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Leroy
Was heißt hier Afro-Look? Wenn sich Männer
mit feiner Naturkrause die Haare lang wachsen lassen, sehen sie nun einmal aus
wie Leroy im gleichnamigen Film. Mit HipHop oder Malcolm X hat der 17-jährige
Sohn einer weißen Kulturdezernentin und eines farbigen Erfinders zunächst
nichts am Hut. In seinem Jugendzimmer steht eine Goethe-Büste, werden Beethovens
Cellosonaten geprobt und Annäherungsversuche von Nachhilfeschülerinnen
abgewehrt, die mit der deutschen Grammatik hadern – was Leroy nie passieren
kann. Er ist ein deutscher Bildungsbürger aus Berlin-Schöneberg, wie
er höchstens noch im Buche steht. Und verliebt in die blonde Eva. Die beiden
sind auch fast schon ein Paar, obwohl Evas Familie darüber alles andere
als begeistert ist.
In seiner gewagten Multikulti-Komödie konfrontiert
Armin Völckers (Drehbuch und Regie) den zarten Leroy nämlich mit dem
braunen Sumpf: Nur Eva ist kurioserweise aus der Art geschlagen, während
ihre fünf Brüder Bomberjacken und Springerstiefel tragen, ihr Vater
Vorsitzender einer rechtsextremen Partei ist und die Mutter eine Zopffrisur
trägt, als käme sie just von einer Porträtsitzung beim „Reichsschamhaarmaler“
Adolf Ziegler. Weil Leroy von Eva nicht lassen will, erträgt er dieses
Einfamilienhaus-Panoptikum mit stiller Ironie. Aber die brüderlichen Glatzen
veranlassen einen feigen Neonazi-Anschlag auf den schwarzen Jungen. Diesem fällt
ausgerechnet Eva zum Opfer. Leroy wehrt sich auf seine Art, indem er mit seinen
Schulkumpels – darunter der Halbgrieche Dimitri und der Palästinenser Achmed
– dann doch eine Art Black-Power-Gruppierung gründet. Im pittoresken Ambiente
einer verfallenen Fabrik stehen sich die verfeindeten „Clans“ schließlich
gegenüber.
Wer denkt, dass eine Komödie vor Migrationshintergrund,
mit heiklen Ingredenzien wie Rassismus und Rechtsextremismus, so überhaupt
nicht funktionieren kann, wird von „Leroy“ eines besseren belehrt. Geschickt
umschifft Völckers die latente Verharmlosungsgefahr sogar in den Szenen
mit Evas Brüdern, gewährt überdies einen satirischen Einblick
in die Selbsthass-Struktur von Neonazis, wenn er die Kausalkette „freundlicher“
Hinterkopfschläge innerhalb der Truppe als groteske Choreographie inzeniert.
Viele andere Running Gags verpuffen allerdings – darunter die unnützen
Erfindungen von Leroys Vater, eine nymphomane Deutschlehrerin und Achmeds bayrischstämmige
Freundin, die sich partout mit Kopftuch verhüllen will.
Letztlich unterläuft der Film mit einer ganzen
Reihe läppischer Zoten den eigenen Versuch, Normalität herzustellen,
zu zeigen, wie „es normal wird, in Deutschland schwarz, griechisch, türkisch
oder russisch zu sein“ (Völckers). Wenn hier Klischee auf Klischee getürmt
wird, der Witz zur Angestrengtheit neigt, entsteht der Eindruck, Völckers
habe schlicht zuwenig Zeit bekommen, die Geschichte seines Kurzfilms „Leroy
räumt auf“ auf abendfüllende Länge zu erweitern. Oder sollte
sich die Co-Produktion durch das Fernsehen verwässernd auf das Projekt
ausgewirkt haben? Nach Volker Schlöndorffs Rauswurf aus der Produktion
„Die Päpstin“ wird ja viel über problematische Partnerschaften von
TV und Kino diskutiert …
Der Vorteil des Spielfilms, der nur teilweise auf
die Besetzung seines 20-minütigen Vorgängers zurückgreift, liegt
in der tadellosen Darstellerriege, angeführt von Alain Morel als sympathisch-schlitzohrigem
Leroy und Anna Hausburg als Eva. Der Musiker Afrob hat einen Gastauftritt als
bissiger, einem Blaxploitation-Film der 70er-Jahre entsprungener, Blackula.
Und die extra für den Film produzierten Songs verschiedener Hiphop-Stars
wie Afrob, Curse, Harris oder Clueso machen einfach Spaß. Am Schluss erringt
Leroy immerhin einen Teilsieg über Evas braune Brüder, indem er sie
kurzerhand vereinnahmt: der seltsame Gruppen-Mix nennt sich „Skin Sinc featuring
LeRoy Black“ und unter diesem Label wird auch gleich ein Musikvideo aufgenommen.
Leadsänger Leroy setzt auf eine altbewährte Strategie: Ob Teds oder
Punks – die Musikindustrie habe bisher alle querständigen Gruppierungen
kleingekriegt. Eine Mainstream-Variante von Christoph Schlingensiefs „Nazis
rein“-Hamlet-Projekt in Zürich also? Ob die Rechnung aufgeht, darf bezweifelt
werden. Als Schlusspunkt – oder besser: dickes Fragezeichen – am Ende einer
filmischen Gratwanderung überzeugt das Finale allemal.
Jens Hinrichsen
Dieser Text ist
zuerst erschienen in: film-dienst
Leroy
Deutschland
2006 - Regie: Armin Völckers - Darsteller: Alain Morell, Anna Hausburg,
Constantin von Jascheroff, Arnel Taci, Paul Maaß, Günther Kaufmann,
Eva Mannschott, Afrob, Julius Jellinek, Andreas Schulz, Raphael Wildt - FSK:
ab 12 - Länge: 89 min. - Start: 27.9.2007
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