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The Life Of Oharu
Die Lebensgeschichte einer Prostituierten - Meisterwerk von Kenji
Mizoguchi.
Inhalt
Oharu (Kinuyo Tanaka), eine abgehalfterte Prostituierte, buhlt nahe
eines verlassenen Tempels erfolglos um Kunden. Als sie ins Innere des
Schreins geht, erscheint ihr auf einer Statue das Gesicht ihres ersten
Liebhabers (Toshirô Mifune ). Damals, 13jährig, wurde sie vom Kaiserhof
verbannt, als ihre Beziehung zu einem Samurai niederer Kaste offenbar
wurde, der Mann wurde enthauptet. Jahre später sucht ein Fürst eine Frau
von außergewöhnlicher Schönheit als Mätresse, um einen Nachfolger zu
zeugen. Oharu wird ihm von ihren mitverbannten Eltern auf dem Tablett
serviert: Sie versprechen sich eine gesicherte Zukunft. Doch als sie ihm
schon nach einen Jahr einen Sohn gebiert, stößt sie nicht nur auf den
Neid der anderen Konkubinen, sondern auch das Kind wird ihr weggenommen.
Oharu verlässt den Hof, ihr Vater, der in Erwartung fürstlicher
Entlohnung auf Pump gelebt hat, überredet sie, ins Freudenviertel zu
gehen, um die Existenz der Familie zu sichern. Dort sinkt sie, von einem
Schicksalsschlag nach dem anderen getroffen, immer tiefer, bis sie,
verarmt, gealtert, zerrüttet, zu den billigsten Straßenmädchen gehört.
Doch der Fürst ist inzwischen gestorben, ihr Sohn hat den Palast geerbt.
Sie wird zurück an den Hof gerufen...
Kritik
Blockade und Bewegung: Zwei Konstanten im Schaffen Mizoguchis. Zum einen
die elegante Aussparung, entscheidende Taten verborgen hinter
Möbelstücken, Wandschirmen, Bäumen, Büschen, Wänden. Zum anderen der
gleitende Fluss, das langsame Entfalten des Films nach der Tradition des
e-makimono, des japanischen Rollbilds. Sei es in Form getragen bewegter
Plansequenzen, sei es im Gang der Figuren, oft in ferner Distanz: Die
Protagonisten Mizoguchis setzen ihre Fähigkeit zur Mobilität oft als
letzte Ausflucht gegen die Starrheit des Systems.
Das System ist häufig das der Feudalzeit, die Protagonistin zumeist
weiblich. Das Leiden der Frau, Mizoguchis Hauptthema, steht auch im
Zentrum von The Life Of Oharu, um dessen Realisierung er jahrelang
kämpfen musste. Zur Handlungszeit des Films, in der Genroku-Epoche, gilt
die Frau noch selbstverständlich als Leibeigentum des Mannes: Verraten,
verkauft, geschändet von Liebhabern, Dienstherrn, dem Vater und dem
Ehemann, sinkt Oharu Stück um Stück auf der Gesellschaftsleiter.
Mizoguchi, Meister der fließenden Distanz, variiert die immergleiche
Grundsituation der Demütigung episodisch stets aufs Neue, quer durch die
Geschichte des sozialen Abstiegs: Die Unterdrückung zieht sich durch alle
Klassen, alle Orte. Als könnte man der Verzweiflung dieser Spirale nur
mit größter Stringenz entgegenwirken, hält Mizoguchi dabei der
Aussichtslosigkeit der Story höchste Inszenierungskunst entgegen: Die
Würde und Schönheit, die die Heldin (außergewöhnlich: Kinuyo Tanaka)
verliert, schlummern in den zahllosen, manchmal komischen, zumeist
tragischen Details - eine elektrisierende Geste weiblicher Solidarität
angesichts des Alters, die Kirschblüte, die sich in einer langen, eine
lebensentscheidende Jagd begleitenden Kamerafahrt vor die Handlung
schiebt, der Blutstropfen am Schwert des Henkers nach vollzogener
Enthauptung. Mizoguchi arrangiert Symbole der Vergeblichkeit, testet
seine Thesen innerhalb der Szenen auf ihre Anwendbarkeit: Der reiche
Kunde, den Oharu eben noch so herablassend behandelt hat und zu dem sie
dann unterwürfig zurückgeschickt wird ist ein Fälscher, ihre
Argumentation über Würde und Käuflichkeit sinnlos.
Und tatsächlich gönnt Mizoguchi seiner Heldin kein Glück und keine
Rechtfertigung. Oharu, die geknechtete Schönheit, die zur hutzligen Hure
wird, begreift ihr Dilemma nicht, sondern fügt sich in ihr Schicksal,
hoffnungslos, stumm. Wenn sie ausgedient hat, verlässt sie den Ort der
Demütigung und nichts bleibt von ihr zurück. Sie muss immer weiter gehen:
vom Kaiserhof, von ihrem Mann, ins Freudenhaus, weiter in den privaten
Dienst. Von dort vertrieben, geht sie unfreiwillig mit einem Mann, der
wegen ihr zum Dieb wurde. Als sie auch den verliert, geht sie neben den
Ruinen eines alten Tempels herum, selbst schon eine Ruine. Am Ende, in
einer der größten Szenen von Mizoguchis Gesamtwerk will sie schließlich
auf das zugehen, was ihr geblieben ist. In einer makellosen Sequenz
inszeniert Mizoguchi die Annäherung und Entfernung aus einem
majestätischen Arrangement von Einstellungen, die unzählige Blickwinkel
suggerieren: In erhabener Distanz, in verzweifeltem Kriechgang, versteckt
hinter Pfeilern, getrennt durch Brücken und Treppen, ein hundertfaches
Arrangement aus Bewegung und Blockade, verstärkt durch rhythmische Musik.
Als auch der letzte Traum gescheitert ist, und Oharu nichts mehr bleibt,
spielt sie das Inszenierungsprinzip selbst durch. Mizoguchis
Lieblingsfilm im eigenen Schaffen endet ganz natürlich in einer
Auslöschung. Oharu versteckt sich vor den Männern, blockiert sich aus dem
Bild. Als die weg sind, bleibt ihr nur noch der letzte Schritt: Da geht
sie aus dem Film.
Christoph Huber, 21.11.2000
Dieser Text ist zuerst erschienen in:
The Life Of Oharu
Saikaku ichidai onna
Japan 1952
Mit: Kinuyo Tanaka
Regie: Kenji Mizoguchi
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