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Die
letzte Versuchung Christi
Obgleich
dieser Tage wesentlich mehr Glaubengemeinschaften, religiöse Gruppierungen
und sinnsuchende Religionsstifter existieren als dies allgemein bekannt sein
dürfte, der Konflikt zwischen den "großen" Religionen nur
selten so präsent war wie heute, trotz alle dem eine gewisse Religionsverdrossenheit
insbesondere in unseren Breitengraden zu verzeichnen ist und die Hinwendung
zu alternativer, fernöstlicher Lebenslehre als ‚Trend' unverwechselbar
besteht, hat die gesellschaftliche, heilsbringende, kulturelle, moralische,
politische, religiöse, und transzendente Bedeutung des Jesus von Nazareth
auch nach schier endloser Zeit immer noch Bestand.
Was
ist es, das Menschen an dieser Figur fasziniert, sie zweifeln lässt, bewegt?
Es ist möglicherweise nicht die biblische Schrift allein, die für
das ‚Mysterium Jesus Christus' verantwortlich ist, sondern vieles von dem entwickelt
sich im menschlichen Verstand, in der Auseinandersetzung mit dem Leben, der
Frage nach Göttlichkeit und Menschsein. Während die Bibel eine Art
historische Wahrheit verbreiten will, die jedoch auch den Strömungen und
zeitlichen Interpretamenten ihrer Epoche unterlegen ist, entsteht das Wesen
Jesu aus der Imagination heraus, zwingt den denkenden Menschen dazu, sich entweder
mit der Frage nach Historie und Glauben oder Gott und Mensch auseinander zu
setzen. Es ist vielleicht der ambivalente Charakter des Jesus von Nazareth,
der erst mit der biblischen Auferstehung auch zum Christus wird. Er, der Zeit
seines Lebens für beide Elemente steht, die Wesenszüge des Menschen
und des übernatürlichen Gottes trägt.
Jesus,
das ist nur bedingt eine Frage des Glaubens, sondern auch ein philosophisches
Suchen nach der Art, Herkunft oder Bestimmung des Menschen. Von einem filmischen
Kontext her betrachtet bietet diese weltgeschichtliche Figur demnach ein nahezu
unerschöpfliches Potenzial, da seine Geschichte, die in der Bibel ihre
Verankerung findet, universellen Charakter hat. Wer heutzutage für Aufsehen
und im schlimmsten Fall sowohl die Kritiker als auch katholische Kirche auf
den Plan rufen will, sollte sich in jedem Fall an ein Porträt dieses charismatischen
Begründers christlicher Religion wagen. Eins sollte jedem dabei bewusst
sein: Egal wie man es macht, es gibt kein Richtig und kein Falsch, keine endgültige
Wahrheit und unumstößliche Lüge. Es gibt nur ein Vielleicht.
Anfangs
interessierte Regisseur Martin Scorsese eine Verfilmung der bewegten Lebensgeschichte,
die sich auf die Evangelien der Bibel stützt, nur am Rande. Waren doch
bereits in der Vergangenheit unzählige Filme unter unterschiedlichen Gesichtspunkten
an die Thematik herangetreten, jeweils mit direktem Bezug zur Bibel. Scorsese
spürte, dass er einen interessanten Film über Jesus, der überdies
auch noch innovativ und neuartig ist, nur teilweise an den Evangelien vorbei
inszenieren konnte. Nikos Kazantzakis skandalträchtiger Roman "Die
letzte Versuchung Christi" bot Scorsese diese Annäherung an Jesus
von Nazareth, an einen anderen Jesus von Nazareth, als er den meisten vertraut
sein würde.
Essentiell
für das Verständnis von Scorseses Film und die Essenz aus Kazantzakis
Roman ist schlicht und ergreifend die Erkenntnis, dass die Person des Jesus
Christus sowohl Gottes Sohn als auch Mensch ist. Aus dieser Feststellung heraus
lässt sich die Entwicklung ableiten, die der Autor für seinen Roman
unternimmt und der Regisseur letztlich auf Zelluloid gebannt hat. Wenn Jesus
zum gleichen Teil Mensch ist, dann muss auch er menschlichen Zwängen unterworfen
sein, sündigen und an seiner Bestimmung, der ihm auferlegten Last zweifeln.
Die letzte Versuchung Christi entwirft ein zutiefst menschliches Bild des Heilands,
zeigt Jesus von Nazareth (Willem Dafoe) als einfachen Mann, der Kreuze für
die römischen Besatzer zimmert. Ein Sünder, ein Zweifler, keineswegs
beseelt von dem Glauben an seinen Gott, sondern getrieben von den Wünschen
und Bedürfnissen eines jeden.
Scorseses
Film stellt viele Fragen und durchleuchtet das Bild des Erlösers auf sensible
Art, die Raum lässt für Interpretationen und Diskussionen. Die Entrüstung
war 1988 selbstverständlich unvorstellbar groß, zeigte das Werk doch
ein unangenehmes Verständnis der jesuanischen Existenz. Obwohl sich Scorsese
an beispielhaften Episoden und Stationen der evangelischen Überlieferung
hält, grenzt er sein Werk klar von biblischen Bezügen ab und orientiert
sich vielmehr an der psychologischen, philosophischen Auseinandersetzung mit
Jesus, der sich bereits Kazantzakis in seinem Roman hingab. Im Mittelpunkt stehen
die Versuchungen, denen der menschliche Jesus ausgesetzt ist, die Wollust, die
Zweifel an sich selbst und an der göttlichen Fügung. Zentrales Motiv
des Films ist die Kreuzigung Jesu in deren Verlauf es zur letzten Versuchung
Satans kommt.
Dort
offenbart sich dem Gekreuzigten ein irdisches Leben. Ein glückliches Dasein
mit Maria Magdalena, die seine Frau wird und mit der er eine Familie gründet.
Kann das sein? Könnte Jesus Christus sich selbst, seine Jünger und
seinen Glauben verraten? Sich verstecken vor dem eigentlichen Schicksal, Folter
und Tod entgehen und in ein heimliches, irdisches Leben fliehen? Der Mensch
Jesu muss daran gedacht haben. Er muss zweifeln, muss an der Notwendigkeit seines
Opfers zweifeln und den Willen Gottes in Frage stellen. Denn sonst wäre
nichts Menschliches an ihm. Angst ist ein Zeichen des Menschseins. Sie zu überwinden
auch.
Besonders
die Liebesszene gegen Ende der Handlung mit Maria Magdalena erhitzte weltweit
die Gemüter und führte dazu, dass Scorseses Verfilmung zum vieldiskutierten
Skandal avancierte. Es bleibt die fragwürdige Erkenntnis, dass viele von
denen, die sich an den Überlegungen, Gedankenspielen und Hintergründen
des Films in ihrem Glauben gekränkt oder verraten fühlten, sich wohl
über die falschen Aspekte echauffierten. Die letzte Versuchung Christi
ist ein anspruchsvoller Ansatz, der sich mit dem Leben Jesu auseinandersetzt,
aber vor allem Denkanstösse gibt, die sich in dieser Form nicht aus der
Bibel ergeben. Vielmehr kann er zur Festigung und Bestärkung des Glaubens
beitragen, analysiert und charakterisiert Scorsese die Figur des Erlösers
als eine irdische Figur mit all ihren irdischen Schwächen. Ein wohltuende
Erkenntnis, dass selbst Gottes Sohn an seiner Existenz und Bestimmung zweifelt.
Scorseses
Inszenierung ist auf künstlerisch anspruchsvollem Niveau gehalten und versteht
es, den Zuschauer zu fesseln. Das intensive und nachdenkliche Porträt schildert
in beeindruckenden Bildern die schwierige Reise, auf der sich Jesus befindet,
wobei der Film sich surrealer Stilmittel und zuweilen kunstvoll-skurriler Einfälle
bedient, um seine Botschaft zu übermitteln. Zeitweise ist das Werk ein
intensives Kammerspiel, das sich auf wenige Charaktere beschränkt und auf
diese Weise eine beklemmende Atmosphäre erzeugt. Dafoe ist selbstredend
die Hauptfigur der Geschehnisse, doch Scorsese geht einen Schritt weiter und
lässt dem Jünger Judas (Harvey Keitel) eine tragende Rolle zukommen.
Im Verständnis des Films ist es nicht Judas' Wille, seinen Herrn zu verraten,
sondern der ausdrückliche Wille von Jesus selbst, der seinem Jünger
damit eine ungleich schwerere Last auflädt. Trotz der guten Schauspieler
ist dies kein Film, der vom Schauspiel lebt. Es ist die Deutung, der Platz,
der für Interpretationen bleibt und der interessante Umgang mit der Thematik,
welche Scorseses Film zu einem solch bewegenden Erlebnis machen.
Ein
Erlebnis, zweifelsohne. Die letzte Versuchung Christi stellt den Glauben an
Jesus Christus in Frage, um letztendlich aber jeden, der sich auf das Wagnis
einlässt, mit gestärktem Glauben entlässt. Der Film ist auf vielen
Ebenen brillant inszeniert und veranlasst zur Diskussion oder zur Auseinandersetzung
mit Jesus, seinem Leben, dem Menschsein, also auch mit einem selbst. Auf dem
Weg zur Erlösung liegen viele Steine, die es zu umgehen gilt. Am Ende widersteht
auch Jesus von Nazareth der letzten Versuchung Satans, neigt den Kopf mit einem
Lächeln auf die Seite, fügt sich voller Glück und aus tiefer
Überzeugung in sein Schicksal.
Ein
hervorragender Film.
Patrick
Joseph
Diese
Kritik ist zuerst erschienen bei: www.ciao.de
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diesem Film gibt’s im archiv
der filmzentrale mehrere Kritiken
Die
letzte Versuchung Christi
THE
LAST TEMPTATION OF CHRIST
USA
- 1988 - 164 min.
FSK:
ab 16; feiertagsfrei
Prädikat:
besonders wertvoll
Erstaufführung:
10.11.1988/10.3.1991 premiere
Produktionsfirma:
Universal
Produktion:
Barbara De Fina
Regie:
Martin Scorsese
Buch:
Paul Schrader
Vorlage:
nach einem Roman von Nikos Kazantzakis
Kamera:
Michael Ballhaus
Musik:
Peter Gabriel
Schnitt:
Thelma Schoonmaker
Darsteller:
Willem
Dafoe (Jesus)
Harvey
Keitel (Judas)
Barbara
Hershey (Maria Magdalena)
Harry
Dean Stanton (Paulus)
David
Bowie (Pontius Pilatus)
Verna
Bloom (Maria)
Irvin
Kershner (Zebedäus)
Victor
Argo (Petrus)
John
Lurie (Jakobus)
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