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Les
Temps qui changent
Heißkalte
Begegnungen
Die quicklebendige Kinoerzählung „Les Temps
qui changent“ bringt die Leinwandbeziehung von Catherine Deneuve und Gérard
Depardieu nach sechzehnjähriger Unterbrechung vorläufig zu einem glücklichen
Ende.
Antoine Lavau (Gérard Depardieu) ist im marokkanischen
Tanger, um im Dienste eines europäischen Konzerns den Bau eines Rundfunkgebäudes
zu überwachen. Aber zwischen den Geschäftsbesprechungen, Baustellenbegehungen
und Wartezeiten im Luxushotel verfolgt der verkniffene Anzugträger noch
eine andere Mission: Er möchte seine erste große Liebe Cécile
(Catherine Deneuve, sympathisch zerknautscht und strahlend schön wie immer)
zurück erobern, nach der er sich seit dreißig Jahren sehnt. Mit anonym
versandten Rosensträußen und närrischer Zielstrebigkeit drängt
er sich ins ohnehin ziemlich bewegte Leben der Arztgattin und Radiomoderatorin
– und lässt Gérard Depardieu dabei auf so souveräne Weise völlig
daneben wirken wie schon lange nicht mehr.
Wie sein Antoine in einer Einkaufspassage, versteckt
hinter Topfpflanzen, verstohlen Cécile hinterher späht, um gleich
darauf mit vollem Schwung in eine Glaswand (und Céciles Gatten in die
Arme) zu rennen, das lässt mit einem Schlag alle Auguste Rodins, Obelixe
und Christoph Kolumbusse vergessen, mit deren emphatischer Verkörperung
Depardieu im Laufe der letzten zwanzig Jahre vor allem Ego und Reputation gepflegt
hat.
Die Zeit der großen Männer ist (hoffentlich)
vorbei (siehe auch zuletzt Depardieus hübsch abgefuckter Part als tingelnder
Schlagersänger in „Chanson d’Amour“), dafür bietet sich im gelassenen
Alterswerk die Gelegenheit, offene emotionale Rechnungen zu begleichen: Gut
30 Jahre haben Antoine und Cécile einander in André Téchinés
„Les Temps qui changent“ (2004) nicht gesehen, und auch die letzte gemeinsame
Szene von Catherine Deneuve und Gérard Depardieu ist immerhin schon eineinhalb
Dekaden her: Am Ende von François Dupeyrons „Drole d’endroit pour un
rencontre“ (1988) fuhren sie – nach insgesamt fünf gemeinsamen Filmen in
acht Jahren – als schwer dysfunktionales Neurotikerpärchen von einem trüben
Raststättenparkplatz los ins Ungewisse: ein adäquat verhaltenes, unsicheres
Ende für eine Leinwandpaarung, die vor allem von den heftigen Kontrasten
zweier haarsträubend unterschiedlicher Schauspieltypen lebte.
War die Deneuve von ihren frühen Glanzrollen
der 60er Jahre an – ob als frigide Bürgerdame („Belle
de jour“) oder unglücklich verliebtes
working girl
(„Die Regenschirme von Cherbourg“) – eine Meisterin entleerter Blicke und kühler
Bewegungsmechanik, so kam der theatralische Kraftlackl Depardieu selbst dann
angespannt wie ein Boxer daher, wenn er einmal (ausnahmsweise) keinen darstellte.
In Kombination ergab das in den 80ern heißkalte
darstellerische Schlagabtäusche, die nicht selten wesentlich klarer und
aufregender über die Figuren und ihre verkrachten Beziehungen erzählten
als Drehbuch und Inszenierung zusammen. Wie die Deneuve in Dupeyrons Kammerspiel
als demütige verlassene Ehefrau im Laufe einer einzigen Dialogzeile von
unnahbarer Kühle zu tiefster Verletzlichkeit und wieder zurück wechselt,
das verhält sich zur soliden Charakterschnitzerei des Drehbuchs wie der
französische Originaltitel des Films (übersetzt etwa: „seltsamer Ort
für ein Treffen“) zum deutschen Holzhammer-Synchrontitel („Nächtliche
Heimsuchung – Hemmungslos“, im Ernst). Und François Truffauts „Die letzte
Metro“ (1980), der erste und bekannteste gemeinsame Film des Stargespanns, mag
ein charmantes und berührendes Stück Humanismuskino sein: Aber eine
Woche später erinnert man sich an den unerwarteten ersten Kuss zwischen
Deneuves Theaterleiterin Marion und Depardieus Nachwuchsschauspieler Bernard
(und seinen überrumpelten Blick gleich danach), und nicht an ihren heroischen
Kampf gegen die Nazis oder an Truffauts Philosophieren über das Verhältnis
zwischen Kunst und Leben.
Trotzdem durften die beiden Ikonen im Film nie wirklich
zusammenkommen (in der Realität ist ohnehin nichts über eine Liaison
bekannt), so als wäre etwas Anstößiges an einer Vereinigung
derart gegensätzlicher Präsenzen: Truffaut erzählt die Affäre
ihrer Charaktere peinlich diskret wie ein Schulbub mit hochroten Ohren, bei
Dupeyret verpassen die beiden einsamen Herzen einander emotional immer wieder
um Haaresbreite, und in Alain Corneaus „Die Wahl der Waffen“ (1981, wo Schauspieler-Chansonnier
Yves Montand die Legenden-Trias der französischen Populärkultur komplettiert)
muss einer von beiden binnen Minuten sterben, wenn die kalte Gangstergattin
und der zornige Verbrecher auf der Flucht einander im Schlussakt schließlich
begegnen.
Der gern unterschätzte Regieveteran André
Téchiné („Diebe der Nacht“, „Meine liebste Jahreszeit“) – der
als ehemaliger Filmkritiker der hollywoodverrückten „Cahiers du Cinéma“
wohl bestens um Faszination und Tücke des Star-Systems weiß – beschert
dem vielgeprüften Leinwandpaar nun mit „Les Temps qui changent“ ein Happy
End in mehrfacher Hinsicht: Schöner und geistesgegenwärtiger wurde
das flinke Zusammen- und Gegeneinanderspiel von Deneuve und Depardieu nie eingefangen
als von Téchinés agil bis fahrig umherschweifender Kamera.
Um den lächerlich beharrlichen Antoine und die
desillusionierte Cécile am Ende dauerhaft zusammenzubringen, muss freilich
(soviel sei verraten) auch Téchiné ein wenig schummeln und seiner
offenen, vielschichtigen Erzählkonstruktion ein brutal abruptes Ende verpassen.
Bis dahin fügt sich die eigenartige Reibung seiner beiden Stars aber hervorragend
in eine schöne, quicklebendige Kinoerzählung der unvereinten Gegensätze,
deren dichtes Gewirr kultureller und sexueller Irrungen und Wirrungen Téchiné
gar Vergleiche mit Honoré de Balzac eingebracht hat. Den hat Depardieu
übrigens, natürlich, auch schon einmal gespielt.
Joachim Schätz
Dieser Text ist zuerst erschienen
in: www.falter.at
Les temps
qui changent
Frankreich 2004
Regie: André
Téchiné – Drehbuch: André Téchiné, Laurent
Guyot, Pascal Bonitzer – Kamera: Julien Hirsch – Schnitt: Martine Giordano –
Produktion: Paulo Branco – Musik: Juliette Garrigues – Laufzeit: 90 Minuten
Darsteller:
Catherine Deneuve, Gérard Depardieu, Gilbert Melki, Malik Zidi, Lubna
Azabal, Tanya Lopert, Nabila Baraka, Idir Elomri, Nadem Rachati, Jabir Elomri
und andere...
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