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Lost
in Translation
Poesie
des Jet-Lags: Außenseiter der Tageszyklen, gefangen in einer wohlbehüteten
Welt der Hotels, jenseits aller Alltagslebensrealitäten. Eine kleine Miniatur
beständigen Sichumkreisens zweier buchstäblich Lebensmüder entwickelt
sich, fernab von allem in Tokio. Er, Bob Harris (Bill Murray), ist Schauspieler,
trotz allen Erfolgs in der Midlife-Crisis und für allerlei Medientermine
eine Woche lang in der Stadt. Sie, Charlotte (Scarlett Johansson), ist studierte
Gattin des vielbeschäftigten Popfotografen John (Giovanni Ribisi), mit
ihren 20 Jahren noch blutjung und ebenso in den Hotelzimmern Tokios gestrandet.
Das
Gefühl vollkommenen Entrücktseins in die Position des äußerst
möglichen Beobachters: Auf das eigene Leben, die Menschen, die Umgebung.
Faxe kommen mitten in der Nacht, denkbar unnütz ihr Inhalt - "Welches
Regal soll ich kaufen, Schatz?" -, vor den Augen, getrennt durch Hotelzimmerglas,
die Enge der anonymen Stadt, nachts dann das verirrte Streifen durch die kunterbunte
Konsumerwelt der Metropole: "Alles ist so anders hier!", nicht ohne
einen Hauch schmerzlicher Melancholie ausgesprochen. Den Regisseur des Werbeclips
kann Bob nicht verstehen, was die Dolmetscherin wiedergibt, scheint auf Unwesentliches
verkürzt: Der Rest ist lost in translation: Was nicht übersetzt wurde,
vielleicht nicht übersetzt werden kann. Und wie kann man Liebe übersetzen,
in Worte kleiden, in Bildern vermitteln? Die sanfte Melancholie des Films, die
sich aus dieser Fragestellung ergibt, ist bloß Konsequenz: Die letzten
Worte zwischen den beiden, die sich finden, ja vermutlich auch lieben lernen,
diese letzten Worte kurz vor dem Abschied, die das wesentliche überhaupt
zur Sprache bringen: Sie werden ausgeblendet, gehen unter im Straßenlärm.
Allein ein Lächeln als universelle Sprache des Menschen zaubert sich in
diese beiden Gesichter. Der Rest, das Detail: Es geht verloren, es ist nicht
wichtig.
Ein
Film über die Sanftheit der Geste, die behutsame Annäherung. Ein Lächeln
im Fahrstuhl als erste Begegnung, komplizenhaft an den einzigen Nicht-Japaner
dort gerichtet. Später wird sie sich nicht mal mehr daran erinnern. Keine
schwülstigen Küsse später, dann eine sanfte Umarmung aber, eine
kurze Berührung an der Schulter, ein leichtes Streicheln über einen
nackten Fuß. Ein Sich-Ausliefern an die Ökonomie der rigide begrenzten
Zeit, die den beiden fernab der Heimat nur gegönnt ist, notwendige Konsequenz
im Jet-Lag-Delirieren inmitten der neonstrahlenden Metropole und ihrer digitalen
Plastikwelten. "Bist Du noch wach?", auf einem unter der Tür
hindurch geschobenen Zettel geschrieben, wird zur Schlüsselfrage. Diese
beiden, so unterschiedlich wie sich nahe, leben nicht in den Zeitläufen
der Anderen, die nur Kulisse bleiben.
Wie
bereits in The
Virgin Suicides
(USA 1999) erhöht Sofia Coppola den behutsamen Kitsch des Alltags auf unaufdringlich
artifizielle Weise zur Schönheit des Films. Scarlett Johanssons Hintern,
von einem unspektakulärem Höschen bedeckt, dient ihm als erstes Bild,
so banal in seinem Inhalt, so schön fernab männlich-voyeuristischer
Kategorien auf der Leinwand. Ein wenig zu pummelig ist sie für eine Hollywood-Schönheit,
die Nase ein bisschen zu groß, die Lippen etwas zu dick, der Busen eine
Nuance zu großzügig ausgefallen - und dennoch macht ihr Coppolas
Kamera die schönsten Komplimente, die sich eine Schauspielerin derzeit
wünschen kann. Dies überträgt sich auf den Zuschauer, der, wie
schon in Coppolas Debüt, nicht anders kann, als diesem gänzlich unsirenenhaften
Wesen selbst noch in den kleinsten Belangen hypnotisiert zuzusehen, diesem Wesen,
das sich selbst in einer der schönsten Szenen, der Bettszene in Vincent
Gallos Buffallo
'66
(USA 1998) nachempfunden, als "durchschnittlich" bezeichnet, dies
eigentlich auch ist und dennoch in ihren Bann zieht.
Was
bleibt, ist tiefe Wärme im Innern, ein Stück Glückseligkeit,
wie es auch der zwar gänzlich anders inszenierte, dennoch aber auf seltsame
Art wesensverwandte Punch-Drunk
Love
(USA
2002) bescherte. Written & Directed by Sofia Coppola, wenn dieser Credit
auf der Leinwand erscheint, möchte man, ganz wie der junge Holden Caulfield,
zu Stift und Papier greifen, um einen Brief zu schreiben. Er würde dem
Film wahrscheinlich nicht gerecht.
Thomas
Groh
Diese
Kritik ist zuerst erschienen im:
Zu diesem Film gibts im archiv der filmzentrale mehrere Kritiken
Lost in Translation - USA / Japan 2003 - Regie: Sofia Coppola - Darsteller: Bill Murray, Scarlett Johansson,
Giovanni Ribisi, Anna Faris, Fumihiro Hayashi, Akiko Takeshita, Catherine Lambert,
Yutaka Tadokoro - Prädikat: besonders wertvoll - FSK: ab 6 - Länge: 102 min. - Start: 8.1.2004 (4. Woche)
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