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Living
in Oblivion – Total abgedreht
„Warum muß es ein Zwerg sein? Hast du je einen
Traum gehabt, in dem ein Zwerg vorkam? Nicht einmal ich habe Träume, in
denen Zwerge vorkommen. Das einzige, wo es Träume gibt, in denen Zwerge
vorkommen, sind beschissene Filme wie der hier. Machen wir es unheimlich, nehmen
wir einen Zwerg! Und jeder sagt: Mensch, das muß ein Traum sein, da kommt
ein Zwerg drin vor. Weißt du, das steht mir bis hier."
Harte,
doch klarsichtige Worte, mit denen sich ein gekränkter Kleindarsteller
aus einem ambitionierten Filmprojekt verabschiedet. Daß Tito, der Zwerg,
der neben der widerspenstigen Rauchmaschine T 1601 wesentlicher Bestandteil
der großen „Traumsequenz" ist, immer wieder als Toto angeredet wird,
kann er noch verzeihen. Als er aber begreift, daß er nur deshalb mit einem
Apfel in der ausgestreckten Hand grinsend im Kreis herumlaufen soll, um möglichst
die „Angst" zu symbolisieren ...
Tito
hat recht. Und obwohl die Film-im-Film-Komödie LIVING IN OBLIVION selbst
zu zwei Dritteln aus purem Traumstoff besteht, solche symbolistischen Mätzchen
wie sein filmisches Alter ego Nick hat sich Autor und Regisseur Tom DiCillo
nirgendwo erlaubt. Ganz im Gegenteil, die beiden langen Traumepisoden, die es
hier gibt, erzählen - wenn auch satirisch übertreibend - auf sehr
handfeste Art von den handfesten Problemen bei der Erzeugung künstlicher
Realität: Mieses Fast-food, Übermüdung und klamme Kälte
am Set. Eine Hauptdarstellerin, die mit Komplexen kämpft, weil ihr ganzer
Ruhm auf einer einzigen Duschszene in einem Richard-Gere-Film beruht. Mikrofone,
die ins Bild ragen, hereinbrechender Straßenlärm. Jede Menge an erotisch-amourösen
Verstrickungen und eitlen Künstlerneurosen. Und ein gönnerhafter Jungstar,
Chad Palomino, den man sich des Kassenerfolgs wegen in Hollywood eingekauft
hat. Chad möchte gerne einmal etwas anderes als Hollywoodsülze machen,
doch nach dein ersten Drehtag schon bringt er mit einer wohlabgestimmten Kombination
aus Dummheit und blasierter Selbstgefälligkeit das Projekt fast zum Platzen.
Alpträume
von Filmschaffenden. Und Befriedigung primitivster Zuschauerlust. Denn auch
wenn es nicht Madonna ist, mit der wir ins Bett steigen dürfen: Höchst
genüßlich werden auf diesem verrückten Filmset uralte Publikumsbedürfnisse
bedient - Zuerst ein Voyeurismus, der am liebsten bis ins Schlafzimmer vordringen
würde und hier auf der Herrentoilette seine Grenze findet, zum anderen
die destruktive Lust an der Zerstörung von Illusionen.
1984
hat Tom DiCillo in Jarmuschs STRANGER
THAN PARADISE
die Kamera geführt. 1991 hat er seinen ersten und bisher einzigen eigenen
Film gedreht: die Komödie JOHNNY SUEDE mit Brad Pitt in der Hauptrolle.
Dazwischen Theater, Kurzfilme, TV. Wahrhaftig traumatische Erfahrungen muß
DiCillo in seinen bisherigen Berufsjahren gemacht haben, die Fähigkeit
zur distanzierten Beobachtung hat er dabei nicht verloren. Denn was er uns nun
in LIVING IN OBLIVION als Kondensat dieser Erfahrungen vorsetzt, das ist unübersehbar
auf dem kargen Boden alltäglicher Low-budget-Studiorealität gewachsen.
Aus solcher Vergangenheit scheint es verständlich, wenn gerade die letzte,
die einzig „wahre", nicht geträumte der drei Tagesepisoden - es ist
die, in der Tito seinen Auftritt hat - eigentlich noch phantastischer erscheint
als der Stress und das Chaos, das vorausging.
Der
Alptraum ist nichts gegen die Realität: So könnte das Credo dieser
Horrorkomödie lauten. Aber auch: So mißglückt auch ein Film
daherkommen mag, dahinter stecken Energie, Schweiß und schlaflose Nächte.
Denn außer Chad Palomino sind alle Beteiligten an diesem Projekt nicht
nur redlich bemüht, sondern - hinter aller Eitelkeit - auch symphatisch
gezeichnet. Mit bewundernswerter Energie, vielen lobenden Worten und Psychotricks
aus der Filmschule („How would you describe this scene in one word") versucht
Regisseur Nick Reve (Steve Buscemi), seine Visionen am Leben und die Truppe
bei Laune zu halten. Tapfer kämpft Nicole, die Hauptdarstellerin, gegen
intrigantes Kulissengeflüster und den Mundgeruch ihres Partners. Der Beleuchter
versucht, in der Drehpause noch schnell ein Drehbuch unterzubringen. Und Wanda,
die Regieassistentin, schmilzt zwar dahin unter Chads dürftigen Schmeicheleien
(„Irgendjemand riecht hier sehr, sehr gut"), trotzdem hält sie ihr
eisernes Regiment.
Filme
über das Filmemachen sind zur Zeit ja ziemlich populär. Überall
und immerzu reflektieren Regisseure sich selbst und ihr Metier, ernst oder ironisch,
oft bitter, manchmal geistreich. Das kann- in seinen wehleidigen Ausformungen,
die Zuschauer nerven. Das Medium in der Krise? Die Filmkunst als sterbende Kunstform?
LIVING IN OBLIVION, ganz amerikanisch, kümmert sich einen Dreck um solch
gewichtige Fragen. DiCillo ist Praktiker, und er setzt tiefschürfenden
Analysen und hyperintellektuellen Formspielen den sachkundig bissigen Blick
auf den Produktionsalltag entgegen. Fans europäischer Filmkultur könnte
das oberflächlich vorkommen. Intelligent und hervorragend gemacht (allein
die Besetzung zeugt von Sinn fürs treffende Detail) ist es auf jeden Fall.
Und die Freude der Beteiligten an der Arbeit - ironischerweise lief hier, wenn
man der Presseinformation glauben darf, einmal alles ganz glatt - ist dem Produkt
anzumerken.
Die
„Traumsequenz", soviel sei verraten, wird doch noch gerettet. Tom DiCillo
hat einen äußerst komischen und intelligenten Film gemacht. Und es
zeigt sich wieder einmal, daß es die Schrecken des Alltags sind, die das
schönste Lachen erzeugen.
Silvia
Hallensleben
Diese
Kritik ist zuerst erschienen in: epd Film 10/95
Living
in Oblivion – Total abgedreht
LIVING
IN OBLIVION
USA
1994. R und B: Tom DiCillo. P: Michael Griffiths, Marcus Viscidi. K: Frank Prinzi.
Sch:
Camilla Toniolo. M:
Jim Farmer. T: Mathew Price. A: Therese Deprez. Ko: Ellen Lutter. Pg: Lemon
Sky/JDI. V: Filmwelt-Prokino. L: 91 Min. DEA: Berlinale 1995. St: 7.9.1995.
D: Steve Buscemi (Nick Reve), Catherine Keener (Nicole), Dermot Mulroney (Wolf),
Danielle von Zerneck (Wanda), James Legros (Chad Palomino), Rica Martens (Cora),
Peter Dinklage (Tito), Hilary Gilford (Script), Michael Griffith (Tonmann).
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