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Die Liebe der Charlotte Gray
Cate Blanchett besitzt das,
was man im Marketing-Jargon gerne als cross-over
appeal bezeichnet.
Männer und Frauen sind gleichermaßen fasziniert von der erstaunlich
wandlungsfähigen australischen Schauspielerin, der es gelingt, die ganze
Klaviatur der Gefühle mit einer eigentümlichen Reserviertheit zu spielen.
In ihren schönsten Rollen strahlt sie eine in sich selbst ruhende Sinnlichkeit
aus, die sich hartnäckig weigert, als männliches Wunschbild chloroformiert
zu werden. Und sie bricht ihre erotische Leinwandpräsenz mit einer unbewegten,
fast kühlen Entschlossenheit, wie man sie eher im männlichen Heldenkino
vermutet, hinter der sich aber stets auch Verletzlichkeit verbirgt. Vielleicht
sind es diese beiden Seiten, zum androgynen Paket verschnürt, die Blanchetts
Reiz ausmachen.
Was passiert nun, wenn man
eine derart zeitgemäße Verwendung klassischer Rollenmuster in eine
fiktive historische Geschichte einbettet? Auch in CHARLOTTE GRAY überzeugt
Cate Blanchett in der Titelrolle mit einer Synthese emotionaler Widersprüche.
1943 entschließt sich die junge Schottin als Kurier und Spionin des britischen
Geheimdienstes nach Frankreich zu gehen, um dort den Widerstand im Vichy-Regime
zu unterstützen. Charlottes Beweggründe sind eher persönliche
denn patriotische: Ihr Liebhaber, der britische Pilot Peter (Rupert Penry-Jones),
ist beim Einsatz über Frankreich verschollen. Im besetzten Frankreich will
sie versuchen, ihn ausfindig zu machen, während sie dem Résistancekämpfer
Julien (Billy Crudup) hilft und – zusammen mit dessen Vater Levade (Michael
Gambon) – zwei jüdische Kinder vor den Nazitruppen versteckt. Aus dem weiblichen
Geheimagenten mit paramilitärischer Ausbildung wird schnell eine Art Ersatzmutter,
die sich rührend um die Kinder kümmert und zusammen mit den beiden
Männern zu einer neuen Familie verschweißt. Heraus kommt eine seltsam
pathetische Utopie: Die moderne (Kino-)Frau darf in Gillian Armstrongs Romanverfilmung
Mutter, Liebende und weiblicher James Bond zugleich sein.
Neben den hervorragend besetzten
Nebenrollen ist es allein Blanchetts Spiel, das den Film trägt. Wenn sie
in einem französischen Café zusehen muss, wie eine Widerstandskämpferin,
mit der sie sich getroffen hat, von der Polizei überprüft und schließlich
abgeführt wird, kämpfen in ihrem Gesicht die Gefühle: Besorgnis,
Hilflosigkeit, Mitleid, kühle Beherrschung und die Angst, selbst enttarnt
zu werden, wechseln sich ab und greifen atemberaubend ineinander. Die Konzentration
auf Blanchetts Gesicht zeigt aber auch das Problem mit dem der Film zu kämpfen
hat: eine unbekümmert anmutende Vermischung der historisch-politischen
und der individuell-psychologischen Sphäre.
Es gibt viele naive Szenen,
die das persönliche Glück dem historischen Ereignis entspringen lassen
und letzteres damit zum schicksalhaften Hintergrund degradieren. Einmal steht
Julien, der junge Widerstandskämpfer, am Straßenrand und brüllt
den einmarschierenden deutschen Truppen die Namen verschwundener Franzosen entgegen,
bis ein Soldat das Gewehr auf ihn richtet. Beherzt stellt sich Charlotte in
die Schusslinie und versucht, Julien zu beschwichtigen. Da er nicht schweigen
will, versiegelt sie seinen Mund kurzerhand mit einem leidenschaftlichen Kuss.
Die glatten, abwechselnd in kühles Blau und warmes Orange getauchten Bilder
tun ein Übriges und lassen ein imaginäres Frankreich aus moosbewachsenen
Steinmäuerchen und feschen Franzosen in weißen Feinripp-Unterhemden
entstehen, dessen pittoresker Look sich der Werbeästhetik entlehnt.
DER SOLDAT JAMES RYAN und BLACK HAWK DOWN haben mit ihren filmischen Strategien der Subjektivierung das Kriegsgemetzel
zum Initiationsritus und „Erlebnis“ privatisiert. Die Filmemacherin Gillian Armstrong
vollzieht eine ganz ähnliche Bewegung und überführt die Ikonografie
der Judenverfolgung – erniedrigende Verhöre, versteckte Kinder, Deportationen
in Güterwaggons – ins Melodramatische. Daran ist nichts per se Verwerfliches.
Die bekannten Bilder bleiben alternativlos, weil sie historische Wahrheit und
filmisches Klischee zugleich sind. CHARLOTTE GRAY aber kreist, wie der Titel
schon andeutet, autistisch um seine Titelheldin und erklärt die historischen
Schrecken zu Stationen einer weiblichen Selbstfindung – ein konventionelles
Kriegsmelodrama, das auf die großen Gefühle hinaus will, weiter nichts.
Dieser Text ist zuerst
erschienen in:
Die
Liebe der Charlotte Gray
Großbritannien
/ Australien / Deutschland 2001 - Originaltitel: Charlotte Gray - Regie: Gillian
Armstrong - Darsteller: Cate Blanchett, Billy Crudup, Michael Gambon, Rupert
Penry-Jones, James Fleet, Lewis Crutch, Matthew Plato - FSK: ab 12 - Länge:
120 min. - Start: 26.12.2002
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