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Lord
Nelsons letzte Liebe
Im Jahr 1941 als Propagandafilm angetreten, der sich
darin versuchte, das britische Selbstverständnis geschichtlich zu verifizieren,
präsentiert sich „Lady Hamilton“ heute immerhin noch als universelle sozialdramatische
Romanze. Dass die zugrunde liegenden Fakten erst etwas hingebogen und gerafft
werden mussten, um dieser Doppelfunktion zu genügen, das ist eben die kaum
vermeidbare Krux, wenn eine Geschichte auf Geschichte beruhen soll, aber nicht
die Zeit dafür hat.
Ohne sich großartig mit ins Leere geschilderten
Kleinigkeiten auf- und an belanglosen Zwischenergebnissen festzuhalten, arbeitet
sich „Lady Hamilton“ geradezu sprunghaft durch die in filmische Schienen gepresste,
erzählte Zeit, überlasst dabei mal 3, mal 5 Jahre einem groben Schnitt
und drängt auf das unabwendbare Unheil, das die umklammernde Rahmenepisode
schon vorwegnimmt, in der die verarmte Protagonistin ihre Lebensgeschichte vorträgt.
Die Handlung selbst spielt um 1800, zur Zeit der Koalitionskriege, und erzählt
von der Liebe zwischen Emma Hamilton (Vivien Leigh), Frau des signifikant älteren
britischen Botschafters von Neapel, Sir William Hamilton, und dem ebenfalls
verheirateten Admiral Lord Horatio Nelson, gespielt von Laurence Olivier, damals
mit Leigh liiert.
(Über Olivier befand Charles Bennett einst,
er spräche Shakespeares Zeilen so „natürlich, als würde er sie
eigentlich denken“; Pauline Kael urteilte, er sei „the wittiest actor who ever
lived“. Mag sein. Vor allem aber tat er sich speziell in seinen früheren
Filmen, wie z.B. „Wuthering
Heights“ (1939), „Rebecca“ (1940), „Hamlet“ (1948) und auch „Lady Hamilton“,
hervor als ein unangefochtener Meister des physischen Formulierens von Melodramatik.)
Diese unabgeschlossene archetypische Konstellation
(plus interessierter Öffentlichkeit und Krieg) ist der Wendepunkt einer
Handlung voll von abwechselnden Entbehrungen und Zugewinnen des Prestiges, des
Materiellen und der Liebe. (Knifflig ist, dass nie alles gleichzeitig zu haben
sein wird.) Diese Status-Dynamik wird erreicht mittels fortwährender Kollisionen
konträrer Sichtweisen, Lebenseinstellungen und Motivationen, die sich zu
effektiven und effektvollen Dualismen konstituieren - etwa als thematische Entsprechung
des tonangebenden Kriegs. Dabei bestimmt die Zeit (im doppelten Sinn) das (Di-)Lemma
des Films: Erstens sind erkenntnisreiche Synthesen nur auf Basis - zwecks Beschleunigung
der Entwicklung - künstlich korrigierter Setups möglich. Zweitens
kann es der Film mit einem Verweis auf die historischen Tatsachen sogar vermeiden,
einen privaten Standpunkt einzunehmen.
Als Sir William, ein Skulpturen- und Gemäldesammler,
die junge Emma mehr oder weniger kauft und damit ihren Zorn erregt, ist das
für ihn deshalb unverständlich, weil er sie ja aus seiner Sicht nicht
zum Lustobjekt degradiert, sondern ausgehend von ihrer Vergangenheit als leichtes
Mädchen für schwerreiche Herrschaften (diese ausgesparte verruchte
Vorgeschichte hätte man der kapriziösen, unnahbaren, schlohweiß
leuchtenden Vivien Leigh wohl nur schwer abgenommen) zum Kunstwerk emporhebt.
Angesichts der Vorzüge, die das gesellschaftliche Leben bietet, verstummt
ihr halbherziger Protest, der dann wohl eher ihren Trophäenwert bestätigt,
denn eine vernünftige Gesinnung signalisiert. Die wahre Liebe sollten ihr
dann zumindest vorübergehend der Krieg und seine Begleiterscheinungen bescheren.
Was der Krieg narrativ nicht alles zu leisten imstande ist und wie er sich durchaus
eignet, nachvollziehbar in diese tragische Lovestory eingebettet zu werden,
sie sogar zu tragen, wird durch seinen schrittweise größeren Einfluss
auf Emma deutlich: Zunächst berührt er sie nur insofern, als dass
er beispielsweise eine Umdisponierung der Sitzordnung eines gesellschaftlichen
Abends verordnet, später eröffnet er ihr die Möglichkeit aufgrund
ihrer Geltung im neapolitanischen Königshaus bei Horatio Eindruck zu schinden,
dann erprobt der Krieg die Festigkeit der inzwischen zum Politikum avancierten
Beziehung zu Horatio und stellt den pflichtbesessenen Offizier vor die Aufgabe,
zwischen Liebe und Beruf abzuwägen. Und schließlich evoziert die
letzte Konsequenz des Soldatenberufs das harte Absinken Emmas auf sogar sub-bürgerliches
Niveau.
Feierlich-ernst und allgemeingültig wird es,
wenn die Handlung nach England übersetzt. Denn nach den Liebesschwüren
im vitalen Italien, steht eine rational fundierte Versachlichung der klassischen
Entscheidung zwischen „Vernunft“ und Gefühl an, auf die der Film von Anbeginn
zusteuert. Die unliebenswerte Lady Nelson (in ihrer penetranten Rigidität
ein Gegenbild zu Emma), die auf die „Gesetze des Lebens“ pocht, und Horatios
rüstiger Vater, als Dorfpfarrer ein an Sittlichkeit gebundener Pflegefallverwalter
des kleinen Mannes, werden aber ebenso übergangen wie die konsensual erarbeitete
Lösung der tratschenden Öffentlichkeit, die trotz oder gerade wegen
ihrer Androhung von Ausgrenzung (der man wenigstens noch mit einer Änderung
des Namens Herr werden kann) keine moralische Instanz darstellt.
Als die verzweifelte Emma, die die Luxusprobleme
des Establishments gegen handfeste Existenzschwierigkeiten eintauschen muss,
im zeitlich späteren Prolog in Frankreich (dorthin ist sie vor ihren Schulden
geflohen) Schnaps stiehlt und dabei von Ordnungshütern gestellt wird, versöhnt
sich der Film schon im Voraus mit dem später abgekanzelten Volk, wenn er
Emma die Unterstützung der Umstehenden zugesteht. Zwar geht es hier im
Dienste des eigentlichen filmischen Auftrags um den compatriotism, aber auch
darum – und das ist der trotz seiner formalen Randexistenz spannendste Gegensatz
-, dass über jeder Moral die Standeszugehörigkeit und damit die kollektive
Abneigung gegen die Obrigkeit und ihrer Exekutive steht.
Erik Pfeiffer
Lord Nelsons letzte Liebe
LADY HAMILTON
(US-Titel: THAT
Großbritannien/USA
1941 – 105 Minuten - FSK: ab 12; f, Erstaufführung: 26.8.1949/1.11.1963
ARD/3.6.1981 DFF 2
Regie:
Alexander Korda
Drehbuch:
Walter Reisch, R.C. Sherriff
Kamera:
Rudolph Maté
Schnitt:
William Hornbeck
Musik:
Miklos Rozsa
Darsteller:
Vivien Leigh (Emma Lady Hamilton), Laurence Olivier (Lord Horatio Nelson), Alan
Mowbray (Sir William Hamilton), Sara Allgood (Mrs. Cadogan-Lyon), Gladys Cooper
(Lady Frances Nelson), Henry Wilcoxon (Captain Hardy), Heather Angel (A Streetgirl),
Halliwell Hobbes (Rev. Nelson), Gilbert Emery (Lord Spencer), Miles Mander (Lord
Keith), Ronald Sinclair (Josiah), Luis Alberni (King of Naples), Norma Drury
Boleslavsky (Queen of Naples), Olaf Hytten (Gavin), Juliette Compton (Lady Spencer)
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