zur startseite
zum archiv
Luther
DIE
OFFENBARUNG DES PROPHETEN
Um
die Jahreswende 1843/44 hatte Karl MARX in seiner Einleitung zur Kritik der
Hegelschen Rechtsphilosophie die Ortsbestimmung der Reformation in die Worte
gekleidet: „Luther hat allerdings die Knechtschaft aus Devotion besiegt, weil
er die Knechtschaft als Überzeugung an ihre Stelle gesetzt hat. Er hat
den Glauben an die Autorität gebrochen, weil er die Autorität des
Glaubens restauriert hat. Er hat die Pfaffen in Laien verwandelt, weil er die
Laien in Pfaffen verwandelt hat. Er hat die Menschen von der äußeren
Religiosität befreit, weil er die Religiosität zum inneren Menschen
gemacht hat. Er hat den Leib von der Kette emanzipiert, weil er das Herz in
Ketten gelegt.“ (1)
Die
deutsche Reformation, in deren Mittelpunkt LUTHER (1483-1546) stand, war historisch
die ‚Befreiung’ von kirchlichem, zunehmend als römische Fremdherrschaft
empfundenem Zwang und Begründung eines neuen, verinnerlichten, staatstragenden
Zwang. Sie bewirkte, wie MARX richtig bemerkte, Emanzipation und Repression,
durchaus aber auch im Sinne der Überwindung des Mittelalters. Sozialgeschichtlich,
oder politisch betrachtet, war die Reformation eher, vor allem in der Schweiz,
in Ober- und Mitteldeutschland, eine Erhebung des ‚gemeinen Mannes’ in Land
und Stadt mit dem Bauernkrieg von 1524/25 als Höhepunkt.
Die
Hierarchie der sichtbaren Kirche hatte ihr Pathos verloren und die landesherrlichen
Kirchenregimente, die sich schon in vorreformatorischer Zeit herausgebildet
hatten, fürchteten mehr und mehr um ihre Freiheit als Obrigkeit. LUTHER
hoffte auf ein Nationalkonzil, dass er mit Karl V. verband, als dieser 1519
von den deutschen Kurfürsten zum römischen Kaiser gewählt wurde.
Sollte es doch eine umfassende Reform einleiten.Diese Hoffnungen zerschlugen
sich, weil die habsburgische Universalmonarchie unter Karl ihren Schwerpunkt
nicht mehr in Deutschland hatte. Für ihn galt es nun, die ‚wahrhaftigen
Gläubigen’ zu sammeln, die sich um Glauben scharen sollten, und die Gemeinden
zu bilden hätten, Schulen und Universitäten reformieren sollten.
LUTHER
setzte dabei auf die weltliche Obrigkeit, die von Gott verordnet war und das
Schwert und die Rute führte, um die Abweichler zu strafen, um die Frömmigkeit
zu schützen.Durch die Reformation gewannen die Fürsten die Verfügung
über jegliches Kirchengut, womit sie die staatlichen Einnahmen vermehrten
und somit ihre weltliche Herrschaft festigen konnten.Darin sah LUTHER schlicht
einen ‚Liebesdienst’. Und der Augustinermönch brachte in der Praxis weltliche
und göttliche Gewalt, Thron und Altar, Zepter- und Waffengewalt so eng
zusammen, dass dem Staat eine gewisse Halbgöttlichkeit zuwuchs. Die politischen
Wirkungen des Luthertums waren damit sehr radikal ausgebildet und begünstigen
geschichtlich die Entwicklung zum Absolutismus. Daran konnte auch die Übersetzung
des ‚Neuen Testaments’(ab 1522 auf der Wartburg) nichts ändern, die zwar
grundlegend war, weil sie die gesamtdeutsche Hochsprache schuf, oder der ‚Reichstag
zu Augsburg’ (Auseinandersetzung mit Philipp MELANCHTHON um das Bekenntnis „Confessio
Augustana“), der 1530 den evangelischen Glauben konfessionalisierte. Selbst
der Anschlag der sog. ‚95 Thesen’ an die Schlosskirche zu Wittenberg (31. Oktober
1517), die im Zusammenhang mit den Geschäften des Ablasshändlers TETZEL
standen, und in denen LUTHER zur Disputation aufrief und den römischen
Klerus angriff, brachte nicht die von ihm erhoffte Wende. Das Heilige Römische
Reich blieb erhalten. Es festigte sich sogar institutionell.
Ohne
diesen Hintergrund ist der Film „Luther“ nicht zu verstehen; denn er setzt voraus,
dass man sich ein wenig mit der Zeitund der Biografie des Augustinermönchs
beschäftigt hat. Insofern arbeitet er sicherlich einige Stationen seines
Lebens heraus. Regisseur Eric TILL („Bonhoeffer - Die letzte Stufe“, (2000))
bemüht sich zwar redlich um Faktentreue, Chronologie und Historie und wird
so dem üppigen Bild des 16. Jahrhunderts durchaus gerecht. Das alles ist
nett anzusehen; das Leben des Mönchs,sein Streiten, die Anfeindungen gegen
seine Person, die Schmähungen, die er ertragen musste, die Verhärtungen
und Verkrustungen, die sich in der katholischen Kirche offenbarten.Joseph FIENNES
(„Shakespeare in Love, 1998, Regie: John MADDEN, “Enemy at the Gates”, 2001,
Regie: Jean-Jacques ANNAUD) alsAction-LUTHER spielt nicht überragend, aber
doch so, dass er sich deutlich von den anderen Darstellern abhebt. Uwe OCHSENKNECHT
(„Fußball ist unser Leben“, 2000, Regie:Tony WIEGAND) als Papst ist eine
Lachnummer und Peter USTINOV („Tod auf dem Nil“,1978, „Rendezvous mit einerLeiche“,
1987, „In 80 Tagen um die Welt“, 1988,„Lorenzos Öl“, 1992) als Adeliger
sollte sich an seine besten Zeiten erinnern, in denen er noch überzeugend
wirkte.
Das
alleine könnte zunächst ausreichen, um sich das Spektakel um Martin
LUTHER anzusehen. Allerdings sind die historischen Ansätze, die der Film
vermittelt,nur ein Teil seines Lebens. Und damit setzt auch der Verriss ein.
Heinrich HEINE hatte LUTHER einst als „größten und deutschesten Mann
unserer Geschichte bezeichnet“. (2) War er das? Und ist das LUTHER- Bild, das
sehr viele Menschenvon ihm haben, das eines ‚reinen Mannes’?
Dieser
LUTHER, der in diesem Zeitmosaik lebte, predigte die Unterwerfung unter den
weltlichen Staat als Vollzug des göttlichen Willens und das Handeln als
Selbstzweck. Er schuf ein Idol, an dessen Ansprüche der real existierendeMensch
zeitlebens scheitern würde, woraus - durch das Paradigma der ‚Erbsünde’
(von Natur aus schuldig) - ein bis heute existierendesSchuldgefühl resultiert,
das vor allem bei denjenigen verfängt, die dem christlichen Glauben überhaupt
noch etwas abgewinnen können.
Der
Reformator hasste Fröhlichkeit, verwarf materielle Gelüste, war der
Wegbereiter des Puritanismus, sanktionierte die Ge- und Verbote, predigte den
Gehorsam zur weltlichen Macht (was bahnbrechend für die Entwicklung des
späteren Kapitalismus war!), und dort, wo es menschliche Regungen gab,
einen Freiheitsdrang zu praktizieren, wurde er rasend. LUTHER war nicht der,
den der Film zeigt, er war weitaus reaktionärer und er war auch nicht der
Vorbereiter der deutschen Aufklärung. Mit Martin LUTHER verschwand zwar
der Glaube an katholische,nicht aber der an teuflische Wunder, deren schauderhaftes
Treiben er ausmalen konnte, wie kein zweiter. Die aufrührerischen Bauern
verabscheute er. Für die, die sich von der Knechtschaft befreien wollten,
hatte er nur die Verdammung übrig. Damit war er despotischer als die Fürsten
selber. In seinem Pamphlet „Wider die aufrührerischen und räuberischen
Rotten der Bauern“ (3) wollte er sie umgebracht sehen, „zerschmeißen,
stechen, heimlich und öffentlich... und wie einen tollen Hund totschlagen“.
LUTHER
läutete die Mordglocke in einer Zeit, in der zur öffentlichen Exekution
aufgefordert wurde. Sie wurde gepredigt und hofiert. Die Bilderstürmer
und Schwärmer belegte er mit dem Bann,die man nur mit Gewalt niederringen
könne. Die Juden fand er „schlimmer als eine Sau“. Für sie und die
Teilnehmer an ihren religiösen Zeremonien forderte er die Todesstrafe,
und verlangte, dass ihre Häuser und Synagogen niederzubrennen seien, „dass
kein Mensch keinen Stein oder Schlacke davon sehe ewiglich“. (4) Er war durch
und durch Antisemit. Sein Heldentum und seinen angeblich rebellischen Charakter
gab es nicht. Die Worte, die er am 17./18. April 1521 auf dem ‚Wormser Reichstag’
gesprochen haben soll: „Hier- stehe- ich- und kann- nicht- anders“, waren unter
diesem Gesichtspunkt nichts anderes als die Festigung einer antisemitischen
Haltung in Theologie und Liturgie.LUTHER hatte diesen Antisemitismus in seinem
Innersten gehegt und gepflegt, und es verwundert nicht, dass er im mittelalterlichen
Europa für einen universellen (bösartigen) Antisemitismus stand.
Selbst
seine Anklage gegen den Ablass wurde von ihm durch die Erhöhung des von
ihm gepredigten entsagenden Individuums im Prinzip wieder aufgehoben; denn dadurch
etablierte sich auch die Dichotomie zwischen Innerlichkeit und Kommerz, die
sich wie ein Geschwür durch die deutsche Geschichte zieht. Kurz: Luther
war zwar auch der, den der Film darstellt, er ist aber viel differenzierter
zu betrachten. Das alles sucht man vergeblich in „Luther“.Er war eben auch ein
selbstgefälliger Falschspieler, der die Menschen zu seiner Zeit in eine
andere Abhängigkeit führte, in die (selbstverschuldete) Unmündigkeit,
in den Kanon der späteren bürgerlichen Gesellschaft mit all ihren
katalogisierenden Einteilungen über die Spezies Mensch.
Fazit:
Über weitere Strecken des Filmes begegnet man einem Martin LUTHER, der
ein Schlaglicht der Zeitgeschichte war. Jedoch ist sein gesamtes Auftreten mit
jenen Anekdoten unterlegt, die nur den ‚braven Mann’ als Rebell gegen den katholischen
Klerus zeigen. Insofern ist er total undifferenziert und wirkt leider nur wie
ein mit Spannung unterlegter Film über die Reformation. Er ist zu pathetisch,
ein zu dick aufgetragenes Epos. Und im übrigen kein Film für Atheisten
und Agnostiker. Da es dem Film an jeglichen kritischen Reflexionen über
ihn mangelt, muss man sich leider über zwei Stunden auf das ‚Jüngste
Gericht’ einlassen.
Dietmar
Kesten
Diese
Kritik ist nur in der filmzentrale erschienen
Zu
diesem Film gibt’s im archiv
der filmzentrale mehrere Kritiken
Anmerkungen:(1)
Vgl. MEW, Bd. 1, Berlin-Ost 1969, S. 386.(2) Heinrich Heine, Sämtliche
Werke, Teil 5 und 6 (Über Deutschland), Berlin-Ost, 1978. (3) Zitiert nach:
Wilhelm Zimmermann: Der großedeutsche Bauernkrieg, Berlin-Ost, 1952.(4)
Alle Zitate: Ebd.
Luther
(Luther)
Deutschland
2003, 121 Minuten
Regie:
Eric Till
Drehbuch:
Camille Thomasson, Bart Gavigan
Musik:
Richard Harvey
Director
of Photography: Robert Fraisse
Schnitt:
Clive Barrett
Produktionsdesign:
Rolf Zehetbauer
Hauptdarsteller:
Joseph Fiennes (Martin Luther), Alfred Molina (Johann Tetzel), Bruno Ganz (Pater
Johann von Staupitz), Jonathan Firth (Girolamo Aleandro), Peter Ustinov (Friedrich,
der Weise), Claire Cox (Katharina von Borg), Uwe Ochsenknecht (Papst Leo X.),
Benjamin Sadler (Georg Spalatin), Jochen Horst (Professor Karlstadt), Torben
Liebrecht (Kaiser Karl V.), Mathieu Carrière (Kardinal Jakob Cajetan),
Marco Hofschneider (Ulrich), Maria Simon (Hanna), Herb Andress (Gunter), Lars
Rudolph (Philip Melanchthon)
zur startseite
zum archiv