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Macbeth (2006)
William Shakespeares Feldherr
Macbeth, der über Leichen geht, um König zu werden und der auf dem
Thron schließlich von Gewissensbissen gepeinigt wird, hat sich im Kino
der vergangenen Jahrzehnte rar gemacht. Mitschuldig an mutmaßlichen Skrupeln
zeitgenössischer Regisseure könnten Großmeister wie Orson Welles
(1947), Akira Kurosawa (1957) und auch Roman Polanski (1971) sein; letzterer
hängte mit seiner packend-naturalistischen Deutung die Messlatte für
Nachfolger noch einmal ziemlich hoch. Während Polanski das Stück gleichsam
auf „Originalinstrumenten“ spielte, schottische Landschaften und historische
Schlösser präsentierte, scheiterte der deutsche Regisseur Klaus Knoesel
2001 mit seiner Totentanznummer „Rave Macbeth“ am Versuch, die Handlung aus
dem Schottland des 11. Jahrhunderts in eine einzige Techno-Disco-Nacht einzudampfen.
In der neuesten „Macbeth“-Filmversion,
die in Deutschland nur als DVD erscheint, bezieht sich der Australier Geoffrey
Wright wieder mehr auf die Vorlage, lässt seine Darsteller halbwegs originale
Shakespeare-Verse sprechen, wechselt die Schauplätze und liefert in puncto
Atmosphäre ein diskutables Setting – im heutigen Melbourne. Ganz offenbar
wurde Wright durch Knoesels Disco-Idee zur entscheidenden Begegnung Macbeths
mit den Hexen inspiriert, die hier ebenfalls unter den rotierenden Lichtern
einer Tanzfläche stattfindet. Statt alter Vetteln flüstern dem tragischen
Helden nun aufreizende Girlies Macht- und Mordgedanken ein, statt feuchter Schwaden
auf der schottischen Heide wabert hier Disconebel. So weit, so stimmig. Zum
entscheidenden Haken der Verfilmung – wenn man sie denn an der Charakterzeichnung
des Shakespeare-Stücks messen will – wird die soziale Verortung der Figuren
ausgerechnet in einem Clan von Drogen-Mafiosi. Dadurch, dass der rechtmäßige
König Duncan hier zum eiskalten Gangsterboss mutiert, der gleich in der
Eingangsszene eine Handvoll Gegner von Maschinengewehrsalven niedermähen
lässt, wird die moralische Fallhöhe des Königsmörders Macbeth
empfindlich abgekürzt. In einer korrupten Gesellschaft, die wohl noch das
hierarchische Oben und Unten, aber kein Gut und Böse mehr kennt, wird Macbeth’
Entschluss, die feige Mordtat zu begehen, zur logischen Zwischenstufe in der
Gewaltspirale, beinahe zur Lappalie verkleinert. Die Hauptfigur entwickelt sich
nicht etwa aus der Erfahrung des Scheiterns heraus zum Nihilisten, dem schließlich
das Leben nur noch als sinnfreies „wandelnd’ Schattenbild“ erscheint, wie es
in der Tieck’schen Übersetzung heißt; vielmehr ist Macbeth ein Abgeklärter,
Hoffnungs- und Zielloser von vornherein – ohne durch besondere Gedankentiefe
aufzufallen. Seine Monologe sind stark gekürzt, zudem wird er von dem jungen
Sam Worthington gespielt, der zwar trotzig-erhobenen Hauptes, aber ohne spürbare
innere Größe in den Untergang marschiert. Victoria Hill gibt eine
schwer kokainsüchtige, theatralische, sich in Videoclip-Posen gefallende
Lady Macbeth. Hills schlimmes Chargieren in der Schlafwandelszene zählt
zu den Tiefpunkten des Films. Dass sich die Darstellerin überhaupt derart
in den Vordergrund spielen darf, liegt vielleicht in ihrer Eigenschaft als Mit-Produzentin
und Drehbuchautorin begründet. Im Theaterstück verliert die Lady mit
ihrem Verstand auch an Bedeutung innerhalb des Dramas, was Orson Welles und
Jeanette Nolan in der US-Verfilmung mustergültig vorgeführt haben.
Dass Geoffrey Wright eine stimmige
Adaption womöglich hätte gelingen können – mit besserer Besetzung
und anderen Weichenstellungen im Drehbuch –, deuten einige intelligente Lösungen
für Probleme an, die sich mit dem Medienwechsel von Bühne zu Film
und der Aktualisierung des Stücks ergaben: für die Vision des Dolchs
– Symbol für Macbeths zwanghafte Mordgedanken, braucht Wright keinen Special
Effect, sondern nur ein bisschen Zyperngras, das einen messerförmigen Schatten
an die Wand wirft, hinter der Duncan schläft. Der Wald von Birnam, der
laut dem hinterhältigen Spruch der Hexen erst zum Thronsitz Dunsinane wandern
müsste, bevor sich der Tyrann ernsthafte Gedanken über seinen Sturz
machen müsste, wird zu einem Stoß gefällter Bäume auf einem
Holzlaster, mit dem die Rivalen das Gatter der Macbeth-Villa durchstoßen.
Schade ist es auch um den ebenso atmosphärisch-dichten wie subtilen
Score von John Clifford White, der Instrumente australischer Ureinwohner wie
das Didgeridoo integriert. Ebenso verschenkt ist die nach wie vor hochaktuelle
Fabel vom machtbesessenen Potentaten, der die Weltbühne ja keineswegs verlassen
hat.
Jens Hinrichsen
Dieser Text ist
zuerst erschienen in: film-Dienst
Macbeth
MACBETH
Australien
2006
ca.
109 min
Regie: Geoffrey
Wright
Drehbuch:
Victoria Hill, Geoffrey Wright, William Shakespeare (Vorlage)
Produzent:
Martin Fabinyi
Darsteller:
Sam Worthington, Victoria Hill, Lachy Hulme, Steve Bastoni, Matt Doran
Verleih:
Tiberius Film
DVD
Anbieter:
Sunfilm
EXTRAS
- Trailer
- Making Of
- Hochwertiger Schuber mit exklusivem Booklet
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