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Liebe
ist kälter als der Tod
Der kleine Zuhälter Franz (R.W. Fassbinder) weigert sich, einem
Verbrechersyndikat beizutreten. Das Syndikat gibt scheinbar nach, setzt aber
den schönen Bruno (Ulli Lommel) auf ihn
an. Franz liebt Bruno. Bruno, den die Polizei nicht kennt, begeht Morde, die
Franz von der Polizei angelastet werden. Doch der Kommissar (Yaak Karsunke)
hat keine Beweise gegen Franz. Schließlich planen Bruno und Franz gemeinsam
einen Banküberfall. Joanna (Hanna Schygulla), die Freundin von Franz, verrät
sie an die Polizei. Bruno hat einen Killer des Syndikats bestellt, der im Durcheinander
des Überfalls Joanna erschießen soll. Alle Pläne scheitern.
Bruno wird von der Polizei erschossen, Franz und Joanna aber können fliehen.
Fassbinders erster Spielfilm ist deutlich von Vorbildern abhängig,
die aber nicht immer von Fassbinder selbst in den Film eingebracht wurden: den
Hut aus Melvilles Eiskaltem Engel
beispielsweise, den dort Alain Delon trägt, hat Lommel selbst für
sich ausgesucht; Fassbinder kannte Melvilles Film zu der Zeit nicht. Die Vorliebe
aber für den Gangsterfilm überhaupt,
die Vorstadt-Szenerie, die an den frühen Godard gemahnt, der insistierende
Blick der Kamera, der an Straub erinnert, verweisen auf Vorbilder und Anregungen,
die Fassbinder selbst und dem antiteater-Team damals wichtig waren. Die nächtliche
Kamerafahrt durch die Landsberger Straße in München, vorbei an den
vereinzelt dort stehenden Prostituierten, ist eine nicht verwendete Variante
einer Einstellung aus Straubs Der Bräutigam, die Komödiantin
und der Zuhälter. Aus all diesen
Versatzstücken und Zitaten wurde indes ein persönlicher Film, der
sich auch von vergleichbaren Arbeiten anderer junger Regisseure der Zeit unterscheidet,
von Lemkes 48 Stunden bis Acapulco und Thomes Detektive:
er ist schäbiger, trostloser und noch hollywoodferner als diese beiden
anderen Münchner Kriminalfilme. Fassbinder selbst 1969: »Was übrig
bleibt, wenn man diesen Film gesehen hat, das ist nicht, daß hier jemand
sechs Leute ermordet hat, daß es hier ein paar Tote gegeben hat, sondern
daß hier arme Leute waren, die nichts mit sich anfangen konnten, die einfach
so hingesetzt wurden wie sie sind, und denen keine Möglichkeit gegeben
wurde - so weit wollen wir da gar nicht gehen - die einfach keine haben, die
schlichtweg keine Möglichkeit haben.« (Film 8/ 1969, S. 20) Franz,
Bruno und Joanna sind Menschen, die Zärtlichkeit und Liebe suchen, dies
aber nur in hilflosester Weise artikulieren können (Joanna zum Beispiel,
indem sie den Überfall der Polizei verrät). Sie legen sich Gesten
aus Gangsterfilmen zu, weil sie keine eigene Sprache haben.
In LIEBE IST KÄLTER ALS DER TOD gibt es, quasi als Einlagen,
Ansitze zur Komödie. In einem Supermarkt klauen Bruno und Joanna Delikatessen
in einer gut vier Minuten dauernden Einstellung von ballettähnlicher Eleganz:
zwei Bewegungen (des Paares mit einem Einkaufswagen - der Kamera) sind aufeinander
bezogen, kommen aufeinander zu, stoßen sich wieder von einander ab, untermalt
von einer mehrmals wiederholten, elektronisch verfremdeten Passage aus Richard
Strauss' »Rosenkavalier«. In einer anderen Szene (mit allerdings
terroristischem Unterton) verunsichern Bruno, Franz und Joanna, die so tun,
als kennten sie sich nicht, eine Brillenverkäuferin in einem Warenhaus
durch immer neue Fragen, Einwürfe, Beschimpfungen, so daß es ihnen
schließlich gelingt, drei Sonnenbrillen zu klauen. - Derartig komödiantische
Szenen findet man gelegentlich auch in anderen Fassbinder-Filmen: wenn Herr
R. eine Schallplatte kaufen will, den Titel nicht kennt und deswegen schön
falsch vorsingt (WARUM LÄUFT HERR R. AMOK?); besonders in RIO DAS MORTES, wenn Michel und Günther ihre
verrückten Ideen über Baumwollanbau und Schafzucht in Peru ausbreiten.
Grundsätzlich aber sind Fassbinders Filme humorlos. Daß sie so hermetisch
in sich abgeschlossen wirken, hat damit zu tun. Selbst wenn sie einmal komisch
werden, provozieren sie eher ein gequältes als ein befreiendes Lachen.
Wilhelm Roth
Dieser
Text ist zuerst erschienen in: Rainer Werner Fassbinder; Band 2 (5. Auflage) der (leider eingestellten) Reihe
Film, herausgegeben in Zusammenarbeit mit der Stiftung Deutsche Kinemathek
von Peter W. Jansen und Wolfram Schütte im Carl Hanser Verlag, München/Wien
1985, Zweitveröffentlichung in der filmzentrale mit freundlicher Genehmigung
des Carl Hanser Verlags und des Autors Wilhelm Roth.
Zu
diesem Film gibt’s im archiv der filmzentrale
mehrere Texte
Liebe ist kälter als der Tod
Deutschland 1969, 85 Minuten
Regie: Rainer Werner Fassbinder
Drehbuch: Rainer Werner Fassbinder
Musik: Peer Raaben, Holger Münzer
Kamera: Dietrich Lohmann
Schnitt: Franz Walsch (Rainer Werner Fassbinder)
Produktionsdesign: Rainer Werner Fassbinder, Ulli Lommel
Darsteller: Rainer Werner Fassbinder (Franz), Ulli Lommel (Bruno),
Hanna Schygulla (Joanna), Katrin Schaake (Dame im Zug), Gisela Otto, Ingrid
Caven, Ursula Strätz (drei Prostituierte), Monika Nüchtern (Erika,
Kellnerin beim Türken), Hans Hirschmüller (Peter), Les Olvides (Georges),
Peer Raaben (Jürgen), Howard Gaines (Raoul), Irm Hermann (Verkäuferin),
Peter Moland (Syndikatsvertreter), Kurt Raab (Aufsichtsperson im Kaufhaus),
Peter Berling (Schuhmacher und Waffenhändler), Anastassios Karalas (Türke),
Rudolf Waldemar Brem (Polizist auf Motorrad), Yaak Karsunke (Kommissar), Hannes
Gromball (Kunde von Joanna)
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