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Looking
for Langston
Radikal prätentiös zelebriert der Brite
Isaac Julien (TERRITORIES) die lyrischen Texte, die der schwarze und schwule
Poet Langston Hughes im Harlem der dreißiger und vierziger Jahre schrieb.
Der Schwarzweißfilm vereint in einem unerhörten Akt künstlerischer
Anstrengung zeitgenössische Dokumentaraufnahmen mit der hochstilisierten
Spielhandlung zu einer Hymne auf den Künstler, die gleichzeitig das bisher
noch nie gezeigte Porträt einer Harlem-Kultur ist, in der es in der weißen
literarischen Szene als schick galt, sich an den Wurzeln der schwarzen Kultur
zu laben. Hughes' Texte, feierlich gesprochen, dem Blues-Rhythmus angepaßt,
kreisen um das, was später Coming Out heißt, - um das Überschreiten
der Schranken. „I
want to court outside the race, outside the class, outside the attitudes".
Was es heißt, die schwarze Rasse,
die Mittel-Klasse, die durch das männliche Geschlecht fixierte sexuelle
Neigung zu verlassen, zeigen die schwelgenden Bilder dieses Films, die zu allererst
belebte Fotografien sind, ein soeben in Bewegung gesetztes Stilleben, auch werden
aufregende Werke der großen Kultfotografen van der Zee und Mapplethorpe
zitiert; niemand anders als Bessie Smith macht dazu den Ton.
Wir kennen das Harlem der Klassen- und Rassenschranken,
das Harlem der Konflikte und Katastrophen - was wir in LOOKING FOR LANGSTON
sehen und hören, ist das Harlem, das vereint, das mutig macht und stolz.
„Beautiful
black man, I’m just like you / You know I face discrimination too / (...) You're such a beautiful blackman / C'mon put a smile
on your face, be proud of your race". - Die Texte entwerfen ein Gegenbild
von dem, was die Gesellschaft der dreißiger und vierziger Jahre vorgibt.
Und die Fotografie dieses Films von 1988 findet hierfür idealtypische Bilder
der gewünschten und gewollten Vereinigung von schwarzen und weißen
Leibern oder vom standesgemäßen Smokingträger mit dem klassenfremden
Ledermann (von „Beauty" and „Leatherboy"). Es mag sein, daß
diese ästhetische Feier ins Schwülstige abgleitet, doch ist sie nie
Stilbruch, sondern grade dann der Höhepunkt, der gewollte Exzeß.
Dampf wabert übers Tanzparkett, Kerzen, Blumen, Tränen, wehende Tücher,
die Kamera kreist weihevoll um einen nackten Torso, - was wäre die Steigerung?
Ein schwarzer junger Engel legt Flügel an, ein Schmetterlingsfiligran,
und setzt zum Flug an über den nächtlichen Himmel von Harlem, die
schwankende Kamera übernimmt den subjektiven Blick.
„Man hat es sich nicht ausgesucht, in Opposition
zu seiner Gesellschaft zu leben", schrieb Baldwin, der - zusammen mit Essex
Hemphill - in LOOKING FOR LANGSTON zitiert wird. Langston Hughes' Texte sind
nicht nur die der Opposition, sondern vor allem die des Lebens, und da er damit
sein Leben meinte, ist die subjektive Fotografie des Films berechtigt. Die Texte
(und Bilder) bestehen, weil sie dem geglaubt werden können, von dem sie
stammen. Langston Hughes schrieb selbst, daß der normale Neger keinen
Pfennig mehr Lohn bekäme, wenn er diese Texte gehört und verstanden
hätte. Aber wäre es nicht machtvoll, die Schönheit des Abweichens
zu sehen, zu spüren und zur eigenen zu machen? „We still find power in
our words". - Die Texte sind nicht ins Deutsche übersetzt, auch nicht
in Untertitel, die doch nur das Bild verletzt hätten. Der Verleih stellt
dem Kino-Besucher jedoch ein Text-Heft zur Verfügung.
Wir hören in diesem Film viele Stimmen, die
von Langston Hughes, aber auch die, die nach ihm Ausschau halten, deutliche
und sich überlagernde, hoffnungsvolle und todessehnsüchtige. „Now
we think / as we fuck / this nut / might kill us. / There might be / a pin-sized
hole / in the condom, / A lethal leak:“ - Mit einer Beerdigung, mit frozen flashes
beginnt der Film, um über die Renaissance von Blues und Jazz im klassischen
Harlem in eine ästhetische Meditation zu geraten, die in einer völlig
outrierten Verzückung endet. - Es wäre eine Entdeckung wert, sich
hier in Europa zu fragen, ob man nicht für diese Ästhetik die Ader
hat. In den USA gibt es die Chance nicht; Langston Hughes' Angehörige haben
ein Aufführungsverbot bewirkt.
Dietrich Kuhlbrodt
Dieser Text ist zuerst erschienen
in: epd Film 1/91
LOOKING
FOR LANGSTON
Großbritannien 1988. R,B: Isaac Julien. K: Nina
Kellgren. Sch: Robert Hargreaves. M: Blackberri, Wayson Jones.
T: Martin Jackson, Ronald Bailey. A: Derek Brown. Ko: Robert
Worley. Pg: Sankofa Film. P: Nadine Marsh-Edwards. V: Salzgeber. L: 80 Min.
DEA: Berlinale 1989. St: Dezember 1990. D: Ben Ellison (Alex), Matthew Baidoo
(Beauty), John Wilson (Gary), Akim Mogaji (James), Dencil Williams (Marcus),
Guy Burgess (Dean), Simon Fogg (Jez), James Dublin (Carlos), Harry Donaldson
(Leatherboy).
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