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Let’s
Get Lost
Manchmal kann man in Filmen noch erschrecken, in
diesem zum Beispiel. Nein, nicht über die ratlose Schönheit von Chet
Bakers Trompetenstil und seinen wie mit letzter Kraft vorgetragenen und dann
doch immer waghalsigen Gesang, auch nicht über die Spuren der Zerstörung,
den Schatten des Todes, den nicht nur das Rauschgift, nicht das exzessive Leben
gegen die Ordnungen allein, sondern auch die Neurose auf dem Asketengesicht
hinterlassen haben, sondern darüber, wie eng das beides zusammengehört.
Let's Get Lost,
das ist der Titel eines Stücks von Chet Baker, aus dem Jahr 1955, es beschreibt
eine Lebenshaltung: „We sure knew how to get lost!" erinnert sich die Sängerin
Joyce Night Tucker an ihre Zeit mit Chet Baker. Und es gibt das Ziel dieses
Films an, der eine Reise mit dem gezeichneten, kaputten und todmüden Trompeter
von der West- zur Ostküste dokumentiert. Dazwischen Ausschnitte aus Filmen,
aus Fernsehshows mit Chet Baker, Konzertaufnahmen, Gespräche mit Musikern,
die in den fünfziger Jahren, auf dem Höhepunkt seines Ruhms, mit ihm
zusammenspielten, mit den Frauen, die mit ihm zusammenlebten (sofern man in
diesem Zusammenhang davon sprechen kann), mit seiner Mutter. Nein, Bruce Weber
hat in diesem Schwarzweißfilm, der ein Dokumentarfilm ist und zugleich
ein Road Movie, ein Endzeitwestern, ein Melodram, ein „From rags to riches to
rags"-Film, sogar eine Komödie, und ein film noir, Bruce Weber hat
in diesem Film, den er ganz nach seiner Philosophie, nämlich Dokumentarmaterial
wie einen Spielfilm zu montieren, behandelt, die Frage nicht beantwortet: „Wer
war Chet Baker". Er hat Chet Baker-Geschichten versammelt, Miniaturen,
die sich gegenseitig beweisen, daß sie weder wirklich wahr noch ganz und
gar erlogen sind. Und Chet Baker selbst erzählt mit einer Stimme, die sich
selbst nichts glauben will, sarkastisch und - lost, sehr lost - seine Chet Baker-Geschichte.
Nebenbei erklärt das ein wenig den Unterschied
zwischen den Stars der Jazz-Ara und denen der modernen Pop-Musik. Die Jazzer
mußten alles dafür tun, eine LEGENDE zu werden - es war die Eisenhower-Ära,
in der sie groß wurden: hier gab es keine counter culture, die ästhetische
Opposition war Sache des Einzelnen. Pop-Musiker der achtziger Jahre dagegen
müssen ein IMAGE schaffen. In dieser Zeit der Beliebigkeit bedarf es immenser
Intelligenz, ästhetische Opposition in die Programme zu schleusen. Insofern
ist Bruce Webers Film auch eine Reise zurück in die fünfziger Jahre,
die ich nach Deutschland verlängern kann, bis zu einem sonderbaren Bild,
das den jungen Chet Baker und die junge Caterina Valente zeigt, mit der zusammen
er 1956 eine Version von Every Time
We Say Goodbye, We Die a Little aufnahm.
Chet Baker spielte niemals cool, er konnte nie so
kalt die Welt beschreiben und sie zugleich verachten wie Miles Davis. Sein Trompetenspiel
war sanft, er schmeichelte seinen Zuhörern, ohne ihnen etwas vormachen
zu wollen: seine Trompete ebenso wie, später, der Gesang waren Stimmen
eines Verführers, der sich schon wieder aus dem Staub macht. Diese Musik
stammte von jemanden, der geliebt werden wollte, und seine Pose eines James
Dean des Jazz, eines rebellischen Originalgenies der lost generation (die die
Photos von William Claxton stilisieren) entsprach dieser Spielweise, in der
die Klage das Metrum, die Leidenschaft das Schema überwindet. Er blickt,
auch bei seinen Konzertauftritten, stets ein wenig von unten, sucht die Blicke
der anderen, um sich schnell wieder abzuwenden. Während seine Mitspieler,
hart arbeitend, ihre Instrumente fixierten, spielte Chet Baker immer nebenhin,
seine Zuhörer waren wichtiger als das Instrument: Chet Baker war immer
auch ein Schauspieler und er blieb es, wie die, die ihn kannten, erzählen,
selbst als Freund, als Liebhaber, als Junkie.
Gerade vom Militär entlassen komplettierte er
Gerry Mulligans Trio zum Quartett, das in den elf Monaten, in denen es Bestand
hatte, eine Reihe von Platten aufnahm und dabei für viele Kritiker und
Historiker zum besten Jazz-Quartett aller Zeiten wurde. 1952 machte das Solo
über Mulligans Version von My
Funny Valentine Chet Baker zum Star.
Er trennte sich von Mulligan; im Film erscheint es, als sei der Grund dafür
die Tatsache, daß er nun kein „sideman" mehr sein konnte, aber in
Wahrheit ging es wohl ums Geld und darum, daß Baker nicht besonders zimperlich
war, an sich selbst zuerst zu denken. Baker stellte verschiedene eigene Combos
zusammen. 1955 wurde er von den „Down Beat"-Lesern zum weltbesten Trompeter
gewählt, trat in Fernsehshows auf, dann in Tom Gries’ Korea-Kriegsfilm
HELL'S HORIZON.
Er hätte eine amerikanische Institution werden
können, die modernere Variante vom „Young Man with a Horn", aber Chet
Baker war zu unstet, seine Musik kam ihm zu natürlich, machte ihm zu wenig
Arbeit.
Trotz der wunderschönen Musik, die er gemacht
hat, ist Chet Baker nie ein großer KünstIer geworden. Bei einer Umfrage,
die Leonard Feathers veranstaltete, wurde er neben Dave Brubeck und Louis Armstrong
zum meist überschätzten Jazz-Musiker aller Zeiten gewählt. Die
Leute hatten recht und doch nichts verstanden.
Chet Baker ging nach Europa und sammelte Mißgeschicke
wie andere Leute Postkarten. Unterdessen verfilmte Hollywood seine Legende.
In ALL THE FINE YOUNG CANNIBALS (1960, Regie: Michael Anderson) spielt ihn Robert
Wagner: Natalie Wood und George Hamilton sind neben ihm in dem Ausschnitt daraus
zu sehen, den Bruce Weber ausgewählt hat und der zeigt, daß schon
fast alles verloren war. Aus den Titeln seiner Platten in den siebziger Jahren
ist eine Biographie zu formen: Blood,
Chet & Tears (1970), You Can't Go Home Again
(1977), Broken Wing (1978), Leaving (1980), Everything
Happens to Me (1984). Zu Webers Film
wurde in Paris eine Platte aufgenommen. Chet
Bakers Sings and Plays From the Film LET’S GET LOST (RCA/Novus). Sie ist jetzt sein Vermächtnis geworden.
Am Ende der Reise kommt es doch noch zu der Frage
des Filmemachers nach Chets Zerstörung, sie ist das geheime Ziel, und wir
erfahren von Chet Baker, das alles so ist, weil es nicht anders sein kann. Er
verabschiedet sich von uns mit einem Satz aus einem seiner italienischen B-Movies:
„Sono stanko. Vuole dormire." Als Chet Baker durch den Sturz aus einem
Hotelzimmer starb, war er wieder ein Idol, ein Bild der anderen Seite der fünfziger
Jahre, eine Legende geworden, selbst musikalisch plötzlich wieder ungemein
aktuell. Aber Bruce Webers Film ist kein Denkmal, er ist die Beschreibung einer
persönlichen und musikalischen Erinnerung im Zustand des Verlorengehens.
Georg Seeßlen
Dieser Text ist zuerst erschienen
in epd Film 11/89
Let’s
get lost
LET'S
GET LOST
USA
1988. R,B: Bruce Weber. K:
Jeff Preiss. Sch: Angelo Corrao. M: Chet Baker. Pg: Little Bear Inc. Production.
Gl:
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