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Lücke
im System
Total Recall
Alex scheint eine Schwäche für
Autos zu haben, denn mehrfach lässt er sich beinahe von einem solchen anfahren.
Einmal nicht nur fast, so dass er das Gedächtnis für die letzten 24
Stunden seines Lebens verliert. Das wäre nicht so schlimm, hätte er
nicht den Plan gehabt, innerhalb dieses Zeitraums ein Computervirus in das Datensystem
einer Weltbank einzuschleusen, um einen bevorstehenden Weltwirtschaftsgipfel
zu verhindern. Das Ziel: Absage gegen Antivirus. Doch leidet nun, wie angestrebt,
die Bank oder nur er selbst an einem Blackout, und hat er das Virus aktiviert
oder nicht? Um das herauszufinden unterzieht sich er einer neuartigen neurologischen
Therapie, die jedoch, statt seine Paranoia einzudämmen, sie nur vergrößert,
denn auf einmal vermischt sich Traum mit Realität, Erinnerung mit Phantasie.
Schwer zu sagen, was was ist. Außerdem scheint er nicht der einzige zu
sein, dem etwas an seiner Erinnerung liegt: Fremde scheinen ihn zu beobachten
und die behandelnden Ärzte wirken irgendwie übermotiviert. Das Verschwinden
seines Komplizen und einzigen Mitwissers Fred und die Razzia in dessen Computershop
kann nur ein Hinweis darauf sein, dass die Virusapplikation erfolgreich war.
Doch wie Fred finden, wem trauen? Wenig hilfreich ist obendrein, wenn man nicht
mehr weiß, dass einen die Freundin gestern verlassen hat.
Auch der Prolog, dass „Lücke
im System“ auf wahren Begebenheiten beruhe, ist schnell vergessen, denn eine
Ballung so außerordentlicher Ereignisse, einen so ausgeklügelten
plot wie diesen schreibt gemeinhin ein alerter Drehbuchautor und nicht das Leben.
Über weite Strecken nimmt „Lücke im System“ vor allem wegen seines
Psycho-Thrills gefangen. Da wir nie mehr wissen als der Protagonist – und das
ist zunächst nicht viel –, stolpern wir mit ihm gemeinsam von einer Unsicherheit
in die nächste, um langsam, aber sicher, zu begreifen, dass das, was als
freches David-gegen-Goliath-Späßchen begonnen hat, nun unwägbar
bedrohliche Ausmaße annimmt, denn Goliath versteht keinen Spaß.
Wäre „Lücke im System“
(mit seinen durchweg überzeugenden Schauspielern) nun nur ein Thriller,
dann wäre das Verraten seines Endes Spielverderberei. Aber der Low-Budget-Film
des Schweizer Regisseurs Romed Wyder ist ein Polit-Thriller, genauer ein ziemlich
glaubwürdiger Globalisierungs-Thriller, eine Bezeichnung, die impliziert,
dass Politik a) immer stärker indirekt von der Wirtschaft bestimmt wird
und dass b) daher bald jede politisch motivierte Protest-Aktion im Prinzip eine
Antwort auf globalwirtschaftliche Interessen darstellt, dass umgekehrt aber
auch die Global Player in Einzelfällen schon mal gerne darauf verzichten,
kleine ordnungserhaltende Jobs altmodischen und umständlichen Staatsorganen
anzuvertrauen und die Sache lieber selbst in die Hand nehmen: auch das eine
trendige, effiziente Maßnahme des modernen Kapitals.
Im Epilog muss sich die echte Ex-Freundin
des authentischen Helden von „Lücke im System“, die sich seit jenen Ereignissen
mit verändertem Namen und an unbekanntem Ort verbirgt, hinter einem Dunkel-Filter
verstecken. Mit ihr kommt die Total Recall: Sie erinnert uns daran, dass dieser
bis heute unaufgeklärte Kriminalfall, wenn nicht genauso, dann seinem Charakter
nach sich so ereignet haben muss, wie im Film. „Um einen Zeugen zu schützen
und aus rechtlichen Gründen wurde die Erzählung so abgeändert,
dass Personen und Institutionen nicht mehr identifizierbar sind.“, heißt
es auf der Film-Homepage [http://www.Luecke-im-System.de], die nebenbei über einen sehr
ähnlich anmutenden, authentischen Fall aus dem Jahr 2000 informiert.
Weil „Lücke im System“ auf Tatsachen
beruht, ist sein lapidares, mehrfach tödliches Ende von öffentlichem
Interesse. Deshalb wäre es geradezu unfair, nicht über seinen Ausgang zu reden
und deshalb sollte sich den Film ruhig ansehen, wer sich für die entfesselten
Kräfte des freien Marktes interessiert. Wer aber einfach einen gut gemachten
Psycho-Thriller sehen will, wird Spaß haben und seinen Horizont erweitert
finden. Gut inszeniert, notwendig, und vor allem: mutig!
Andreas Thomas
Lücke
im System
Schweiz
2004
Regie:
Romed Wyder
Drehbuch: Romed
Wyder, Yves Mugny, Maria Watzlawick
Kamera:
Denis Jutzeler
Ton,
Mischung: Martin Stricker
Schnitt: Orsola Valenti
Musik: Bernhard Trontin,The Young Gods
Ausstattung:
Yannis Borel
Kostüme:
Carole Favre
Ausführender
Produzent: Romed Wyder
Produktionsleitung:
Xavier Grin
Regieassistenz:
Nicole Borgeat
Aufnahmeleitung:
Gilles Rieder
Schauspieler:
Vincent Bonillo (Alex), Irene Godel (Tarkova), François Nadin (Fred),
Delphine Lanza (Lucie), Véronique Mermoud (König), Ulysse Prévost (Luca)
Start:
08.12.05
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