" Täter gab,
dass fast jeder auch zum Täter wurde. Getragen wird alles von glänzenden
Darstellerleistungen. Ulrich Mühe verkörpert als Wiesler die Verwandlung
und Aufweichung seiner Figur überaus glaubwürdig. Noch besser ist
der abgründige Ulrich Tukur als sein Vorgesetzter. Sebastian Koch war noch
nie so nuanciert, wie hier als Dreymann, während Martina Gedeck demgegenüber
in der Rolle der Sieland etwas blass bleibt.
So ist man am Ende mit alldem
nicht wirklich glücklich, dominiert Unzufriedenheit. Das rührt auch
daher, dass der ganze Film arg glatt daherkommt. Wie bei den TV-Movies "Luftbrücke"
oder "Dresden" ist hier alles lehrbuchgetreu umgesetzt und politisch
korrekt unangreifbar verteilt. Gerade das ist aber das Problem. Die Frage ist
und muss ausschließlich sein: Ist der Film als Film gut? Unabhängig
von der Story und unseren weltanschaulichen Ansichten. Natürlich sind Filme
von Eisenstein und Riefenstahl Klassiker, auch wenn uns die dahinterstehende,
durch sie propagierte Ideologie zuwider sein mag.
Eine wirklich persönliche
filmische Handschrift lässt Regisseur Florian Henckel von Donnersmarck
aber nicht erkennen. Für ein Debüt ist das fast ein zu reifer Film,
überaus kühl kalkuliertes Industriekino, aber jenseits des fraglosen
moralischen Engagements und des Interesses am Thema, ist ein ästhetisches
Interesse, irgendeine Lust, ein individueller Ausdruck, eine Haltung, gar ein
Risiko, eigentlich nicht spürbar. Das genau aber ist es, was exzellente
Filme von recht guten unterscheidet.
Herumschieben
historischer Kulissen
Dominik Grafs Film "Der
Rote Kakadu",
man muss ihn hier nennen, hat, was immer man womöglich dagegen aussetzen
möchte, in seiner so ganz anderen Form von der DDR zu erzählen, jedenfalls
in der Freiheit, die Graf sich nimmt, zum historisch exakteren Ergebnis geführt
und eine Version der Vergangenheit präsentiert, die etwas zur Gegenwart
zu sagen hat, die die Vergangenheit als Herausforderung, als Forderung auch
offen hält. "Das Leben der Anderen" ist hingegen Herumschieben
historischer Kulissen. Während die Vergangenheit für die Gegenwart
völlige Verfügungsmasse ist, darf die Vergangenheit die Gegenwart
nicht in Frage stellen, darf die DDR keinesfalls wieder zur "Alternative"
werden. Das mögen unsere Totalitarismustheoretiker nicht. Kein Wort mehr
bitte schön von "D-Mark-Nationalismus", von den Folgen des Zweiten
Weltkriegs, von den Bedingungen des Kalten Kriegs, in denen die DDR von einem
US-Präsidenten allen Ernstes zum "Reich des Bösen" gerechnet
wurde.
Dabei ginge das. Und zwar mit
Links: Ein Film über Überwachung könnte uns etwas über die
Verhältnisse in denen wir leben erzählen, in denen im "Kampf
um die innere Sicherheit" die Freiheit des Bürgers ausgehöhlt
wird. In denen das Recht auf Privatsphäre darnieder liegt. In denen Schily
Schäubles Bundesinnenministerium als Schild und Schwert der Republik den
Krieg gegen den Terror führt. In denen das Militär verpolizeilicht
und die Polizei militarisiert wird. Davon will der Film und sein Regisseur
nichts wissen. Davon will schon gar nicht die heilige Branche etwas wissen,
die von großer Industrie träumt und diesen Film jetzt vor allem deshalb
feiert, weil er sie träumen lässt und nicht auf die armselige Realität
zurückführt.
Irritationen
werden konsequent vermieden
Geschichtspolitisch ist dies einmal
mehr ein Film, der mit ästhetischen Mitteln an der Bildung einer deutschen
Opfergemeinschaft schmiedet. Der Irritationen konsequent vermeidet, der aus
diesem Vermeiden ein System macht. Versöhnungskitsch. Der Filmtitel ist
daher verräterisch: "Das Leben der Anderen" handelt vom Leben
der anderen, nicht vom eigenen des Regisseurs. Henckel von Donnersmarck hat
einen Film über das Leben der Deutschen aus der DDR gemacht - mit westdeutschem
Blick auf die Vergangenheit:
Sie ist nicht unsere, sondern
etwas Fremdes, das uns nichts zu sagen hat, sondern nur bestätigt, das alles
gut so ist, wie es jetzt ist. Gibt es eine Figur, die so etwas verkörpert
wie die Legitimität der DDR? Es geht dabei nicht um Ausreden, wie: Man
solle doch auch die schönen Seiten sehen. Worum es aber schon geht, ist
Differenzierung. "Das Leben der Anderen" ist einerseits ein Film über
die schlimme DDR und doch ein Täterversteher-Film, der gerade damit auch
von einer anderen Seite aus nichts anderes macht als "Der Untergang":
Die Vermenschlichung des Bösen. Sie waren ja doch nicht so schlimm, oder?
Henckel von Donnersmarck richtet
es sich im Schrecken gemütlich ein. Er präsentiert die DDR genau so
einfach und klar und eindeutig, das man nicht mehr viel nachdenken muss, dass
man weiß, wo man steht. Er zerteilt die Vergangenheit in kleine, mundgerecht
konsumierbare Stücke, in Unterrichtseinheiten. Man wird ihn den Schulklassen
zeigen, bis man ihn nicht mehr sehen kann. Schon jetzt ist man eigentlich, wenn
man etwas gegen diesen Film sagt, nicht nur anderer Meinung, sondern ein schlechter
Mensch. Es nutzt dem Regisseur aber gar nichts, wenn man sich jetzt über
solche Seiten und über die großen ästhetischen Defizite hinwegtäuscht,
wenn man so tut, als mache ein gutes Thema und eine moralisch korrekte Haltung
schon einen guten Film, als merke man nicht eben doch auch, dass dies ein Erstlingsfilm
ist.
Klar: "Das Leben der Anderen"
wird ein Erfolg werden. Er wird es auch, aber nicht nur, weil dies gut gemacht
ist. Aber er bringt das Kino nicht weiter. Und wenn man ihn jetzt mancherorts
- auch dort, wo dies nicht durch offenkundige Interessen erklärbar ist
- als "großes Kino" feiert, wenn man so tut, als wäre dies
eine cinematographische Offenbarung, dann hat dies auch viel mit den Defiziten
unserer Filmkultur zu tun, damit, dass es eine ästhetische Filmerziehung
in Deutschland eigentlich gar nicht gibt.
Und dass in der DDR noch die Kinder
nur über Stasi und Politik geredet haben, glaubt sowieso kein Mensch. "Das
Leben der Anderen" hat bei aller handwerklichen Könnerschaft auch
den faden Geschmack eines Thesenfilms und lässt letztlich kalt.
Rüdiger Suchsland
Dieser Text ist zuerst erschienen am 28.03.2006 in: telepolis
Zu diesem
Film gibt’s im archiv der filmzentrale mehrere
Texte
Das Leben der
Anderen
Deutschland 2005
- Regie: Florian Henckel von Donnersmarck - Darsteller: Martina Gedeck, Ulrich
Mühe, Sebastian Koch, Ulrich Tukur, Thomas Thieme, Hans-Uwe Bauer, Volkmar
Kleinert, Herbert Knaup - Prädikat: besonders wertvoll - FSK: ab 12 - Länge:
137 min. - Start: 23.3.2006
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