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L'Humanité
Pharaon
de Winter, ein kleiner Polizist in einer nordfranzösischen Stadt, trägt
das Leid der Welt auf seinen schmalen Schultern. Er spricht ausdruckslos, er
blickt gequält, und hin und wieder, etwa am Anfang des Films, streckt es
ihn nieder, dann kann er dem Elend nicht mehr ins Auge blicken. Oder er brüllt
in den Lärm des vorbeifahrenden TGV hinein, eine Geste der Ohnmacht, der
es in sich selbst noch einmal an jedem Mut zu hörbarem Protest gebricht.
Das
Elend, an dem er leidet, betrifft ihn unmittelbar. Mord und Vergewaltigung eines
Mädchens blicken ihn - und uns - aus den blutigen Rändern einer Vagina
an, ein Ausweichen des Blicks ist nicht möglich. Ein zweiter langer Blick
auf eine Vagina führt uns das Ausmaß seiner quälenden sexuellen
Frustration vor Augen - er begehrt seine Nachbarin, die mit diesem Begehren
(in einer seltsamen Mischung aus Sensibilität und Frivolität) spielt
und die visuellen Erläuterungen der Verhältnisse sind so umstandslos
wie krude, dass es einem schon die Sprache verschlagen kann. Krude, aber rätselhafter
sind dann wieder andere Bilder: wenn Pharaon einen Kleinverbrecher streichelt
und küsst, oder am Ende den zuletzt überführten Mörder und
Vergewaltiger, mit dem ihn mehr verbindet, als man zuerst ahnt. Diese Küsse
und Annäherungen sind die Metaphern eines verzweifelten und sehr abstrakten
(ja perversen) jesusmäßigen Erbarmens mit einer von Schuld gedrückten
Menschheit - um die es bei Gott schlecht bestellt sein muss, wenn sie des Erbarmens
eines solchen Tropfs, wie Pharaon de Winter einer ist, bedarf.
Schnell
erkennt man, was man schneller noch gespürt hat: die kargen Bilder, die
verbrauchten Gesichter, die unschönen Menschen sind eine unspektakuläre
Oberfläche, unter der das Herz eines existenziellen Pathos mit großer
Wucht schlägt. Der Titel untertreibt nicht, wenigstens die Absichten des
Regisseurs nicht, der dem kleinen und dumpfen Kreis seines Personals, den überaus
banalen Kreisen, die es zieht, eine ganze, vernichtende Weltanschauung aufoktroyiert,
neben der die eines Michel Houellebecq wie strahlender Optimismus ausssieht.
L'Humanité
ist noch in seiner Negativität christlich inspiriert, aber Pharaon de Winter
ist Christus, der Leidende, nicht der Erlöser. Übrig ist nur ein jansenistisches
Weltbild, das, um alle Hoffnung auf Gnade noch einmal verdüstert, eine
schuldverfallene Welt der Gnade eines fernen Gottes ausgeliefert sieht. Ferner
aber als in L'Humanité
war er selten.
Ekkehard
Knörer
Diese
Kritik ist zuerst erschienen in:
L'Humanité
F
1999
Regie:
Bruno Dumont
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