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Liegen Lernen
In erster Linie retro.
Rückwärts wendet sich „Liegen
Lernen“, um was zu tun? Uns Mittvierzigern Erinnerungen an Erinnerungen zu schenken?
Uns mit unserer belanglosen Achtziger-Jahre-Adoleszenz zu versöhnen?
Interessant ist, dass Filme über
Jugend in den Achtzigern - die immer häufiger gemacht werden, weil die,
die in den Achtzigern jung waren, langsam arriviert genug sind, Filme machen
zu dürfen - völlig anders aussehen als die Filme, die in den Achtzigern
über das Jungsein in den Achtzigern gedreht wurden. Hauptmerkmal dieser,
auch in „Liegen Lernen“ versuchten, Vergangenheitsbewältigung: Das war
alles nicht so grell und vor allem nicht so witzig, sondern ziemlich öde,
normal und dumpf. Und wenn die Theorie stimmt, dass in repressiven Zeiten besonders
viele Komödien gemacht werden, dann sind all die hysterisch-lustigen Filme
der Dörries und wie wie sie alle heissen, in denen Katja Riemann und die
ganz verrückte Zweier-, Dreier-, Viererkiste die Hauptrolle spielte, bester
Beleg dafür, dass der deutsche Film umso unterhaltender und apolitischer
war, je dröger und apolitischer seine Zeit wurde, sprich: die Achtziger
waren ganz schön schlimm!
Irgendwas hat sich seitdem im deutschen
Film geändert. Die spießig-skurillen Komödien, deren Protagonisten
dadurch nervten, dass sie psychomäßig null gemeinsame Schnittmenge
mit uns hatten, sterben langsam aus, und spätestens seit Hans Christian
Schmids „23- Nichts ist wie es scheint“ versuchen Regisseure die deutschen achtziger
Jahre aus der Erinnerung zu rekonstruieren, was mal besser, mal weniger gelingt,
aber stets zu interessanteren Ergebnissen führt, als die zeitgenössischen
Exponate (sieht man mal von Ausnahmen ab, wie Detlev Bucks Frühwerk).
Helmut (Fabian Busch) soll erwachsen
werden - fordert seine Freundin. Entweder ein Kind machen oder Schluss. Eigentlich
liebt er sie ja wirklich, aber um mit seiner eingeschliffenen passiv-verantwortungsfreien
Lebenshaltung endlich ein Ende machen zu können, meint er, sich und uns
erklären zu müssen, wie und wodurch er zu dem geworden ist, der sich
vor finalen Bindungsentscheidungen scheut. Also erzählt er - oder besser:
zählt er auf -, welches Mädchen er wann (nämlich in den Achtzigern),
warum und wie geliebt hat: Außer einer, der ersten, hat er nämlich
nie eine geliebt - bis offenbar jetzt.
Und jetzt tritt der Film in seine
Hauptleistungsphase, er erweckt das Jahr 1982 recht schön zum Leben: Die
Schulklasse, die Klassenfahrt nach Berlin, die modisch politisch überengagierte
Klassenschöne Britta, mit ihren liberalen Eltern, die sie mit Vornamen
anspricht, während Helmuts Eltern Vater und Mutter bleiben, in seinem beengten
kleinbürgerlichen Zuhause. In diesem Teil stimmt so manches, und selten
wurde eine erste Verliebtheit engagierter ausgemalt als in diesem Film. „Liegen
Lernen“ beharrt dabei ausschliesslich auf der subjektiven Perspektive des Helden,
aber das schadet nicht, denn mit ihm gemeinsam bekommen wir (später) auch
seine Irrtümer und Fehleinschätzungen zu sehen. Schöne Einsichten
bekommen wir, über die damalige Jugend, die insgesamt noch nicht so cool
oder abgebrüht war, sondern – und das mag ich bestätigen – verglichen
mit heute naiv und nett (oder ist heute Jugend naiv und cool?).
Schwach ist der Film in Punkto Musik.
In einem coming of age-Film über die Achtziger, eine musikalisch ziemlich
wichtige Zeit, drängt sich eine akustische Illustration der inneren Befindlichkeiten
geradezu auf, doch über Kansas’ „Dust in The Wind“ und Fischer Z’s „Berlin“
geht der Film nicht nachhaltig hinaus, „like punk, wave, hiphop never happened“.
Vielleicht – und da nähern wir uns auch schon meinem Haupteinwand – liegt
dieser Mangel aber in der Langweiligkeit des Protagonisten, der an keiner Stelle
so vital ist, dass er die Erregung vitaler Popmusik, von der es in Achtzigern
jede Menge gab, vernimmt. Wenn Popmusik den Gefühlen Jugendlicher Ausdruck
verleiht, dann ist unser Helmut – misst man ihn an der ihm zugeordneten Musik
– überhaupt kein Jugendlicher. Tanzt er z.B. jemals?
Weniger einfühlsam und eher oberflächlich
begleitet der Film Helmut – nach Brittas plötzlichem Abgang – durch seine
Twen-Zeit. Studenten-WG, Studium, Beziehungen, Fremdgehen. Die westdeutschen
Achtziger bestehen für Helmut fast nur aus Liebesbeziehungen und Helmut
Kohl - vermittelt uns der Film. Und letzterer muss irgendwie unangenehm gewesen
sein. Hier wird der Film zu unaufmerksam, zu mager, zu privatim, zu weit weg
vom Achtzigerzeitgeist, zu sehr liebes Unterhaltungskino, als dass er treffend
oder gar kritisch sein könnte.
Je länger „Liegen Lernen“ dauert,
desto ungenauer werden auch seine Figuren. Die Mauer fällt. Britta taucht
wieder auf – im ekstatischen, großdeutschen Berlin, völlig verändert,
wie nach einer Gehirnwäsche; möglich wäre dergleichen, aber erklärt
wird ihre persönliche Wandlung gar nicht. Die Personage gerät oft
zu oberflächlich. Schließlich ordnen sich Handlung und Figuren zu
sehr einem zu konstruierten Script unter, in dem Helmuts Egoperspektive und
sein programmatisches Erwachsenwerden Prämisse sind.
Vorweg genommen sei: Er wird es...
Und dass der Film tatsächlich damit endet, dass Helmut erwachsen wird, am Ende nicht nur „liegen“ (schliesslich fällt er noch einmal voll auf die Fresse) sondern auch „lieben“ gelernt haben will, was der Titel ja unheimlich raffiniert impliziert, ist zu schlicht und einfach, als dass man es nun noch glauben möchte. Dieses Erwachsenwerden nach Plan offenbart wohl am ehesten, wie unerwachsen es in den Köpfen von Romanvorlagenautor/Regisseur zugehen mag, und so bleibt „Liegen Lernen“ ein teilweise netter, da partiell stimmige Atmosphäre produzierender Film, der leider insgesamt eher etwas für reichlich angepasste, von klein auf Vierzigjährige ist, zu denen ich mich dann doch nicht zählen möchte....
„Lügen lernen“ wäre vielleicht der treffendere Titel. Sich selbst belügen lernen - darüber, dass man nichts verpasst hat. Und dann ganz schnell erwachsen sein? Weitere Vierzigjährige zeugen? Und gut is?
Oder wie?
Nee, danke! Punk rules! Oder irgendwas in der Art…
Andreas Thomas
Liegen
lernen
R,B: Hendrik
Handloegten. K: Florian Hoffmeister. S: Elena Bromund. M: Dieter Schleip. P: X Filme. D: Fabian Busch, Susanne Bormann, Birgit Minichmayr, Fritzi Haberlandt
u.a. 87 Min. X-Filme ab 4.9.03
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