zur
startseite
zum
archiv
Liebe
bis in den Tod
Alain Resnais, dessen Werk stets auf konsequente
Strategien der Naturalismus-Verweigerung setzt, zeigt hier jene nicht unbedingt
nahe liegende doppelte Fluchtbewegung, die auch "Smoking, No Smoking",
das Werk mit denselben Hauptdarstellern (Pierre Arditi, Sabine Azema) bestimmt.
Ein rigoroser struktureller Experimentalismus begegnet dem eher Boulevardesken,
den großen Themen, hier, wie der Titel schon sagt, Liebe und Tod und die
Liebe zum Tod, mit leichter Hand und ohne Prätention auf expressive Darstellung
des Gefühls serviert. Die immer nur kurzen Spielszenen des Films sind unterbrochen
durch sich gleichende, aber nicht identische, Einstellungen von Lichtflecken
vor dunklem (mal schwarzem, mal hellerem) Grund, vielleicht auch Schnee vor
nächtlichem (mal finsterem, mal grauendem) Himmel. Unterlegt sind sie mit
Musiksequenzen, die Hans-Werner Henze komponiert hat. Was sich hier eröffnet,
ist ein anderer Raum, der durchaus den metaphysischen Themen, die in den Sprechstücken
verhandelt werden, korrespondiert, aber gerade, indem er sie, als Kontrapunkt,
immer wieder unterbricht.
Geöffnet wird auch im Erzählen gleich zu
Beginn ein Raum mit metaphysischen Mucken. Die Kamera fährt in der ersten
Einstellung wie ein sanfter Windstoß durchs Laub der Bäume im Garten
und kontrastiert der so belebten Natur im nächsten Bild eine Frau in Panik
und, aber nicht im Bild, einen Mann im Sterben, den sie zieht, ächzend
unter der Last des Körpers und seiner Agonie. Die von der Bildverweigerung
gelegte Fährte ist nicht eindeutig. Wir könnten uns auch in einer
Kriminalgroteske befinden. Als er dann ins Bild kommt, stirbt der Mann, jedoch,
sollte man meinen, eines natürlichen Todes. Der Arzt kommt, stellt den
Tod nur fest. Dass in diesen Szenen um ernsteste Dinge der Ton des Grotesken
die Dialoge, auch die Einstellungen nie ganz verlässt, setzt den Film aufs
Gleis in Richtung Boulevard.
Der Mann wird nicht tot gewesen sein. Oder er wird
wieder auferstehen, die Geschichte des Lazarus ist dann in einem Drehbuch nicht
weit, das sehr bewusst auf Ausbuchstabieren setzt und nicht auf Zurückhaltung,
auf das frontale Diskutieren der großen Themen, nicht die Andeutung ambivalenter
Gefühlslagen. "L'Amour à mort" wird zu einer Nachlebensliebesgeschichte,
die erst einen neuen Anfang zu suchen scheint, dann auf den Liebestod als Nachsterben
zusteuert. Mit im Spiel – und es ist und bleibt, dem Liebestod-Motiv gerade
zum Trotz, ein Spiel – ein befreundetes Pastoren-Ehepaar, das den Mann, die
Frau am Sterben nicht wird hindern können. Der Film ist eine metaphysische
Experimentalboulevardliebesgroteske, ein Konversationsstück mit Musik von
Hans-Werner Henze, ein vielfaches Unding, das vielleicht nirgendwohin führt,
aber sehr elegant Dinge tariert, die auf ein- und derselben Waage gar nicht
Platz finden dürften.
Ekkehard Knörer
Dieser Text ist zuerst erschienen
in:
Liebe
bis in den Tod
L’amour
à mort
Frankreich
1984
Regie:
Alain Resnais
Drehbuch:
Jean Gruault
Produzent:
Philippe Dussart
Musik:
Hans Werner Henze
Darsteller:
Sabine Azéma, Fanny Ardant, Pierre Arditi, André Dussollier, Jean
Dasté, Geneviève Mnich, Jean-Claude Weibel, Louis Castel, Françoise
Rigal, Françoise Morhange
Kamera:
Sacha Vierny
Schnitt: Jean-Pierre Besnard, Albert Jurgenson
zur
startseite
zum
archiv