zur
startseite
zum
archiv
Lichter
der Vorstadt
Kaurismäkismen
ahoi!
Mit
seiner knappen Film Noir-Übung „Lichter der Vorstadt“ verrennt sich Aki
Kaurismäki zwischen altvertrauten Posen und schmucken Bildern in ein formalistisches
Vakuum.
Der
Schwanz des Skorpions, an dessen Ende der Giftstachel sitzt, sieht aus wie eine
Perlenkette. Wenn uns das im ersten Drittel von „Lichter der Vorstadt“ einmal
nebenbei eine Radiostimme erzählt, dann wissen wir schon längst, welches
Schicksal dem stillen Koistinen (Janne Hyytiäinen) blüht: Eben hat
eine Gruppe Krimineller den einsamen Wachmann zum Opfer einer Intrige erkoren.
Bald wird der Gangsterboss seine katzenäugige Geliebte Mirja (Maria Järvenhelmi)
entsenden, um Koistinen zu umgarnen und zum ahnungslosen Bauernopfer eines Einbruchs
zu machen.
Auch
Koistinen wird das bald durchschaut haben, aber es hilft nichts: Er und wir
müssen da durch, durch die masochistischen Dulder- und Opfer-Rituale des
Film Noir, die Aki Kaurismäkis „Lichter der Vorstadt“ pedantisch durchspielt.
Was Kaurismäki an der alten Erzählung vom treuherzigen loner
und der femme
fatale
interessiert, ist offensichtlich weniger die Möglichkeit einer originären
Neudeutung, sondern gerade das Archetypische, auch Klischeehafte: die Prozedur
des Erzählens. Mehr Exposé als Epos, klappert sein ranker 80-Minüter
den unaufhaltsamen sozialen Abstieg Koistinens zügig Station für Station
ab, als würde Kaurismäki Punkte auf seiner Film-Noir-Checklist abhaken:
Zu Koistinens Charakterisierung als edelmütiger Melancholiker à
la Philip Marlowe muss reichen, dass er sich zu Beginn des Films für einen
sprichwörtlichen armen Hund einsetzt (und dafür ordentlich Prügel
kassiert), ein Einbruch wird durch einige knappe Handgriffe in völliger
Stille skizziert, und die finale Konfrontation Koistinens mit den Gangstern
ist vorbei, noch ehe sie begonnen hat.
Man
sollte meinen, dass genau diese Kargheit und Formalisierung dem klassischen
Film Noir, zumal seinen billigen B-Movie-Varianten, um einiges angemessener
wäre als manche aufgeplusterte Neo(n)-Noir-Übung der vergangenen Jahre.
Aber wo die rauen Oberflächen und aufbrausenden Erzählungen der Schwarzen
Serie durchlässig waren für sozioökonomische Kontexte von Nachkriegszeit
und Kaltem Krieg, da arbeitet sich Kaurismäki beharrlich in ein fatales
formalistisches Vakuum hinein.
Ende
der Achtziger, Anfang der Neunziger wurde der trinkfeste wie schlagfertige finnische
Autorenfilmer zur internationalen Indie-Trademark, weil er es schaffte, tristen
Sozialrealismus rund um Verlierer und Randexistenzen mit trockenem Schmäh
zu einer eigenen Form von lederjackenspeckiger Coolness zu stilisieren. Inzwischen,
in „Lichter der Vorstadt“ (und das ist nicht der erste Kaurismäki mit diesem
Problem), schaffen die kanonisierten Kaurismäki-Posen den Sprung zurück
in reale Lebenswelten nur mehr mühsam.
Wo
Kaurismäki in „Lichter der Großstadt“ auch hinschaut, überall
sieht er zuerst einmal nur Kaurismäkismen: Einsame Kerle mit Tschick im
Mund und Gel in den Haaren, die zu Tangoschnulzen leise leiden. Kriminelle mit
verknitterten Visagen, die minutenlang wortlos pokern, während im Hintergrund
die Gangsterbraut staubsaugt. Eine gekränkte Würstelstandlerin, die
apathisch Licht für Licht in ihrer Bude abschaltet, bis sie allein im Finstern
steht. Kaurismäki halt, denkt man sich und schmunzelt über das exakte
Timing und die „finnische Melancholie“. Von Einsamkeit erzählen diese Bilder
nicht mehr viel. Und schon gar nicht von einem unzufriedenen Wachmann, der zwischen
Fortbildungskursen und demütigenden Kreditansuchen seine Arbeitsexistenz
nur als „Übergangsphase“ empfindet.
Was
bleibt, ist Kaurismäkis betont klassische, ausnehmend hübsche Inszenierung:
Wie so viele Neo-Noirs funktioniert „Lichter der Vorstadt“ am besten (und zwar
gar nicht schlecht) als schmucker Coffeetable-Bildband in Bewegung: ein Ausstellungskatalog
mit Edward-Hopper-Imitaten. Komposition ist bei Kaurismäki vor allem die
hohe Kunst der Beschwichtigung: Jede knallige Farbefläche will durch die
lethargischen Gestalten davor abgewiegelt sein, jede bedeutungsschwangere Detailaufnahme
von einer ausführlichen Halbtotalen gleich danach aufgefangen.
Am
spannendsten ist „Lichter der Vorstadt“ aber genau dort, wo diese nach außen
abgedichtete Bilderwelt aufbricht und sich an Wirklichkeitstrümmern reiben
muss: Vor allem die Shopping Mall, in der Koistinen als Wachmann arbeitet, widersetzt
sich – trotz hartnäckiger Tango- und Klassik-Beschallung – erfolgreich
der Kaurismäkisierung: ein großer Glaskasten in einer teuren Büro-Neubau-Gegend,
wie er in Wien, Hamburg, Birmingham auch stehen könnte. „Alle Städte
sind gleich!“, stellt Mirja einmal fest. Das wäre doch schon mal ein Anfang,
vom Heute zu erzählen.
Joachim
Schätz
Dieser Text ist zuerst erschienen im: Falter
Zu diesem Film gibt’s im archiv mehrere Texte
Lichter der Vorstadt
Finnland / Deutschland 2006 - Originaltitel:
Laitakaupungin valot - Regie: Aki Kaurismäki - Darsteller: Janne Hyytiäinen,
Maria Järvenhelmi, Maria Heiskanen, Ilkka Koivula, Sergej Doudko, Andrej
Gennadiev, Arturas Pozdniakovas - FSK: ab 6 - Länge: 77 min. - Start: 21.12.2006
zur
startseite
zum
archiv