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Der
letzte Mann
Beinahe
völlig ohne Zwischentitel, bloß mit visuellen Mitteln erzählt
F.W. Murnau in Der
Letzte Mann
die als Militärsatire intendierte Geschichte eines obersten Hotelportiers,
der unter dem Vorwurf der Altersschwäche seines Amtes enthoben wird und
fortan die sanitären Anlagen des Hotels zu pflegen hat. Die geliebte Uniform,
die ihm zuhause, in den ärmlichen Wohnkolonien der Hinterhöfe, bei
Familie und Nachbarschaft Respekt und Autorität verliehen hat, wird ihm
entrissen. Um zuhause sein Gesicht nicht zu verlieren, entwendet er die Uniform
heimlich. Doch der Schwindel fliegt auf: Nun ist er nicht nur entehrt, sondern
auch noch dem Hohn und Spott seiner Mitmenschen ausgesetzt. Am tiefsten Punkt
angelangt, kommt ihm der Autor des Films zu Hilfe, der sich selbst, zumindest
im Zwischentitel, in den Film schreibt und sowohl dem Portier als auch dem Film
selbst ein wahrlich überschäumendes Happy End überstülpt,
welches so nicht nur im wahren Leben "sich nicht zuzutragen pflegt",
sondern darüber hinaus auch noch augenzwinkernd den wahren Motor jedweder
Autorität beim Namen benennt: Das liebe Geld, welches dem Portier in Form
einer dubiosen Erbschaft letztendlich zukommt.
Man
mag über den Erfolg des Films als Satire gewiss geteilter Meinung sein.
Siegfried Kracauer beispielsweise deutete die Aussage eher gegenteilig als Affirmation.
Die an und für sich grundsympathische Zeichnung des alten Mannes, der mit
seiner Degradation nicht umzugehen weiß, mag dem eigentlichen Vorhaben
sicher etwas im Wege stehen, andererseits offenbart die Thematisierung des Uniformenfetischs
nicht etwa als persönliche Schwäche, sondern eher als gesamtgesellschaftliche
Problematik, in der der Einzelne nur wenig Souveränität aufweist,
aber auch recht moderne Ansatzpunkte. Wie auch immer: Murnaus Film nur durch
die ideologische Brille zu betrachten, wird ihm gewiss nicht gerecht. Denn die
Qualitäten liegen eindeutig im visuellen Bereich (was selbst Kracauer anerkennt,
der den Film auch und gerade deshalb als "bedeutend" bezeichnet):
Die Vorgehensweise der "entfesselten Kamera" Karl Freunds erweist
sich nicht nur als Mutter der Plansequenz, sie erschafft auch ganz wunderbare
Bilder und Erzählstrategien, die wohl wirklich nur in jener schmalen Epoche
des Films zwischen der technisch ausreichenden Entwicklung der Kamerakonstruktion
und dem Aufkommen des Tonfilms kurz darauf denkbar gewesen sind: Indem man ihn
durch Kamerafahrten und das stete Eindringen der Kamera in die Dekoration simuliert,
ist man dem Ton immer auf der Spur. Der geschickte Einsatz von verzerrenden
Linsen oder davor angebrachter eingefetteter Glasplatten folgt zudem der noch
jungen Tradition des deutschen expressionistischen Films (dessen letztes Werk,
Metropolis
(D 1926), Freund wenig später ebenfalls fotografieren sollte) und subjektiviert
in schöner Regelmäßigkeit das Geschehen auf radikale Weise.
Gipfel dieser Bemühungen ist wohl eine Traumsequenz des alten Portiers,
in der sich diese Verfremdungsmaßnamen in Verbindung mit der Vorwegnahme
der Steadycam - Freund band sich die Kamera mit Seilen vor den Bauch - zu einer
visuell vor allem vor dem historischen Hintergrund beeindruckenden Phantasmagorie
verdichten. Eher schon unbemerkt sorgen zudem allerlei Tricks mit verfälschten
Perspektiveverhältnissen zu einer ungewöhnlichen Tiefe des Bildes,
die die (vorgeblich) gigantomanischen Bauten von Metropolis bereits leise und
für den Zuschauer kaum ersichtlich andeuten.
Dies
zu erkennen kommt einem die ausführliche und liebevoll konzipierte Dokumentation
zu Hilfe, die unter Verwendung vieler Quellmaterialien diverser Archive Entstehung,
Hintergründe und Geschichte des Films erhellt. Besonders interessant ist
hierbei die Schilderung der gewieften Special Effects, mit der besagte räumliche
Tiefe simuliert wurde, und natürlich die Geschichte der Restauration selbst.
Die nimmt sich so spannend wie eine Detektivgeschichte aus, wenn verschiedene
Negative verglichen werden und das Originalnegativ wieder aus internationalen
Beständen sorgfältig rekonstruiert wird. Eine Detektivgeschichte mit
Happy End im übrigen, denn das Bild dieser DVD kann sich absolut sehen
lassen. Zwar bleibt ein zweites Restaurationswunder, wie Metropolis
zuvor eines darstellte, aus, doch erstrahlt Murnaus Film dennoch in bislang
nicht gekanntem Glanz. Von einigen wenigen Alterserscheinungen abgesehen, ist
das Bild rundum perfekt, da zudem auch der Transfer sorgfältig durchgeführt
wurde. Die originale Musik wurde um fehlende Stellen ergänzt und im satten,
glasklaren Sound neu eingespielt. Abgerundet wird diese rundum gelungene Edition
dann noch von einem schön gestalteten Digipack mit hübschem Beiheft
und einem Pappschuber, der sich im Regal fürs Auge perfekt neben der Metropolis-DVD
einsortieren lässt. Einmal mehr hat die Transit Film ganze Arbeit geleistet
- auf die weiteren Veröffentlichungen (angekündigt sind beispielsweise
schon Wegners Golem,
Wienes Caligari
und viele andere Schätze des deutschen Stummfilms) wird sich schon jetzt
gefreut.
Thomas
Groh
Dieser Text ist zuerst erschienen bei: Jump Cut
Zu diesem Film gibt es im archiv der filmzentrale mehrere Texte
Der
letzte Mann
(1924)
Deutschland
- 1924 - 73 min. – schwarzweiß - Melodram - Verleih: Deutsches Institut
für Filmkunde (DIF) - DIF/Atlas (16 mm) - Erstaufführung: 23.12.1924/5.5.1958
DFF 1/7.2.1962 ARD/1964 (WA) - Produktionsfirma: Union-Film der Ufa
Produktion:
Erich Pommer
Regie:
Friedrich Wilhelm Murnau
Buch:
Carl Mayer
Kamera:
Karl Freund
Musik:
Giuseppe Becce (Kompilation)
Darsteller:
Emil
Jannings (Der Portier)
Max
Hiller (Bräutigam)
Maly
Delschaft (Portierstochter)
Emilie
Kurz (Tante des Bräutigams)
Georg
John (Nachtwächter)
Hans
Unterkircher (Geschäftsführer)
DVD:
Technische Details:
Bildformat:
4:3 Vollbild
Sprachen:
Stummfilm (Dolby Digital 5.1 / Dolby Digital 2.0)
Untertitel:
-
Regionalcode:
2
Zusatzmaterial:
Dokumentation, Biografien der wichtigsten Beteiligten
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