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Les
amants réguliers
Wer
aus Philippe Garrels Les
amants réguliers kommt
und gut gelaunt ist, ist ein Reaktionär. Wer aus diesem Film kommt und
keine Hoffnungen für das Kino hat, übrigens auch. Soviel zu den Anmaßungen,
jetzt zur Sache: Notizen zu einem dreistündigen Revolution Blues in lichterloh
brennendem Schwarzweiß.
Dass
Les
amants réguliers
in Wien bereits zu sehen sind, ist schade. Damit haben das verdiente Wiener
Stadtkino und sein Publikum einen der atmosphärisch dichtesten Kino-Trailer
seit langem verloren. Eingerahmt von zwei Inserts mit den wichtigsten Filmdaten
sieht man in einer einzigen, ungeschnittenen Einstellung eine Gruppe junger
Menschen zu einem Song von The Kinks tanzen. Die scharfen Kontraste der Schwarzweiß-Aufnahme
glühen förmlich auf der Leinwand, die Kamera folgt neugierig mal diesem,
mal jenem ausgelassenen Körper in Hippie-Kluft, während der Song schon
vom Vergehen des genossenen Moments berichtet: "This time tomorrow,
where will we be?/ On a spaceship somewhere sailing across an empty sea."
Diese
Szene wehmütigen Sich-Aufbäumens, mit der Les amants réguliers
beworben
wird, ist erstaunlich - umso mehr, wenn man den Film bereits gesehen hat. Denn
wer aus diesem knapp dreistündigen Requiem für die Revolte anno Mai
68 kommt, dem ist der jugendliche Übermut soeben gründlich ausgetrieben
worden: Der Großteil dieses Films handelt gerade vom Verblassen und Ausbleichen
jenes Lebensgefühls, das heute bis zum Klischee mit der Chiffre "1968"
verbunden ist, von der Konfusion der eigenen Ideale und Vorstellungen und der
erdrückenden Übermacht der autoritären Strukturen. "It’s
better to burn out than to fade away"?
Gegen den erdrückend nüchternen Freitod des Protagonisten François
(gespielt von Philippes Sohn Louis Garrel) ist der lapidare Selbstmord Cobains/Blakes
in Gus Van Sants Last
Days eine
Heilands-Kreuzigung mit Erdbeben und Himmelsfinsternis.
Um
Trost, Zuversicht und (auch formale) Sicherheit sollte man nicht zu Garrel kommen,
und dafür hat er auch seinen Preis zahlen müssen: In den meisten Topographien
des zeitgenössischen französischen Kinos ist für den arbeitsamen
Mittfünfziger nicht einmal der Nischenplatz eines Geheimtipps übrig.
Sein harsches Werk ist (sowohl auf Film als auch auf anderen Datenträgern,
und sogar in einer cinephilen Stadt wie Wien) praktisch unsichtbar, und das
ist angesichts der Freiheit und Eigenständigkeit seines Schaffens einerseits
nahe liegend und andererseits ein zu behebendes Übel.
Denn
gerade auf der Leinwand entfaltet Garells Inszenierung beachtliche Energien
und Schönheiten. Die virtuose erste knappe Stunde findet für das eigentlich
unlösbare Problem, einen überkonnotierten politischen Mythos wie die
Pariser Straßenschlachten im Mai 1968 glaubwürdig filmisch darzustellen,
eine verblüffend überzeugende Lösung nach der anderen. Danach
schlittert die Handlung, ihren Charakteren entsprechend, träge dahin -
wobei durchaus diskussionswürdig ist, ob einzelne Figuren und Konstellationen
(vor allem ein reicher Bengel, der sich zum charismatischen (Ver-)Führer
der Rebellengruppe aufschwingt) nicht ein wenig plump lehrstückhaft gewählt
sind. Aber der wesentliche erzählerische Inhalt dieses Films liegt ohnehin
in seiner Form: Die unberechenbaren Rhythmen zwischen verstreichender Dauer
und abrupten Ellipsen, die rätselhafte Syntax der oft beiläufigen
Handlungsschnipsel, die brillante Schwarzweiß-Photographie (Kameramann:
William Lubtchansky) - das alles wirkt zusammen zu einer verstörenden Bildmusik.
Die
(Leinwand-)Quadratur des (Welt-)Kreises - konkretes Ding-Material zu Bildern
zu abstrahieren und das abstrakte Leinwandbild zugleich mit konkreter Dinglichkeit
zu füllen - dieses Verhältnis entfaltet sich in Les amants réguliers mit
einer Selbstverständlichkeit, wie sie vielleicht nur ein sturer Einzelgänger
über Jahrzehnte entwickeln kann. Eine Verfolgung mit einem Polizisten in
der Tradition der Stummfilm-Burleske; Phantasien der Französischen Revolution;
eine verschmitzte Szene mit Philippes Vater Maurice Garrel; Hauptdarstellerin
Clotilde Hesme, in Blue Jeans und Hemd lässig Räume durchquerend;
oder auch einfach nur der Klang, wenn Besteck auf einen Tisch gelegt wird: Das
alles ist fundiert in einer sehr spezifischen Ästhetik und Arbeitsethik,
die nicht den geübten Feingeist betören will, sondern die Sinne schärfen.
Wenn "Qualitätsfilme" ätherische Öle sind (zumindest
werden sie gerne angepriesen, als wären sie das), dann ist Les
amants réguliers
ein Eimer kaltes Wasser, der einem energisch ins Gesicht geschüttert wird,
wenn man nur den Kopf hinhält. Vielleicht ist die Revolte doch nicht ganz
so tot.
Joachim Schätz, 10.2.2006
Les
Amants réguliers
Frankreich/Italien
2005
Regie:
Philippe Garrel
Autor:
Philippe Garrel
Kamera:
William Lubtchansky
Musik:
Jean-Claude Vannier
Verleih:
Stadtkino
Darsteller:
Louis Garrel (François), Clotilde Hesme (Lilie), Mathieu Genet, Nicolas
Bridet, Eric Rulliat
Länge:
178 min.
Filmstart
(Österreich): 28.01.2006
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