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Luther
Zweifellos
ist es ein schwieriges Unterfangen, einer Person wie Martin Luther in einem
Spielfilm gerecht zu werden – zumal es in solchen Fällen nie nur um Bedeutung
der Person, sondern auch um die historischen gesellschaftlichen und politischen
Umstände ihres Wirkens geht – bzw. gehen müsste. Aber gerade in diesem
Punkt ist Eric Tills Versuch, den Reformator filmisch „zu fassen”, gnadenlos
gescheitert. Man kann sich lange darüber aufregen, dass Joseph Fiennes
nun so gar keine Ähnlichkeit mit dem kleinen, dicken Mann hat, der – übrigens
nicht allein und nicht als einziger Reformator – einige Unruhe in das 16. Jahrhundert
gebracht und die Allmacht der römisch-katholischen Kirche – ebenfalls nicht
allein – gebrochen hat. Viel schwerwiegender sind die historischen Unkorrektheiten
und nicht haltbaren Aussagen, die den Film kennzeichnen, und eine Darstellung
der Person Luthers, die dem, was man über den Reformator weiß, kaum
gerecht werden kann.
Was
der Film zeigt bzw. andeutet, sind biografische Notizen, die in eine Handlung
eingebettet sind, über die man das Urteil „rein äußerliche Darstellung”
fällen muss. Der Film (1483-1546) beginnt mit dem Bekehrungserlebnis während
eines Unwetters 1505, Luthers Versetzung an die Universität zu Wittenberg
1508, Luthers Tätigkeit als Doktor der Theologie ab 1512, kreist dann um
seine zentrale Glaubensfrage nach dem gnädigen Gott und führt schließlich
vor, wie Luther durch den Anschlag von 95 Thesen an die Schlosskirche zu Wittenberg
am 31.10.1517 gegen den so genannten Ablasshandel des geschäftstüchtigen
Ablasskommissars des Erzbischofs von Mainz, Tetzel (Alfred Molina), wettert.
Diese Thesen verbreiten sich schnell in allen deutschen Landen. Die daraufhin
erfolgte Vorladung Luthers nach Rom führt nicht dazu, dass Luther mundtot
gemacht werden kann. Die Auseinandersetzung um die bevorstehende Kaiserwahl
(1519 wird Karl V. [1] zum Kaiser gewählt) und Luthers Schutz durch Kurfürst
Friedrich den Weisen (1486-1525, im Film: Peter Ustinov) veranlassen Papst Leo
X. (im Film Uwe Ochsenknecht) zum vorübergehenden Einlenken.
Luthers
Vorladung vor den Reichstag Worms 1521 [2], auf dem er die Aussagen in seinen
kritischen Schriften vor dem Kaiser nicht widerruft („Hier stehe ich, ich kann
nicht anders”) führt nicht zu seiner Verhaftung. Durch Flucht entzieht
er sich dem Zugriff kaiserlicher respektive päpstlicher Schergen. Seine
Schriften verbreiten sich rasant, insbesondere „An den christlichen Adel deutscher
Nation: von des christlichen Standes Besserung”, in der er für Reformen
im Verhältnis zwischen Kaiser und Reichsständen eintritt, „Von der
babylonischen Gefangenschaft der Kirche”, in der Luther von den sieben Sakramenten
nur zwei gelten lässt, Taufe und Abendmahl, und „Von der Freiheit eines
Christenmenschen”, in der er ausführt, dass Freiheit nur im Glauben als
Gnade Gottes erfahren werden könne. Luthers Übersetzung der Bibel
aus dem griechischen Urtext unter dem Schutz des Kurfürsten Friedrich des
Weisen auf der Wartburg nach 1521, seine Heirat mit der ehemaligen Nonne Katharina
von Bora (Claire Cox) 1525, und damit der bewusste und offene Bruch mit dem
Zölibat, werden im Film ebenso angesprochen wie Luthers Entsetzen über
die Bauernaufstände 1525 und deren Niederschlagung.
Was
im Film noch einigermaßen realistisch dargestellt wird, ist Luthers Kritik
an der päpstlichen Allmacht, als „Stellvertreter Christi auf Erden” zu
bestimmen, wie die Bibel auszulegen ist und der Glauben auszusehen habe, und
Luthers Angriff auf ein Papsttum, das sich längst in Geschäft und
Politik verstrickt hatte, statt im Glauben zu leben. Insgesamt gesehen jedoch
reduziert Eric Till die Darstellung der Person Luthers eben auf die Auseinandersetzung
um diese Glaubensfragen und damit die Reformation auf eine religiöse Angelegenheit,
was sie auch, aber weiß Gott, nicht nur war.
Und
gerade hier ist der Film schlecht. Das 16. Jahrhundert war geprägt durch
die zunehmenden Konflikte zwischen der kaiserlichen, dynastischen Macht und
den Reichsständen, den Fürsten, Kurfürsten, Bischöfen. Viele
Landesherren, die sich auf die Seite Luthers stellten, taten dies nicht aus
rein religiösen Motiven. Es ging um Macht. Diese Auseinandersetzungen zogen
sich hin bis ins 17. Jahrhundert, in dem 1648 durch den Westfälischen Frieden
die kaiserliche Macht letztlich in ihre Schranken verwiesen wurde. 1648 markierte
einen Punkt, ab dem Territorialstaaten zunehmend an Bedeutung gewannen und der
Einfluss kaiserlicher und päpstlicher Macht nach und nach gebrochen wurden.
Diese Territorialstaaten waren eine Voraussetzung für die spätere
Entstehung von Nationalstaaten, die andere die damit verbundene Rechtseinheit
auf dem Gebiet jedes Territorialstaats.
Im
16. Jahrhundert ging es nicht um Demokratie und Menschenrechte, wie der Film
manches Mal nahe legt. Diese Begriffe waren den einflussreichen Kräften,
ja selbst den aufständischen Bauern 1525 fremd. Luther war kein Demokrat.
Gerade seine Schrift „Wider die mörderischen und räuberischen Rotten
der Bauern” ist Ausdruck von Luthers fester Überzeugung, die Bauernaufstände
müssten durch die Fürsten niedergeschlagen werden, weil die Bauern
die von Gott eingesetzte Obrigkeit, der man zu gehorchen hatte, in Frage stellten.
Im Film wird jedoch ein Luther gezeigt, der über das Abschlachten der Bauern,
die dann bis in das 19. Jahrhundert hinein rechtlose Leibeigene blieben, entsetzt
ist. Luthers Lehre vom „leidenden Gehorsam gegen die Obrigkeit” bildete eine
für den fürstlichen Territorialstaat zentrale Grundlage.
Der
Film blendet darüber hinaus die ganze Kraft der Reformation in Zentraleuropa
aus. Weder Zwingli, später Calvin für die Schweiz, die gar nicht erwähnt
werden, noch Philip Melanchthon, der als Randfigur auftritt, noch Thomas Münzer,
der sich auf die Seite der aufrührerischen Bauern stellte, haben Platz
in einem historischen Lehrstück, das keines ist. Luther selbst erscheint
als zweifelnder, oft furchtsamer, fast schon labiler Reformator, eine Darstellung
durch Fiennes, die jeglicher Grundlage entbehrt. Karl V. (Torben Liebrecht,
der auch nicht die Spur von Ähnlichkeit mit dem Kaiser hat) wird als naiv
hintertriebener, fast schon feiger Jüngling präsentiert – eine Visualisierung,
die der Person dieses – das kann man aufgrund der Quellenlage sicherlich behaupten
– äußerst intelligenten Kaisers kaum nahe kommen kann. Uwe Ochsenknecht
als Papst Leo X. ist eine schauspielerische Katastrophe. Die Reduzierung dieses
Papstes auf einen genusssüchtigen und geldgierigen Lebemann verabsolutiert
eine Seite dieses Mannes, und Ochsenknecht erscheint fast wie ein aus der Gegenwart
in das 16. Jahrhundert hinein katapultierter Playboy. Alfred Molina spielt den
Ablasshändler Tetzel so blass und oberflächlich, dass man wegschauen
möchte. Einzig Peter Ustinov als Friedrich der Weise kann durch Verschmitztheit,
Witz und Klugheit dieser Figur etwas an Glaubwürdigkeit vermitteln.
Insgesamt
scheinen Eric Till bzw. Camille Thomasson und Bart Gavigan, die das Drehbuch
schrieben, der Meinung gewesen zu sein, sie müssten möglichst viele
Fakten aus dem Leben Luthers in zwei Stunden Film unterbringen. Das führt
dazu, dass besonders in der zweiten Hälfte des Streifens durch die Ereignisse
gehetzt wird, als ginge es ums Leben. Luthers Beziehung zu Katharina von Borg
erscheint nicht als Liebesgeschichte, sondern wird in die Inszenierung hinein
gequetscht, um dieses Faktum irgendwie auch noch zu erwähnen. Da ist keine
Leidenschaft, kein Sich-Annähern, nur der Satz aus dem Mund Katharinas:
„Wir machen gerne Musik zusammen”. Grotesk!
Bruno
Ganz als Pater Johann von Staupitz, geistlicher Vater des jungen Luther, spielt
Lebendigkeit und Mitgefühl für seinen Zögling, aber er kann es
nicht überzeugend vermitteln. Überhaupt wirkte die Inszenierung auf
mich wie ein Spiel mit einer Ansammlung von Schachfiguren, ein Spiel, dessen
Ausgang von vornherein klar ist. Die Personen jagen durch Gänge, treffen
sich mal hier, mal dort, so etwa, wie dies in schlechten und eifrig hin geschluderten
Fernsehspielen gang und gebe ist, wenn es um Geschichte geht. Verschwiegen wird
auch, dass Karl V. zwar Luther im Wormer Edikt ächtete, nichtsdestotrotz
aber von Luthers Schriften angetan war. Gerade diese Diskrepanz zwischen persönlichen
und machtpolitischen Motiven im Kampf zwischen kaiserlich-dynastischen Interessen
und landesherrlichen Zielen der Fürsten sowie der Politik des Vatikans
verliert sich in einem Film, der nicht einmal in die Nähe der historischen
Qualität eines Schulbuchs gerät. Die Hintergründe der im Film
dargestellten Machtpolitik bleiben im Dunkeln. Und das ist mehr als nur ärgerlich.
Summa
summarum muss man „Luther” Geschichtsklitterung vorwerfen. Fast erscheint es,
als ob man dem Reformator ein Denkmal ohne Tadel setzen wollte, rein und unschuldig,
anstatt sich der historischen Figur und der Geschichte seiner Zeit anzunähern.
Wertung:
3,5 von 10 Punkten.
Ulrich
Behrens
Diese Kritik ist zuerst erschienen bei: ciao.de
Zu
diesem Film gibt’s im archiv
der filmzentrale mehrere Kritiken
[1]
Zu Karl V. vgl. die Biografie von Alfred Kohler: Karl V. 1550-1558. Eine Biographie,
München 1999.
[2]
Zur Reformation und insbesondere dem Wormser Reichstag vgl. Heinrich Lutz: Das
Reich, Karl V. und der Beginn der Reformation. Bemerkungen zu Luther und Worms,
in: Beiträge zur neueren Geschichte Österreichs, hrsg. von H. Fichtenau
und E. Zöllner, Wien / Köln / Graz 1974, S. 47-70.
Luther
(Luther)
Deutschland
2003, 121 Minuten
Regie:
Eric Till
Drehbuch:
Camille Thomasson, Bart Gavigan
Musik:
Richard Harvey
Director
of Photography: Robert Fraisse
Schnitt:
Clive Barrett
Produktionsdesign:
Rolf Zehetbauer
Hauptdarsteller:
Joseph Fiennes (Martin Luther), Alfred Molina (Johann Tetzel), Bruno Ganz (Pater
Johann von Staupitz), Jonathan Firth (Girolamo Aleandro), Peter Ustinov (Friedrich,
der Weise), Claire Cox (Katharina von Borg), Uwe Ochsenknecht (Papst Leo X.),
Benjamin Sadler (Georg Spalatin), Jochen Horst (Professor Karlstadt), Torben
Liebrecht (Kaiser Karl V.), Mathieu Carrière (Kardinal Jakob Cajetan),
Marco Hofschneider (Ulrich), Maria Simon (Hanna), Herb Andress (Gunter), Lars
Rudolph (Philip Melanchthon)
Internet
Movie Database:
http://german.imdb.com/title/tt0309820
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