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Lola
Fassbinder revisited
Fassbinders LOLA ist der vielleicht heimtückischste seiner „BRD"-Filme.
Als dritter Teil einer Geschichte der deutschen Nachkriegsgesellschaft setzt
er die Suche nach dem Vater, nach der Frau, nach dem Ursprung fort. Aber es
ist nun eine Komödie, das heißt, neben der Zärtlichkeit und
der Gewalt ist auch die Verachtung und die Vergebung möglich. Anders als
DIE EHE DER MARIA BRAUN oder LILI MARLEEN gibt sich LOLA grell und parodistisch; die Verzweiflung resultiert
aus dem Umstand, daß Korruption und Verrat gar nicht verborgen, nicht
einmal mehr wirklich „dramatisch" sind und dennoch funktionieren. Sie haben
sowohl die Menschlichkeit als auch die synthetische Kühle aus den vorherigen
Filmen verloren; sie wiederholen den Mythos als Farce. Die Figuren in LOLA glauben
selbst nicht mehr an das, was sie tun. Man hat daher LOLA zu den „unpersönlicheren"
Arbeiten des Regisseurs gezählt.
Fassbinder erklärt die Versuchsanordnung: „Es gibt da einen Bauunternehmer,
der will verdienen - das ist sein gutes Recht. Es gibt da ein Mädchen,
das möchte nicht nur bezahlt werden, sondern auch zu den Kapitalisten gehören.
Und es gibt dazu einen Baudezernenten, der von seiner moralischen Haltung her
das simple kapitalistische Prinzip ablehnt, dem aber klar wird, daß der
Aufbau dieses Landes ohne dieses Prinzip nicht möglich ist." Was mit
diesen Menschen im Wiederaufbau geschieht, sind übrigens Liebesgeschichten.
Bonbonfarben entstehen die Vorspanndaten über dem Bild Konrad
Adenauers, des verfehlten Vaters, zu Spieluhrenklang. Eine Reihe dieser Farben
wird in dem Film nicht mehr vorkommen, andere, das Blau und das Rot, werden
zu Leitfarben. „Wer jetzt kein Haus hat, baut sich keines mehr/Wer jetzt allein
ist, wird es lange bleiben", hören wir am Anfang, und Barbara Sukowa
zeigt gleich in dieser ersten Szene, daß sie eine rationalisierte, eine
entheiligte Version der Hanna Schygulla sein wird. Hanna Schygulla war für
die Rolle vorgesehen; Rache, Entfernung und Sehnsucht bestimmen den Blick. Sukowa
ist von Anfang an in einem Prozeß der Zerstörung gefangen. Im ersten
Teil des Films ist sie meist betrunken. Bei ihr, sagt sie, wisse der Verstand
mehr als die Seele. In MARIA BRAUN gäbe es diesen Unterschied gar nicht.
Und Barbara Sukowas Atemlosigkeit setzt noch mehr die Geschichte gegen den Mythos,
das Exempel gegen das Modell. Wie sie „Am Tag als der Regen kam" singt,
macht klar: Die sexuelle Inbrunst ist schon so vergangen wie die Erlösungssehnsucht.
Nur die Notwendigkeit ist geblieben; LOLA beschreibt die Endzeit des Wiederaufbaus
und den Beginn des „Wirtschaftswunders".
Das erste Zentrum von Konspiration und Konfrontation ist die Männertoilette
eines Bordells, Nachtbonbonfarben auch hier. Da begegnen einander, wie gewohnt
offenbar, der Spekulant, der Bürgermeister, der Beamte. Jemand wird erwartet,
ein neuer Bau-Dezernent. An ihm wird es liegen, ob es so weitergeht wie bisher
oder nicht. Von Bohm, den man sich, wie Barbara Valentin als Mutter Sukowas
sagt, auch gut auf einem Pferd vorstellen kann, widersetzt sich zunächst
dem System. Er geht nicht ins Bordell, er soll „Ordnung" schaffen, man
bringt ihm Respekt entgegen. Mit diesem Mann (Armin MuellerStahl) arrangiert
sich der Bauspekulant (Mario Adorf), oder nein: er ist wahrhaft in ihn verliebt, der Körper, der eine Seele
sucht. Lola verführt von Bohm, nicht nur wegen einer 30-Champagnerflaschen-Wette,
in aller Unschuld zuerst. Man wandert miteinander, das war damals der Versuch,
der Bewegung die verlorene Unschuld zurückzugeben, man singt gemeinsam
in der Kirche. Wie lange hat Lola nicht mehr gesungen!
Lola versucht, von Bohm zu warnen: „Die Leute haben hier ein Innenleben
und ein Außenleben, und die haben nichts miteinander zu tun." Das
ist der falscheste Satz über die Verhältnisse, aber er beschreibt
genau von Bohms Situation. An Menschen wie ihm realisiert sich der Mythos von
Innen und Außen. Und aus beidem setzt er sich die Wirklichkeit noch einmal
zusammen, als hätte er das Spiel erkannt, das mit ihm getrieben wird. „Ich
werde sie alle vernichten, und die Hure mit", schwört er. Nichts davon.
Die Farben in LOLA sind beinahe unerträglich. Sie haben ein Vorbild
nicht nur in den Farben der Republik in jenen Tagen, sondern auch im Horrorfilm
der sechziger und siebziger Jahre, besonders bei Roger Corman und seinen Poe-Verfilmungen,
wo es auch um möglichst essentielle Darstellungen des Weiblichen und des
Männlichen, des Lebendigen und des Toten geht. Auch die komischen Überdeutlichkeiten
kommen vielleicht aus solchen Filmen, der Geldregen über der Sängerin
Sukowa, die Zigarre des Spekulanten, die furchtbaren Sentenzen: Ein Moralist
sei der Demonstrierende, heißt es am Anfang, „das sind wir doch wohl alle.
Deshalb braucht man doch nicht gleich zu demonstrieren", ist die Antwort
einer Frau jener Luxusbürgerklasse, die Fassbinder mit sehnsüchtiger
Verachtung zu beschreiben pflegte. Seine „Familie" war die luxuriöseste
Nachinszenierung von „Proletariat".
LOLA funktioniert auch als Parodie auf das Typenreservoir des deutschen
Unterhaltungsfilms der Wirtschaftswunderzeit; Mueller-Stahl könnte da das
neue, väterliche Autorität erobernde Zentrum eines Modernisierungs-
und Harmonisierungsmärchens sein, Mario Adorf der zu bestrafende Bösewicht,
Barbara Valentin die vergebende Mutter und Sukowa die am Ende heimgeholte Wilde
Frau. Aber es geschieht alles anders herum. Hier wie dort, zum Beispiel, unterstützt
die komödiantische die dramatische Erzählebene. Nur sieht man bei
Fassbinder, wie diese Bestätigung verläuft, nämlich als ein System
der Macht.
Von der „Verelendung, die über den Luxus geht", hat Fassbinder
einmal gesprochen. Sie zeigt sich hier in der konsequenten Verdrängung
der dialektischen Anwesenheit des Mangels im Luxus. Was die Farben von LOLA
auszeichnet, ist vor allem, daß sie undurchlässig sind (jedenfalls
in dem Raum, der das Zentrum markiert: den geschändeten Mutterbauch der
Republik), und das Geflecht der Macht ist es ebenso. Die Figuren in LOLA werden
einander unerreichbar auf eine ganz andere Art als in dem Referenzfilm DER BLAUE ENGEL - alle „BRD"-Filme Fassbinders haben Referenzmythen -, wo der
Professor Unrath an seiner Liebe über die Grenzen hinweg zerbricht, die
ihm das Leben, die Gesellschaft gesetzt hat. Der von Bohm dieses Films zerbricht
nicht, muß keinen Hahnenschrei zu seinem Seelentod anstimmen, sondern
er wird demontiert, Stück für Stück auseinandergenommen und wieder
zusammengesetzt; er wird umgebaut, wie dieses Deutschland als Bundesrepublik,
das demontiert und wieder zusammengesetzt wurde. Der Fortschritt lag darin,
daß das Neue vom Alten nicht mehr zu unterscheiden war: jener Fortschritt,
den Fassbinder in LOLA als das traumwandlerische Zusammenwirken der Kräfte
des Alten und des Neuen zeigt.
LOLA ist eine Farce, alles ist schon von Anfang an verfehlt. Es ist
vielleicht nicht unerheblich, daß Barbara Sukowa gleich am Anfang in einem
Auftritt eine kleine, aber strenge lesbische Inszenierung vorführt. Ganz
in blaues Licht getüncht, fragt sie den Spekulanten Schuckert: „Ist er
ein Homo?", weil von Bohm nicht ins Bordell kommt. Das sei er nicht, nur
„altmodisch", „mit Handkuß und so". Die Frage nach der sexuellen
Identität entlarvt sich zweimal als Manöver der Macht; die Verführung
bleibt in Wahrheit kalt, eine Metapher.
LOLA handelt von einem Dialog zwischen den Farben Blau und Rot, und
er beginnt in dem Bordell, wo es zu dem verhängnisvollen Pakt kommt: 30
Flaschen Champagner für die Verführung. Die Menschen sind blau bestrahlt,
die Hintergründe rot. Die Sängerin, fehl am Platz und unbeirrt, verbindet
als erste - rot das Gewand, rot das Fleisch und blau die Handschuhe bis über
die Ellenbogen - die Gegensätze. Es entwickelt sich eine Tendenz in der
Farbdramaturgie, mehr und mehr von unten nach oben vom Rot ins Blau überzugehen,
als würde in einer bizarren Inversion die Hölle nach oben und der
Himmel nach unten verrutschen, als wäre der Aufstieg zu Wärme und
Liebe unabdingbar mit der Kälte und der Macht verbunden. In Fassbinders
Universum, nur zur Erinnerung, kann Moral nur haben, wer auch Macht hat. Wir
sind in Deutschland. Diese Farben gehorchen im ersten Drittel des Films aber
auch einer horizontalen Ordnung; das kalte Blau zieht uns nach rechts hinüber,
als müsse darin die Zukunft liegen. Und schließlich steckt in dem
Dialog zwischen Rot und Blau auch ein Dialog zwischen dem Männlichen und
dem Weiblichen, was sporadisch auch als Dialog zwischen Mann und Frau erscheint,
wie in der Szene, wo Sukowa (die unmoralische Künstlerin) sich mit ihrem
Freund (dem moralischen Künstler) streitet. Unentschieden. Die Farben Rot
und Blau sind im Innenraum klar gegeneinander gesetzt, in einer zeitlichen Struktur
wechselnd, im Außen dagegen verblassen sie nicht nur, sondern durchdringen
einander. Hellblau und Hellrot setzen versteckter den Dialog in gesellschaftlicher
Öffentlichkeit fort, der in so reiner Form im Bordell als eigentlicher
Keimzelle des Staates begonnen wurde. Darüber will eine Art Weiß
triumphieren, dem es nie gelingt, rein zu werden, und ein Schwarz, das nur Anmaßung
sein kann. So steigt Lola ins (rote) Auto wie Rosemarie Nitribitt, ikonisch,
zeremoniell; Fortschritt und Prostitution sind eines und finden sich in der
öffentlichen Inszenierung des Luxus (und dann: der Strafe).
Herrschaft heißt Macht über die Farben, heißt Macht
über die Worte. Beides versinkt, während sich Herrschaft als Politik
und Mafia verfestigt, in LOLA. Das Farbmuster wird im zweiten Drittel bereits
abgelöst von Formenmustern, die den Blick bestimmen. Je häufiger sich
Sukowa und Mueller-Stahl begegnen, desto zersplitterter ist ihr Blick. Lola
hat einen Netzschleier vor den Augen, dessen Muster sich in von Bohms Anzug
wiederholt. Das vorhersehbare gesellschaftliche Scheitern der Beziehung trotz
ihres paradoxen emotionalen Gelingens deutet sich in diesem Übergang von
Farb- zu Formendramaturgie an. Im Ornament ist die Sehnsucht nach Harmonie begraben,
und in LOLA ornamentalisieren sich die Menschen, innen wie außen, um zu
überleben.
Und etwas anderes geschieht. Der Blick isoliert sich, als wenn er
vom Körper unabhängig werden wollte. Daß ein Tag so schön
ist, wie man ihn sich vorstellt, sagt Armin Mueller-Stahl, und in sein Büro
scheint dabei ein überwältigendes, nur selten aufscheinendes Grün
(das sich vorher in einer Ming Vase angekündigt hat). Und wenn wir ihn
ansehen, versinkt er gerade in Dunkelheit; nur seine Augen sind im Licht. Das
wirkt ein wenig wie das Negativ einer Maske, und es korrespondiert mit dem Schleier
der Sukowa, etliche Szenen später. Was unter anderem von Bohm und Professor
Unrath voneinander unterscheidet, ist, daß von Bohm zunächst nicht
weiß, wie „unstandesgemäß" Lola für ihn ist. Je angestrengter
man schaut, desto weniger sieht man.
Das Blau der Ordnung und das Rot der Leidenschaft haben ihre utopischen
Referenzfarben: das Gelb gehört zu Rot, das Grün zu Blau. Im entscheidenden
Moment, wenn die Utopie der Gerechtigkeit des Baudezernenten von der Utopie
der Sinne Lolas erobert wird (über eine Telefonleitung übrigens) und
gerade damit der Weg freigemacht wird für die vitale Realität des
Unternehmers (für die Bundesrepublik), treffen die vollständigen Harmonien
von Grün/Blau und Gelb/Rot aufeinander. Dann beginnt die Dekonstruktion
der Farbordnung.
Die Farben haben schon erklärt, warum es nicht gehen wird mit
der Demokratie; der Liebe und der Familie. Und das genau in dem Moment, in dem,
zum Beispiel, von Bohm doppelt wohlgemut ist, wie man es zu sein pflegt, wenn
man zugleich verliebt und erfolgreich zu sein scheint, ohne noch zu ahnen, daß
sich beides aneinander zerstören wird. Lola ist dem nur einen kleinen Schritt
voraus.
Das Scheitern des Entwurfs Bundesrepublik nimmt Fassbinder aber auch
schon auf der politischen Ebene vorweg. Revolutionen lehne er ab, sagt der junge
Beamte Esslin, den Fassbinder einen „übriggebliebenen Wolfgang Borchert"
nennt, er sei nämlich Humanist. Dann müsse er wohl die Raubvögel,
die Krähen und Aasgeier (nützliche Tiere, sagt rechtens der Bauunternehmer)
in Kauf nehmen, antwortet von Bohm. Schon hat er sich eine Zigarette angezündet,
schon ist er aus der Klarheit seiner Farbdramaturgie ins Diffuse getreten. Keine
Chance.
„Es gab", sagt Fassbinder, „so etwas wie eine bigotte, falsche
Moral. Aber es gab zwischen den Leuten eine stillschweigend ausgemachte Amoralität.
Weil der Wiederaufbau nur in dem Maße funktionieren konnte, wie er es
hat, wenn er ohne Rücksicht auf Verluste passierte."
LOLA gehört gewiß nicht zu den „unpersönlichen"
Filmen Fassbinders, so es die gibt, wohl aber zu den methodischeren. LOLA kann
man auch mögen und verstehen, wenn man Fassbinder verabscheut. „So spielerisch
und leichthändig ging Fassbinder selten mit seinem Stoff um", notierte
Wilhelm Roth. Eben. Aber warum konnte und durfte niemand gerade an dieser Stelle,
die man sich einigermaßen frei vom Legenden- und Neurosenklimbim der Fassbinder-Maschine denken kann, an die cineastische
Auseinandersetzung mit dem Werden unserer Republik anknüpfen? Warum ist
mit Fassbinder, diesem Schurken, der deutsche Film gestorben?
Georg Seeßlen
Dieser
Text ist zuerst erschienen in: epd film
6/92
LOLA
BRD
1981. R: Rainer Werner Fassbinder. B: Peter Märthesheimer, Pea Fröhlich.
P: Horst Wendlandt. K: Xaver Schwarzenberger. Sch: Juliane Lorenz. M: Peer Raben.
T: Vladimir Vizner. Ba: Helmut Gassner. A: Raul Gimenez, Udo Kier. Ko:
Barbara Baum, Egon Strasser. Pg: RiaIto/Trio/WDR. V: Futura/Filmverlag. L:
115 Min. FSK: 16, ffr. DEA: 20.8.1981. St: 4.6.1992D: Barbara Sukowa (Lola),
Armin Mueller-Stahl (von Bohm), Mario Adorf (Schuckert). Matthias Fuchs (Esslin),
Helga Feddersen (Hettich), Karin Baal (Mutter Lola), Ivan Desny (Wit tich),
Hark Bohm (Völker), Rosel Zech (Frau Schuckert), Christine Kaufmann (Susi).
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