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Lichter
der Vorstadt
Sympathie fürs
Unhaltbare
Aki Kaurismäkis "Lichter der Vorstadt"
ist eine kleine nostalgische Perle der Filmkunst
Es ist eine ganz alte Kinogeschichte:
Ein einsamer Mann gerät in den erotischen Bann einer Blondine, wird von
ihr nach Strich und Faden ausgenützt und droht schlussendlich in der Gosse
zu landen. So gesehen gibt es wenig Überraschendes in Aki Kaurismäkis
neuestem Werk "Lichter der Vorstadt", zumal der Film auch stilistisch
nah an den vorhergegangenen Film "Der Mann ohne Vergangenheit" anschließt. Koistinen (Janne Hyytiäinen) ist
wieder so eine Figur, die das Leben eines
Exilanten führt, ohne je ausgereist zu
sein. Er arbeitet als Wachmann und Kaurismäki zeigt uns seine Nichtigkeit,
indem er vorführt, dass man sich dort selbst nach drei Jahren seinen Namen
nicht gemerkt hat. Aber in jener imaginär verschworenen Gemeinschaft, die
sich beim Betrachten jedes Kaurismäki-Films zwischen Zuschauer, Regisseur
und der wortkargen Hauptfigur formiert, steigt Koistinen spätestens in
dem Moment zum Idol auf, in dem er sich um einen misshandelten Hund kümmert:
Ohne Rücksicht darauf, dass er gegen den Hunde-Besitzer keine Chance hat,
wirft er sich in die Bresche. Der unvermittelten Aufmerksamkeit einer schönen
Frau hält man ihn spätestens ab da für würdig. So nimmt
das Unheil seinen Lauf.
"Lichter der Vorstadt"
wird unter den Kinogängern die üblichen Reaktionen auslösen:
Die einen werden sagen, er ähnele den anderen Kaurismäki-Filmen zu
sehr; die anderen werden bemängeln, dass er gar kein "richtiger"
Kaurismäki mehr sei. Nicht zu unterschätzen ist aber auch die Fraktion
der dritten, die sich an der minimalistischen Größe dieses Filmemachers
einfach nicht satt sehen können: In weniger als 80 Minuten und dennoch
unendlich behutsam gräbt Kaurismäki hier den Kinomythos der unglücklichen
Liebe zu einer Femme Fatale aus, als handle es sich um ein wertvolles und zerbrechliches
Relikt. Er tut das mit einer Konzentration auf das Wesentliche, die etwas Anstrengendes
hätte, wenn sie nicht gleichzeitig so vergnüglich wäre: Tatsächlich
ist auch dieser Kaurismäki-Film von jener hintergründigen Heiterkeit
geprägt, die eben nicht auf Pointen, sondern auf Geistesverwandtschaft
aus ist.
Dabei gelingt es Kaurismäki,
im Szenenaufbau fast an die effektive Eleganz von Chaplins Stummfilmen heranzukommen:
Einerseits sind da die festen Einstellungen, die wenigen Sätze, die reglosen
Gesichter, und andererseits die Dramatik eines einzelnen Messers auf der Ablage,
die Tragik eines sorgfältig arrangierten Tellers mit Trocken-Gebäck
auf einem altmodischen Couchtisch oder die tiefe Melancholie eines Paares, bei
dem der Mann seinen Arm um ihre Schulter legt, während sie starr nach vorne
schaut. Hinzu kommt die spartanische Ausstattung der Räume, die im melodramatischen
Gegensatz zur "Üppigkeit" der dunklen Wandfarben steht. Realismus
und Stilbewusstsein versöhnen sich stets aufs Neue in Kaurismäkis
Universum, wo zeitlos das Fünfziger-Jahre-Dekor regiert. Vielleicht liegt
ja darin das eigentlich Berührende seiner Filme: in der demonstrativen
Sympathie für unhaltbare Standpunkte, sei das die eigensinnige Liebe zum
cineastischen Detail oder der Stolz, eine schöne Frau auch dann nicht zu
verraten, wenn die eigene Existenz auf dem Spiel steht.
Barbara Schweizerhof
Dieser Text ist zuerst erschienen
in: Freitag
Zu diesem Film gibt’s im archiv mehrere Texte
Lichter
der Vorstadt
Finnland
/ Deutschland 2006 - Originaltitel: Laitakaupungin valot - Regie: Aki Kaurismäki
- Darsteller: Janne Hyytiäinen, Maria Järvenhelmi, Maria Heiskanen,
Ilkka Koivula, Sergej Doudko, Andrej Gennadiev, Arturas Pozdniakovas - FSK:
ab 6 - Länge: 77 min. - Start: 21.12.2006
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