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Love
Is The Devil
„Ich
weiß nicht, ob ich einen zerstörerischen Dämon in mir habe;
vielleicht ist die Liebe selbst der Teufel", hatte der Maler Francis Bacon
sich gefragt. Auch der Film LOVE IS THE DEVIL, der nicht erklären, aber
beschreiben will, gibt keine Antwort. Ein Porträt - mit immer neuen Ansätzen.
Regisseur
John Maybury, Musikclip-(Boy George), Avantgarde-, und Experimentalfilmregisseur
sowie Ausstatter von Derek-Jarman-Filmen, geht von Farben aus, dem klaustrophobischen
Dunkel der geschlossenen Bacon-Welt, aus der fahle Körper aufscheinen.
Neben den großen Schauspielern Derek Jacobi, Daniel Craig und Tilda Swinton
füllen Selbstdarsteller der aktuellen Londoner Kunstszene die historischen
Motive - und Kneipen; die Requisiten des historischen Colony Room im East-End-Restaurant
St. John bringen Dokumentarisches in diesen Film. Realistisch hat Bacon in den
Zeiten der abstrakten Kunst gemalt. Überblendungen von Körper, Gesicht
und rohem Fleisch nähern sich im Film der Malerei an. Eher schwierig wird
die Stilvielfalt, wenn pure Metaphern inszeniert werden: Eine endlose Wendeltreppe
in der Vertikalsperspektive liefert, ein wenig platt, nicht mehr als das Bild
vom Schneckenhaus, in das sich Bacon vorsätzlich zurückgezogen habe,
während wir eben noch sahen, wie er mit seinen Kumpanen derb zechte. Und
wenn in der Schlußsequenz eine Uhr rückwärts geht, so zielt
das auf pure Interpretation - und nicht mehr.
Aber
auch dann, wenn der Film geschmäcklerisch wird, begeht er doch die Todsünde
der Malerbiographie nicht: eine Story zu erzählen, etwa die von Francis,
dem Maler, und George, seinem Modell. In LOVE
IS THE DEVIL
enden wir nicht im Narrativen, in Text und Analyse; wir bleiben vielmehr im
Guten wie im Bösen beim Bild: beim Prozeß des Malens.
„Ohne
Wunde keine Schönheit", sprach der Maler. Bacon verzerrte Gesichter
und verdrehte Körper. John Maybury setzt die Kamera vor die Gläser,
die vom Tresen der Stammkneipe nicht abgeräumt werden. Die Konturen der
Gesichter verformen, die Torsi verbiegen sich, Derek Jacobi (Bacon) und Daniel
Craig (George) wechseln ihre Position: sie werden in solchen Szenen Modell für
die Kamera (John Mathieson); sie spielen nicht, sondern werden gespielt/gespiegelt.
Der
Film porträtiert unzimperlich und zupackend den Maler Bacon, der seinerseits
vehement und ziemlich rücksichtslos sein Modell porträtierte, gern
auf dem Klo, das Blut strömt aus allen Körperöffnungen, die Farben
klatschen auf die Leinwand.
Während
der Maler-Fürst am 24. Oktober 1971 in Paris hoch geehrt zur feierlichen
Eröffnung der eigenen Retrospektive durch das Spalier der Ehrengarde die
Treppen des Grand Palais hinaufschreitet, wird sein Lover, sein depressives
Starmodell, in einer Blutlache in einem Badezimmer des Hotel des Saint-Peres
tot aufgefunden, vollgepumpt mit Tabletten und Alkohol. Welche Geschichte! Welch
Psychopathologie! Welch Sozialisationskonflikt! Bacon, Masochist, treibt seinen
sexuell dominanten, aber psychisch unterlegenen Partner, den Kleinkriminellen
aus der Sub-Szene, in den Tod! Schlagzeilen stellen sich von selbst ein. Der
Film entzieht sich jedoch dem Plakativen. Einander Verletzungen zufügen,
das gäbe noch keine Auskunft über das, was Bild wird. Man möchte
Maybury dafür umarmen, daß er nicht ins Ober-/Unterschicht-Drama
abirrt, Sado/Maso-Riten vorzeigt, Psychologie betreibt. Der Film beläßt
es beim narrativen Minimum, verstreuten Plot-Fragmenten. „Study für a Portrait
of Francis Bacon" ist der Zweittitel.
Maybury
versucht mit filmischen Mitteln einer Malkunst nahezukommen, die nicht erzählt,
sondern fühlt, und die nicht repräsentieren, sondern Kräfte einfangen
will. Sein malerischer, sensibler, ungestümer Film kommt dem Kraft-Maler
Bacon näher als es dem gleichgesinnten Philosophen Gilles Deleuze gelingt,
der die berühmte Studie zu Francis Bacon geschrieben hatte - aber naturgemäß
aufs Wort rekurrieren mußte.
Bacon
malte nach Fotos, auch nach FilmStills. Gelingt der doppelte Antrieb von Schmerz
und Lust, greift er mit bloßen Händen in die Farbtöpfe, keuchend,
beim Boxkampf spritzt ihm, der zuschaut, subjektiv Blut ins Gesicht. Das ist
keineswegs metaphorisch zu verstehen. Die Treppenszene aus Eisensteins PANZERKREUZER
POTEMKIN ist für ihn ein körperliches Erlebnis. Der Kinderwagen rollt
die ersten Stufen hinunter, die Mutter - Großaufnahme! - entsetzt sich.
Bacon kommt in Wallung, leidet - und genießt zugleich, malt einen Körper.
Das ist ein Vorgang, unerhört, den in diesem Film anzusehen schmerzt. Und
Lust bereitet.
Dietrich
Kuhlbrodt
Diese
Kritik ist zuerst erschienen in:
LOVE
IS THE DEVIL: STUDY FOR A PORTRAIT OF FRANCIS BACON.
Großbritannien
1997. R und B: John Maybury. P:
Chiara Menage. I(:
John Mathieson. Sch:
Daniel Goddard. M:
Ryuichi Sakamoto. T:
Ken Lee. A:
Alan Macdonald. I<o: Annie Symons. Pg:
BBC Films/BFI. V: TiMe. L:
89 Min. DEA: Münchener Filmfest 1998. D: Derek Jacobi (Francis Bacon),
Daniel Craig (George Dyer), Tilda Swinton (Muriel Belcher), Anne Lambton (Isabel
Rawsthorne), Adrian Scarhorough (Daniel Farson), Karl Johnson (John Deakin),
Annabel Brooks (Henrietta Moraes).
Start: 1.10.1998, Wiederaufführung: 21.09.06
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