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Lucía
und der Sex
Grünes
Meer, Unterwasseraufnahmen, dann eine verzweifelte Frau in einem Restaurant
am Telefon, eine leidende Stimme am anderen Ende, vermutlich das Ende einer
großen Liebe, der Mann kann nicht mehr, die Frau will noch, dann muss
sie auflegen, sie macht sich Sorgen, sucht den Mann auf, der ist weg, dann beginnt
die große Suche.
Der
Anfang des Films ist so pathetisch wie der Titel. Er hätte nicht lauten
können „Lorenzo und der Roman“ (falsches Jahrzehnt) oder „Elena und der
Verlust“ (ebenfalls falsches Jahrzehnt), er muss modisch so heißen, wie
er heißt. Der Titel legt nahe, dass es womöglich einen eigenen oder
gar privilegierten Zugang zum Ficken gibt. Wenn es aber DEN Sex gibt, der hier
so selbstverständlich vorausgesetzt wird, wie sollte man da noch etwas
hinzuerfinden oder eine Geschichte erzählen, die den Sex noch stärker
artikuliert?
Dabei
wird nichts anderes als die bekannte Geschichte mit dem kulturellen Köder
erzählt. Ein Mann schreibt einen Roman, und eine Frau verliebt sich in
den Autor aufgrund des Romans. Der Mann verliebt sich ebenfalls in die Frau,
beide haben viel Sex, der sehr ausführlich gezeigt wird, was einen doch
sehr wundert, denn der Sex, der dem Schriftsteller noch besser gefallen hat
– der, den er auf einer Insel erlebt hat und in seinem Roman beschreibt –, wird
mal gerade in einer Einstellung vorgeführt. In ihrer Sexbesessenheit sieht
Lucía nicht, dass es bei ihrem Freund noch etwas anderes gibt, einen
zweiten Roman, hinter dem eine finstere Wirklichkeit steht.
Sex,
so lernen wir jetzt, hat immer mit Schuld zu tun, sei es, dass wir unsere eigenen
Kinder nicht kennen, sei es, dass die Kinder beim Sex mit fremden Frauen sterben.
Sex macht blind, mehr noch als Liebe. Das Verlogenste dieses Films besteht darin,
dass er vorgibt, von Liebe zu handeln, und doch nur Sex zeigt. Eigentlich ist
das nämlich ein pornografischer Film, und deshalb hat der Regisseur wohl
eine pornografische Sequenz eingebaut, um zu verhindern, dass man den Film insgesamt
damit verwechselt. Aber leider ist er das, pornografisch und obszön, auch
und gerade dann, wenn es nicht um Sex geht. Es ist der Vollmond, der nervt (Marinetti
hätte den Film nicht überlebt), das Kleinmädchengehabe gegenüber
dem Schriftsteller (Groupies sterben nie aus), der unausrottbare Rassismus der
schönen Kinofrauen (gelobt sei die diesbezügliche Abstraktheit der
Literatur, was das Apportieren auf Seiten des Lesers nicht aus-, sondern einschließt),
die Vorwegnahme der erwünschten Reaktion des Zuschauers auf den Gesichtern
der Schauspieler (krass am Ende des Films Elena, wie sie ihre Hände vors
Gesicht schlägt, aber das hat das Kino vermutlich vom Theater).
Der
Film ist eine einzige Ausbeutung, er ist schamlos, er wirkt nicht, weil er es
zu sehr will. Wenn sich aber ein solcher Dauerwiderstand beim Zuschauer zeigt,
muss irgendwas im Argen liegen. Sehen Sie selbst. Hier noch der Plot:
An
seinem 25. Geburtstag hat der Schriftsteller Lorenzo den besten Sex seines Lebens
mit einer Frau, die er nicht kennt und die ihn nicht kennt. Sie sagen sich gerade
mal zwei, drei Dinge voneinander, dann verlassen beide die Urlaubsinsel, ohne
sich wiederzusehen. Er geht zurück nach Madrid und schreibt einen Roman,
in dessen Zentrum dieses Liebeserlebnis steht.
Ein
paar Jahre später wird der Schriftsteller in einer Bar von einer Frau angesprochen,
die ihm unumwunden sagt, dass sie ihn wahnsinnig liebt und dass das vor allem
mit dem Buch zu tun hat, das es ihr so angetan hat. Sie möchte, dass er
mit ihr zusammenzieht und dass er sich irgendwann in sie verliebt. Das geht
schneller, als sie zu hoffen wagt. Sie brechen sofort auf in seine Wohnung,
wo sie sofort Sex haben. Sie haben viel Sex miteinander, der Schriftsteller
ist ein guter Liebhaber, auch wenn man ihm das nicht abnimmt, er schaut zu schafhaft.
Während Lucía stöhnt, dass sie beim Ficken stirbt, schaut Lorenzo
ganz verklärt, als ob er das nicht fassen könne.
Irgendwann
ist Lorenzo nicht mehr so richtig bei der Sache. Der Film beginnt am Ende dieses
Prozesses. Man sieht Lucía mit Lorenzo telefonieren, sie schlägt
ihm eine Reise auf die Insel vor mit viel Sex, er aber ist am Ende und verabschiedet
sich. Was ist passiert? Lucía fährt auf die Insel, von der am Anfang
die Rede war, und fällt dort in eine Art Zeitloch. Die Dinge werden von
da an nicht ganz so ordentlich erzählt, wie sie sich zugetragen haben.
Jedenfalls erfährt man, dass Lorenzo mit der Frau, auf die Lucía
auf der Insel trifft, ein Kind gezeugt hat, das nichts von ihm weiß. Diese
Frau, Elena, ist natürlich keine andere als die, mit der er vor Jahren
den besten Sex hatte. Elena lebt dort mit einem Taucher, der nach ihren Angaben
den längsten Schwanz der Welt hat. Sie ist auf die Insel geflohen, um zu
vergessen. Sie hat ihr Kind verloren. Und mit daran Schuld ist Lorenzo, der
mit dem Kindermädchen von Elena Sex hatte, derweil der große Haushund
das Kind zerbiss. Außerdem hatte Lorenzo Sex mit der Mutter des Kindermädchens.
Lorenzo
geht an der Schuld fast zugrunde. Zwei Jahre lang hat er Schreibblockaden, nichts
geht mehr. Dann hat er einen Unfall, der genau nach dem Telefongespräch
mit Lucía passiert. Lorenzo überlebt, sein Freund peppelt ihn wieder
auf, die beiden fahren auf die Insel. Hier söhnt sich Lorenzo mit Elena
aus. Und auch Lorenzo und Lucía kommen wieder zusammen.
Dieter
Wenk
Dieser
Text ist zuerst erschienen bei:
Spanien
2001 - Originaltitel: Lucía y el sexo - Regie: Julio Medem - Darsteller:
Paz Vega, Tristán Ulloa, Najwa Nimri, Daniel Freire, Elena Anaya, Javier
Cámara, Silvia Llanos, Diana Suárez, Juan Fernández, Charo
Zapardiel - FSK: ab 16 - Länge: 128 min. - Start: 5.9.2002
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