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Lust auf Anderes
Sich verzahnende Beziehungen quer durch die Schichten als
Toleranzplädoyer - erstklassige französische Charakterkomödie.
Inhalt
In einer französischen Provinzstadt kreuzen sich die Wege
unterschiedlichster Protagonisten. Da ist der Fabrikant Castella
(Jean-Pierre Bacri ) mit seiner Frau Angelique (Christiane Millet ), die
sich schon längst auseinandergelebt haben und sich ebensowenig zu sagen
haben, wie sie mit Castellas Bodyguard Moreno (Gérard Lanvin ) reden
würden. Der unterhält sich in seinen langen Wartepausen dann auch lieber
mit dem melancholischen Chauffeur Deschamps (Alain Chabat ). Doch die
Eintönigkeit verfliegt rasch, als das Ehepaar eine Theateraufführung, in
der eine Nichte mitspielt, besucht. Castella verliebt sich auf den ersten
Blick in die Hauptdarstellerin Clara (Anne Alvaro ), die sich auch als
die Englischlehrerin erweist, die sein Manager Weber (Xavier de
Guillebon) für ihn engagiert hat. Bei seinen ungeschickten
Annäherungsversuchen sieht sich der Provinzler mit der fremden Welt ihrer
befreundeten Künstlerclique konfrontiert, etwa dem Pärchen Antoine
(Wladimir Yordanoff) und Benoit (Raphael Defour). Zur selben Zeit
verlieben sich Deschamps und Moreno in dieselbe Frau, Mnie (Agnès Jaoui
), eine Kellnerin, die sich ihren kargen Lebensunterhalt durch ein
bisschen Haschdealen aufbessert - nicht eben zur Freude der Verehrer. Und
während alle mit ihren Vorurteilen und Gewohnheiten kämpfen, drehen sich
die Verwicklungen unter den verschiedenen Charakteren immer weiter...
Kritik
Agnés Jaoui ist hierzulande als Darstellerin und Drehbuchautorin für
Filme von Alain Resnais (Smoking/No Smoking, Das Leben ist ein Chanson)
und Cedric Klapisch (Un Air de famille) bekannt geworden. Ihr Regiedebüt,
Lust auf Anderes, das sie wie die beiden letzterwähnten Filme mit ihrem
Gatten Jean-Pierre Bacri (der auch in allen dreien mitspielt) geschrieben
hat, folgt jetzt mit Erfolg dieser Linie französischer Charakterkomödie
und vermeidet dabei klug die zwei Dinge, die hierzulande gern das
Publikum von diesen feinsinnigen Amüsements trennt: Weder intellektuelle
Abgehobenheit noch spezifisch französischer Witz verstellen hier die
Sicht der Dinge (dennoch - oder eher: deswegen - war ihr Film im
Heimatland einer der größten Kassenerfolge der jüngeren Zeit.
Von Altmeister Resnais hat sie dabei auch einiges gelernt, was kluge
Inszenierung anbetrifft. Ihr Bildaufbau ist sparsam und elegant zugleich:
Die Details lenken hier nie ab, sondern erfüllen immer einen (zumeist
komischen Sinn). Ebenso hat sie den musikalischen Fluss, der etwa Das
Leben ist ein Chanson kennzeichnete, geschickt in die Dialoge und den
klug benutzen Soundtrack verlagert, vor allem ist Lust auf Anderes aber
eine hervorragend geschrieben und besetzte Ensemblekomödie.
Jean-Pierre Bacri etwa als Castella, gekennzeichnet mit einem in
ländlichen Kreisen gern als prächtig bezeichneten Schnauzer, spielt
seinen Charakter mit minimaler Grazie zum maximalen Effekt. Das
Grundthema des Films (das Verhaftetsein in einer bestimmten Clique und
den dazugehörigen Lebenseinstellungen), das in allen Episoden abgewandelt
wiederkehrt, ist nirgendwo so komisch wie in den lächerlichen, aber
zugleich bewegenden Versuchen des provinziellen Kretins, in den
Künstlerkreisen, denen seine Angebetete zugehört, Fuß zu fassen. Wenn er
da auf einer Vernissage gedankenverloren "Schwuchteln" vor sich
hinmurmelt, wie er es wohl gewohnt ist, steht er garantiert dem
homosexuellen Paar Antoine und Benoit gegenüber, und möchte am liebsten
vergehen, als ihm die Tragweite bewusst wird. Von den nötigen
Umstellungen, wenn man in eine neue Lebenswelt gelangt, erzählt dieser
Film, und ist dabei immer komisch und einfühlsam, ohne je zur breiten
Satire oder menschelndem Belehren greifen zu müssen: Lust auf Anderes ist
ein kunstvoll verfertigter Reigen der Beziehungen zwischen vertrocknender
Gewohnheit und dem stets etwas furchterregenden Neuen. Der Fülle der
Details oder der durchwegs grandiosen Darstellerriege dabei genüge zu
tun, ist schier ein Ding der Unmöglichkeit. Obwohl es ganz leichtfüßig
und unterhaltend dahingleitet, zeigt sich dieses Kinostück als
hochkomplexe Serie von Variationen zum Thema.
Alleine die Eröffnungseinstellung ist da eine Sache für sich: Zwei
Gespräche werden einander gegenübergestellt, die scheinbar nichts
miteinander zu tun haben: Am üppigen Esstisch unterhalten sich zwei
Geschäftsmänner und eine Frau über Firmendetails und ähnliches, an einem
Bartisch trinken zwei Männer in Anzügen (aber sichtlich proletarischer
Herkunft) ihr Bier und reden von Betrug. Erst am Schluss wird klar, dass
sie nicht nur alle im selben Lokal sind, sondern dass die zwei
Letztgenannten Chauffeur und Bodyguard des einen Geschäftsmanns - eben
Castellas - sind.
Lust auf Anderes ist gespickt mit solchen Doppelungen und anregenden
Details, die sich dann als ganz selbstverständlich erweisen. Ähnlich wie
der nach komischen wie tragischen Rückschlägen erlernte Umgang mit dem
Anderen letztendlich durch Toleranz bewerkstelligt wird. Irgendwann
rasiert sich Castella seinen Schnauzer ab, um zu zeigen, dass er ein
neuer Mensch ist. Seiner Frau, die ihren öden Ehealltag mit Tierliebe
kompensiert, fällt es nicht einmal auf, die Anderen weist er immer wieder
missliebig darauf hin (bemerken tun es nur die, die es gar nicht sollen)
- aber ein anderer, vielleicht besserer Mensch wird er erst, als er auch
innerlich zeigen kann, dass er sich gewandelt hat (wie es in vielen
anderen Unterplots des Films, die ebenso schön und witzig sind und auf
die jetzt wirklich nicht mehr alle eingegangen werden kann), darf er aber
dann auch übers Gesicht strahlen - und da Publikum strahlt mit ihm.
Hoffentlich - bei aller sozialen Genauigkeit ist Lust auf Anderes
vielleicht doch nur eine wunderschöne Utopie.
Fazit: Ein ausgezeichnetes Regiedebüt der Autorin und Darstellerin
Jaoui: Ein beschwingter Reigen als Charakterkomödie und Plädoyer für
gegenseitiges Verständnis ohne einen aufdringlichen Moment - und mit
einem großartigen Ensemble.
Christoph Huber, 07.10.2000
Diese Kritik ist zuerst erschienen in:
Zu diesem Film gibt es im archiv der fz mehrere Kritiken
Lust auf Anderes
Le Goût des autres
Frankreich 1999
Genre: Komödie
Mit: Anne Alvaro, Jean-Pierre Bacri, Brigitte Catillon
Regie: Agnès Jaoui
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