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Das
Leben ist schön
Selten
hat man einen Film in zwei so auf den ersten Blick verschiedene Hälften
zerfallen sehen. Auf der einen Seite die unbeschwerte, ja alberne Komödie,
die auch das ihr gemäße glückliche Ende nach etlichen Slapstickirrungen
und -Wirrungen nimmt. Auf der anderen Seite das tragische Spiel, als das Roberto
Benigni als Vater seinem Sohn das Leben im Konzentrationslager inszeniert. Dazwischen
liegt ein großer Regie-Einfall (der einzige in diesem Film), der darin
besteht, daß in einer fast unmerklichen Blende einige Jahre auf eine Weise
ausgeblendet werden, wie das nur im Kino so schlüssig gelingen kann. Wenige
Sekunden, nachdem die Liebenden sich zum Schäferstündchen ins Gewächshaus
zurückgezogen haben, kommt der bereits fünf- oder sechsjährige
Sohn aus diesem Gewächshaus herausspaziert. Die Welt, in die ihm der Zuschauer
nun folgt, ist, binnen dieser Sekunden, eine andere geworden.
Die
Frage ist, wie diese beiden Hälften, Himmel und Hölle, Tag und Nacht,
zusammenpassen. Verbunden sind sie in erster Linie über die Benigni-Figur,
die bereits die italienische Kleinstadt-Märchenwelt des ersten Teils mit
ihrem magischen Weltverständnis zu beherrschen scheint. Esgelingen ihm
eigentümliche Verzauberungen, die, vor allem die Frau, die er umwirbt,
wie magischer Realismus anmuten mögen, aber nur die glückliche Handhabung
von Zufällen sind. Benigni ist das Genie der Lücke, des rechten Moments,
des Sich-Dazwischen-Schiebens, des Ausnutzens jedes Moments. Er ist ein Virtuose
darin, die Welt stets so zu arrangieren, daß er der Situationsmächtige
wird und sei es, im Moment, als seine Prinzessin den bösen Faschistenfreund
zu heiraten droht, durch ausgesprochene Tölpelhaftigkeit. Vor allem aber
ist es eine Sache des Mundwerks ('gift of gab', wie das auf Englisch so schön
heißt), des rhetorischen Verfügens über Welt- und Situationsdeutungen.
Im ersten Teil des Films, im leichten bis albernen commedia dell'arte Ton gehalten,
macht ihn das zum glücklichen Clown der Komödie, glücklich auch
in seiner Blindheit für den Ernst dessen, was sich zusammenbraut (und der
Film übernimmt diese Perspektive der Blindheit, der Zuschauer akzeptiert
sie dankbar). Sehr bewußt sind in diesem ersten Teil Signale gesetzt,
die auf das, was kommen wird, hindeuten. Eigentümlicherweise geht das Märchenhafte
der ersten Hälfte an den Hinweisen auf den stets gegenwärtigen, im
Stile von Lubitschs 'Sein oder Nicht Sein' weggelachten Faschismus, keineswegs
zuschanden. Vielmehr nimmt der Faschismus eher den in der Märchenstruktur
notwendigen Part des unmotiviert Bösen ein, gegen das sich der Gute zu
behaupten hat.
Im
zweiten Teil erfolgt sehr abrupt der Transport ins Lager, der Transport in eine
andere Welt, einen anderen Ton. Nicht, daß der Film nach der kulissenhaften
Theaterwelt seines sorglosen ersten Teils nun auf Realismus aus wäre. Klugerweise
ist das Gegenteil der Fall. Das Lager ist ebenso kulissenhaft wie die Kleinstadt
des ersten Teils. Zwei Momente allerdings scheinen sich
nicht
ganz zu fügen und nur hier rührt sich die etwas bedenkliche Frage,
ob das Unaussprechliche dabei nicht allzu leichtherzig vorgeführt wird.
Einmal sieht man, wie Alte und Kinder in den Vorraum der Dusche geführt
werden, deren wahre Funktion man kennt (man erinnere sich, daß auch in
'Schindlers Liste' die Duschraumszene die bedenklichste war). Der andere Moment
ist, wenn in einer surrealen Szene aus dem Nebel ein höllenbreughelscher
Berg von Skeletten vor Benigni auftaucht. Es sind das vielleicht die interessantesten
Stellen, da man sich eigentlich nur hier ernsthaft fragt, ob das geht, ob das
nicht zu weit geht in der gutmütigen Vereinnahmung des Grauens.
Diese
Frage stellt sich nicht bei der eigentlichen Pointe dieses Films, die man vom
ersten Moment an akzeptiert. Und das deutet darauf hin, daß der erste
Teil darauf mit einiger Raffinesse hingear- beitet hat. Benigni erweist sich
seinem Sohn gegenüber auch in der entsetztlichsten vorstellbaren Wirklichkeit
als der situationsmächtige Märchenonkel, der die Welt mit bloßen
Worten glaubhaft umzudeuten versteht. Der Reiz für den Zuschauer besteht,
neben der Rührung durch das aufopfernde Bemühen um das Aufrechterhalten
der erfundenen Wirklichkeit, in den Effekten dramatischer Ironie. Es ist, als
hätte man sich selbst auf eine Wette mit dem Hauptdarsteller eingelassen,
die dieser gegen alle Chancen am Ende doch gewinnt.
Das
eigentliche Problem des Films ist, für mein Empfinden, überhaupt keines,
das mit der Gefahr des Spiels mit dem Holocaust zu tun hätte. Es hat seine
schöne Richtigkeit, daß es im zweiten Teil keinen unbeschwerten Scherz
mehr gibt, daß einem ein ums andere Mal das Lachen im Hals stecken bleibt,
daß der Clown zur tragischen Figur wird. Das eigentliche Problem scheint
mir ein eher dramaturgisches und liegt darin, daß die ganze zweite Hälfte
nur die Verlängerung der einen Pointe der Wirklichkeitsumdeutung ist. Hin
und wieder werden ihr interessante Variationen abgewonnen, im ganzen aber ist
das von einer bald etwas ermüdenden Vorhersagbarkeit. Man sieht, daß
Benigni, im verständlichen Bemühen, nichts verkehrt zu machen, vor
jedem wirklichen Spiel mit dem Entsetzen zurüchschreckt. Das wäre
die andere, gefährlichere und reizvollere Option gewesen: dem Wahnsinn
des Konzentrationslagers mit dem Wagemut des Absurden und vielleicht sogar der
Geschmacklosigkeit sich zu nähern. Und so wäre der einzige Vorwurf,
den man diesem Film, an dem vieles gelungen ist, machen könnte, der, daß
er die Grenzen des guten Geschmacks kein einziges Mal überschreitet.
Ekkehard
Knörer
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Das
Leben ist schön (1997)
LA VITA – BELLA
Italien
- 1997 - 124 min.
Drama, Komödie
FSK:
ab
6; feiertagsfrei
Prädikat:
besonders
wertvoll
Verleih:
Scotia
Atlas (BMG Classics) (Video)
Erstaufführung:
12.11.1998/3.5.1999
Video
Fd-Nummer:
33422
Produktionsfirma:
Melampo Cinematografica
Produktion:
Elda
Ferri
Gianluigi Braschi
Regie:
Roberto Benigni
Buch:
Vincenzo Cerami
Roberto Benigni
Kamera:
Tonino Delli Colli
Musik:
Nicola Piovani
Schnitt:
Simona Paggi
Darsteller:
Roberto Benigni (Guido)
Nicoletta Braschi (Dora)
Giorgio Cantarini (Giosuè)
Giustino Durano (Onkel)
Sergio Bustric (Ferruccio)
Marisa Paredes (Doras Mutter)
Horst
Buchholz (Dr. Lessing)
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