Lolita(1997)
Rasiermesserklingenrittkritik
Inhalt:
Die ungebührliche Beziehung des Humbert Humbert zur jungen Dolores Haze,
genannt Lolita.
Kritik:
Die Geschichte von Vladimir Nabokovs wunderbarem Werk "Lolita" ist
eine Aneinanderreihung von Mißverständnissen, Vorverurteilungen und
Verteufelungen in schlimmster amerikanischer Salem-Tradition. Angefangen vom
jahrelangen Publikationsverbot über Stanley Kubricks kreuzbrav-humoristische
Verfilmung bis zu den jüngsten populärkulturellen Auswüchsen,
die heimlich lüstern jede jungmädchenhafte Koketterie mit Lolita-Gebaren
gleichsetzen, ist alles - meist (natürlich) auch noch von Leuten, die das
Buch nicht einmal im Leben gesehen haben - getan worden, um das eine Wort Lolita
zu pervertieren, zu verdrehen und zu verstümmeln. Nach fast fünfzig
Jahren bleibt nur die traurige Erkenntnis, daß das einzige Werk, welches
dem Buch "Lolita" wirklich gerecht wird, das Buch "Lolita"
ist.
Auch
der sonst eher mit weniger problemträchtigen Themen befaßte Regisseur
Adrian Lyne liegt mit seiner Verfilmung meilenweit daneben. Einmal abgesehen
von der weichzeichnerisch-schalen Kamera, dem lustlos dahinplätschernden
Soundtrack, den ideenlosen Sets und den katastrophal schlechten erwachsenen
Darstellern (Jeremy Irons sieht mit seinem weidwunden Weltschmerzblick immer
so aus, als würde er gleich einschlafen, und Melanie Griffiths Schönheitsoperationsnarben
täuschen auch nicht über ihre mangelnden mimischen Qualitäten
hinweg): Dominique Swain ist als Lolita so grauenhaft fehlbesetzt, daß
auch die halbwegs treu und ab und zu sogar originell (Humberts Umkleideszene!)
adaptierte Story nichts mehr nützt. Neben ihren nicht vorhandenen Schauspielfähigkeiten
ist sie auch eindeutig zu alt für die Rolle, die klar ein an der Schwelle
zur Pubertät stehendes zwölfjähriges Kind statt einer fünfzehnjährigen
Jugendlichen in zu kurzen Kleidern fordert. In keinem Moment wirkt sie wie die
vulgäre, von Mädchenheften und "Freundinnen" verdorbene,
sich ihrer selbst nicht bewußte Lolita, die sich, ohne sich der Konsequenzen
je bewußt zu sein, dem - welch ein Kontrast - feinsinnigen britischen
Gelehrten Humbert halb selbst hingibt, halb von ihm ins Bett gezwungen wird.
Stattdessen sieht sie nur wie eine gelangweilte Cheerleaderin mit der darstellerischen
Präsenz eines Pappaufstellers aus.
So
wirken der eher einfältig dreinschauende Irons und die zu reife Swain auch
nicht wie eine zum Scheitern verdammte amour fou, sondern nur wie ein normales
Paar mit einem zu hohen Altersunterschied. Dieser Eindruck wird noch verstärkt
durch die völlig unnötigen, im Buch wohlweislich ausgelassenen Nacktszenen.
Da Lyne wohl aus Angst vor den selbsternannten Moralaposteln sowohl die seltenen,
aber umso graphischeren Dialoge zwischen Humbert und Lolita als auch Humberts
Phantasien weggelassen hat, versucht er sich mit Körperpartien im Halbdunkel,
bleibt auf halbem Weg zwischen Mainstream-Anbiederung und Tabubruch stecken
und endet mit einer seltsam perversen, geradezu voyeuristischen Vorführung
des Körpers von Swains Bodydouble. Dazu kommen noch allzu unsubtile Bananen-
und Lollischleckszenen, und schon hat Adrian Lyne Lolita
ungewollt in den Schmutz gezogen, in dem sie alle Gutmenschen schon längst
sehen. Ganz schwach, selbst für Lynes niedrigen Standard, und ein weiterer
Schritt weg von Nabokovs Werk.
Andreas
C. Lazar
Dieser
Text ist zuerst erschienen in:
Zu "Lolita" gibt's im archiv der filmzentrale mehrere texte
Lolita (USA 1997)
Regie:
Adrian Lyne
Darsteller: Jeremy Irons, Melanie Griffith, Frank Langella, Dominique
Swain, Suzanne Shepherd, Keith Reddin