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Der
Mann ohne Eigenschaften
Ein
bisschen unvorsichtig war der Drehbuchautor und Regisseur Andrew Niccol ja schon,
als er sein neues Projekt unternahm: Im internationalen Waffenhandel hatte er
zwar ein brandheißes und höchst faszinierendes Thema gefunden, seine
Recherche dazu hat tonnenweise erhellende und auch unterhaltsame Fakten ausgespuckt
(es gibt mehr Geschäfte mit Waffenbedarf als McDonalds-Filialen in den
USA; die fünf größten Waffen-Exportnationen sind die fünf
Mitglieder des Weltsicherheitsrates, etc.), und sein Auge auf die afrikanischen
Konflikte, die mit diesen geschmuggelten Waffen betrieben werden, ist angemessen
betroffen und schauerlich. All das hat Niccol bereits im Sack - und dann stellt
er diese Figur ins Zentrum seiner Geschichte. Besser gesagt: Dann stellt er
diese Figur ins Zentrum... anstelle einer Geschichte.
Der
Waffenhändler Yuri Orlov, der mindestens zwanzig weitere Namen hat (und
genug Pässe, um es zu beweisen), ist der geborene Lügner. Deswegen
ist er so erfolgreich in seinem Job als Waffenhändler: Er weiß, wann
er wem was sagen muß, um explosive Situation zu beruhigen, die Menschen
in Sicherheit zu wiegen und seine Taten mit halbgaren Moralparadoxien als Bagatellen
darzustellen: He, schaut mal, da drüben gibt es einen noch viel schlimmeren
Kerl als mich! Wie jeder ausgezeichnete Lügner hat Yuri im Prinzip keine
Ahnung, was wahr und was falsch ist - es würde das Lügen nur erschweren.
Deswegen aber ist er eine so katastrophale Fehlbesetzung als Protagonist eines
Films.
Im
Stile eines Biopic, ohne brauchbaren Spannungsbogen oder fortschreitende Erkenntnis,
sehen wir ihm dabei zu, wie er vom ukrainischen Einwanderersohn in Little Odessa
zum Waffenzar aufsteigt, der mit allen großen Despoten der Erde auf du
und du ist. Dass es soviel Spaß macht, ihm bei seinen täglichen Geschäften
zuzusehen, verschlimmert die dramaturgischen Probleme des Filmes noch. Musik
und Perspektive gratulieren dem Protagonisten zu seinem Einfallsreichtum, wenn
er mal wieder schnell ein Schiff umlackiert, Lagerhallen der gerade zusammengebrochenen
UdSSR freikauft oder den ständig lauernden Fahndern entgeht, indem er schnell
seine Waffenladung an die liberianische Bevölkerung verteilt. Darüber
schreibt man dann schnell das Wort "Satire".
Das
Problem ist, dass das nicht lustig ist. Der Film ist klug genug, das von Anfang
an zu wissen, der Zuschauer auch, nur der Protagonist versteht es selbst am
Schluss noch nicht. Sicher, inzwischen liegt sein Privatleben in Trümmern,
deswegen ist er traurig, aber dass er irgendwie mitverantwortlich sein könnte
für Millionen von toten Kindersoldaten, das will einfach nicht in seinen
Schädel. Und das ist nicht bestürzend, im Sinne einer abschreckenden
Moralfabel, das ist die Kapitulation eines letztlich ratlosen Regisseurs (hier
vor allem: Rechercheurs) vor seinem eigenen, zutiefst defätistischen Anti-Helden.
Das
alles ist deswegen so schade, weil wir es hier mit einem handwerklich exzeptionellen
Film zu tun haben. Der Vorspann, eine smart erdachte Fahrt durch die Entstehungsgeschichte
einer Gewehrpatrone, verärgert noch mit schlampiger Computeranimation,
aber danach ist es durchaus eine Freude, Niccol bei Kadrierung und Montage seiner
Bilder zuzusehen. Auch die Darsteller, vom manisch fuchtelnden Nicolas Cage
über die stets verlässlichen Ian Holm und Jared Leto, bis hin zu dem
verheizten Ethan Hawke, bieten ihr ganzes Können auf - allein, es fehlt
der Glaube. Hier also mal ein wirklich seltenes Exemplar: Ein technisch hervorragender
Film, in gewissem Sinne unterhaltsam und einfallsreich, und doch mit wehenden
Fahnen untergegangen.
Daniel Bickermann
Dieser Text ist zuerst erschienen im: Schnitt
Lord of War
- Händler des Todes
USA 2005 - Originaltitel:
Lord of War - Regie: Andrew Niccol - Darsteller: Nicolas Cage, Ethan Hawke,
Jared Leto, Bridget Moynahan, Ian Holm, Sammi Rotibi, Shake Tukhmanyan, Jean-Pierre
Nshanian, Jasper Lenz - FSK: ab 16 - Länge: 120 min. - Start: 16.2.2006
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