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Lügen und Geheimnisse
Nach dem Tod ihrer Adoptivmutter macht sich Hortense,
eine junge Schwarze, auf die Suche nach ihrer wahren Mutter. Cynthia, eine verschlampte,
frustrierte Weiße, ist sichtlich überrumpelt vom Auftauchen ihrer
Tochter; doch obwohl die Annäherung zunächst beinahe scheitert, erweisen
sich die weiteren Kontakte weniger für die Tochter, sondern vor allem für
die hysterische Cynthia als sehr heilsam. Mutter und Tochter, völlig unterschiedlichen
Lebensumständen entstammend, freunden sich allmählich miteinander
an. Cynthia gibt nun Hortense als ihre Arbeitskollegin aus, um sie so ihrer
restlichen Familie vorzustellen, ohne das Geheimnis preiszugeben, daß
es sich dabei um ihre Tochter handelt. So kann Hortense, als scheinbar Außenstehende,
Einblick nehmen in ihre Verwandtschaft, darunter auch ihre Halbschwester Roxanne,
ähnlich Cynthia gescheitert und unzufrieden, sowie ihren Onkel Maurice.
Dieser stellt gewissermaßen den ruhenden Pol der
Familie dar, routiniert und mit Liebe in seinem Beruf als Portraitphotograph
arbeitend, ist er stets bereit, seine deprimierte Schwester oder seine unter
ihrer Unfruchtbarkeit leidende Frau zu trösten. Die Belastung durch seine
verkorksten Lebensverhältnisse und die damit verbundenen Heimlichkeiten
und Streitereien entlädt sich schließlich in einem Zornausbruch.
Danach liegen alle Probleme und Tatsachen offen auf dem Tisch, die familiären
Beziehungen können sich nun wieder neu anordnen, alles kann sich noch zum
Besseren wenden.
Der dritte Film dieses Sommers, nach "Mighty Aphrodite" und "Flirting with Disaster", der sich
mit Adoption und der Suche nach Familienmitgliedern beschäftigt. Von allen
dreien ist "Secrets and Lies" wohl am weitesten von der bloßen
Unterhaltung und der Jagd nach Originellem und Skurrilem entfernt, stattdessen
widmet sich Mike Leigh dem Kern des Themas mit der präzisen Ergründung
zwischenmenschlicher Verkrampfungen. Er geht dabei keineswegs humorlos, aber
nie lärmend gefällig vor, weswegen vielen Zuschauern diese 142 Minuten
etwas langatmig vorkommen werden. Das ist öfter mal der Preis für
eine facettenreiche, differenzierende Geschichte, die um Verständnis für
die Leiden ihrer Figuren bemüht ist.
Regie und Buch verlangen den Darstellern dabei Knochenarbeit
ab; Brenda Blethyn erhielt in Cannes den Preis als beste Schaupielerin, Timothy
Spall ist gleichwertig auszeichnungswert. Leigh läßt genug Raum für
alle Charaktere und Stationen der Handlung, ergänzt das Thema zusätzlich
mit einigen kleinen Episoden in Maurices Photoatelier. Die Portraitierten wollen
im Angesicht der Kamera einen möglichst zufriedenen und ausgeglichenen
Eindruck machen, was aber, für den Photographen bei der Arbeit schnell
ersichtlich, häufig jeder Grundlage entbehrt. Die kurzen Schlaglichter,
die Leigh auf die verschiedenen Familien und Ehepaare im Atelier wirft, zeigen
eine Galerie von Figuren, die wie die Hauptprotagonisten in ihren eigenen Lügen
gefangen sind.
Als am Ende die Atmosphäre zumindest vorläufig
von den größeren Lügen und Geheimnissen bereinigt ist, sagt
Cynthia, daß eben so das Leben sein müsse. Recht hat sie.
Richard Oehmann
Diese Kritik ist zuerst erschienen bei:
Zu diesem Film gibt es im archiv der filmzentrale mehrere Kritiken
Lügen
& Geheimnisse
(Secrets
& Lies)
Frankreich,
Großbritannien 1996, 142 Minuten
Regie:
Mike Leigh
Drehbuch:
Mike Leigh
Musik:
Andrew Dickson
Director
of Photography: Dick Pope
Schnitt:
Jon Gregory
Produktionsdesign:
Alison Chitty
Darsteller:
Timothy Spall (Maurice Purley), Phyllis Logan (Monica Purley), Brenda Blethyn
(Cynthia Rose Purley), Claire Rushbrook (Roxanne Purley), Marianne Jean-Baptiste
(Hortense Cumberbatch), Elizabeth Berrington (Jane), Michele Austin (Dionne),
Lee Ross (Paul), Lesley Manville (Sozialarbeiter), Ron Cook (Stuart)
Internet
Movie Database: http://german.imdb.com/title/tt0117589
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