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Die
letzten Tage in Kenya
Europäische und amerikanische
Afrika-Filme haben immer etwas Verrücktes an sich. Nicht allein, weil in
jeder Geschichte nur das Gespenst des Kolonialismus wüten kann, sondern
auch, weil ein unvergleichliches Licht, eine Luft, die den Blick nicht trüben
will, die Technik und Ästhetik des Filmemachens herausfordert. Die Verrücktheit
dieser Filme wird besonders deutlich, wenn man sie mit afrikanischen Filmen
vergleicht, die sich in ihrer Poesie „vernünftig" verhalten, den Schatten
suchen, nicht in die Sonne sehen, die falschen Bewegungen meiden. Europäer
beginnen in Afrika zu sehen und sind auch schon todkrank. So entstehen Filme
der Entfremdung, des Selbsthasses; für ihre Schönheit ist der Preis
der Agonie zu zahlen.
In Afrika kann der Film nur beginnen
zu malen, in den schmutzigen, flächigen Pastelltönen von DER SAUSTALL,
in den Farbschraffuren von JENSEITS VON AFRIKA oder nun im Stil der ligne claire in DIE LETZTEN TAGE IN KENYA.
Die klare Linie, wie mit einem Haarpinsel der Nummern 9 bis 12 oder - im derbsten
Fall - wie mit einem Lippenstift aufs Zelluloid gewuchtet, gibt den Figuren
überstarke Konturen, überstarke Identitäten. Betont wird das
noch durch die acrylhaften, „lauten" Farben, die sich eine Vermischung
anders als in Form des linearen Übergangs nicht gefallen lassen.
Der Stil der ligne claire, der ungemein effektvoll eingesetzt
werden kann, muß das Geheimnis der Personen durch das Geheimnis der Beziehungen
und Bewegungen ersetzen. Die Personen selbst verhalten sich indes plakativ,
was in diesem Film heißt, sie sind ganz und gar identisch mit ihrer Rolle:
Seht her, ich bin schön! Seht her, ich bin alt! Seht her, ich bin morbide!
Seht her, wie dekadent unsere Welt ist: will sich amüsieren, jeder für
sich und in de Sadescher Freiheit gegen die anderen, während drüben
der alte Kontinent im Weltkrieg blutet, weiß nichts von Afrika, dessen
Schönheit man sich als die zum Paradies vergrößerte Abbildung
Europas angeeignet hat. Und seht her, ich bin der kauzige Kolonialist, der hier
kein Fremder bleibt, die Sprache spricht jener Schwarzen, die nicht aufhören
zu glauben, die Rinder gehörten dem Himmel und nicht dem Kolonialherren, der das Land einzuzäunen
begonnen hat. Da es ihm um diese Konturen geht, vernachlässigt (um nicht
zu sagen: verhöhnt) Radford seine Kriminalgeschichte: Im Happy Valley sammeln
sich die reichen Engländer in einem nahezu ununterbrochenen Fest, in dessen
Zentrum Alkohol, Drogen, Sex und morbide Inszenierungen stehen. Josslyn Hay,
Earl of Erroll, Karrierist und Frauenheld, ist Hauptdarsteller und Nutznießer
des Stückes. Er erobert, kaum ist sie angekommen, die junge Frau des alternden,
dem Spiel und der Bitterkeit verfallenen Sir Henry „Jock" Delves Broughton,
Diana. Was geschehen durfte, wenn es nur kein Aufsehen erregen würde, mündet
in etwas, das nicht geschehen durfte, nämlich in Liebe (oder was in Happy
Valley dafür gelten mag). Nachdem Josslyn und Diana keinen Hehl aus ihrer
Beziehung machen, will auch Jock als echter Gentleman sein Versprechen wahr
machen, Diana gehen zu lassen, wenn sie es wünscht. Man feiert ein Abschiedsmahl.
In derselben Nacht wird Joss ermordet. Jock wird als Hauptverdächtiger
verhaftet, aber es gibt andere, die ein Motiv gehabt hätten: die ehemalige
Geliebte Alice (die hinreißend kaputte Sarah Miles), die verschmähte
Gladys, Lady Delamore, und alle jene, die in dem skrupellosen Spiel der Abhängigkeit
verloren. Alice erschießt sich, einzige dramatische Geste, die ihr noch
übrigbleibt, während Jock freigesprochen wird, einerseits, weil man
einen englischen Gentleman hier nicht verurteilt, und andererseits, weil seine
Verteidigung in sich schlüssig ist. Doch die Regeln von Happy Valley sind
verletzt, und Jock verliert nacheinander seine gesellschaftliche Stellung, seinen
Reichtum und schließlich auch die Maske des Gentleman. Als Diana durch das
blödsinnige Indiz von karierten Socken darauf kommt, daß Jock doch
der Mörder sein muß, und ihn daraufhin zu verlassen versucht, verfolgt
er sie mit dem Jagdgewehr durchs Haus, um sich dann vor ihren Augen eine Kugel
durch den Kopf zu jagen. Blutbespritzt und ganz und gar leer kommt Diana zum
Friedhof, wo nach dem letzten Willen Alices eine Cocktailparty auf ihrem Grab
stattfindet.
Auch diese letzte von vielen knalligen
Metaphern ist nur erträglich, wenn man sich auf die ligne claire-Ästhetik einläßt.
Sie wird im übrigen ein paar Mal durchbrochen, hier durch ein Nachziehen der Schärfe,
dort durch eine fahrige Kamerabewegung und da durch einen Ausflug ins „Psychologische"
in der Darstellung. Aber im großen
und ganzen ist die Idee einer ästhetischen
Hermetik, die einer gesellschaftlichen Hermetik entspricht, funktionabel. Nur
so kann der - nach einem authentischen Fall geformte - Mord auch zum Signal
für den Untergang werden, ohne falschen Mystizismus zu provozieren. Er
setzt gewissermaßen den Schlußstrich unter die Möglichkeit
des Mutterlandes, das Laster und die Krankheit der Herrscherklasse in die Kolonien
zu exportieren. So entstand eine Welt, die gleich weit vom Zauberberg, der letzten
Inszenierung von Schönheit in einer Welt der Todkranken, wie von Salò entfernt ist (der historische
Josslyn hatte sein Glück zunächst bei den britischen Faschisten versucht):
eine Fluchtburg für jene Europäer, die noch Geld und damit Macht,
aber keine Geschichte mehr haben.
Radfords Absicht, „ein schärferes
und zugleich satirischeres Bild zu zeichnen, als es im üblichen Kolonialfilm
erscheint", scheint gelungen: keine Harmonisierung, keine Nostalgie, keine
Anklage, kein Glück darüber, das alles sei ja nun Geschichte, keine
Psychologie, kein „Untergang in Schönheit und Schmerz", kein moralisches
Bekenntnis (oder soviel davon, daß es nicht ernst sein kann), keine Entschuldigung,
kein „Verstehen". Es gibt nur die Oberfläche: die Tragikomödie
vom Scheitern jenes Lasters, das aus Happy Valley eine britische Karikatur des
„goldenen Faschismus" macht, oder auch: Justine, die Juliettes Lebensentwurf
zum Scheitern bringt. „Das glückliche Dasein", heißt es bei
Horkheimer und Adorno, „in der Welt des Grauens wird durch deren bloße
Existenz als ruchlos widerlegt". Radfords tiefenlose Helden scheinen, anders
als ihre historischen Vorbiler, die sich nur einmal mehr in Verlierer und Gewinner
teilten, davon eine Ahnung zu haben.
Georg Seeßlen
Dieser Text ist zuerst erschienen
in: epd Film 5/88
Die
letzten Tage in Kenya
WHITE
MISCHIEF
Großbritannien 1988. R: Michael Radford. B: Michael Radford, Jonathan Gems. K: Roger Deakins.
Sch: Tom Priestley. M: George Fenton. T: Tony Jackson. Ba: Roger Hall. A: Len
Huntingford. Ko: Marit Allen. Pg: Michael White/Umbrella Films. Gl:
Michael White. P: Simon Perry. V: Filmwelt. L:
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