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The
Machinist
Der Bruder Karamasow
Hollywood liebt Extreme wie dieses: Da räkelt
sich ein Mann im Badezimmer, vor seinem Spiegel. Zu sehen sind nur Haut und
Knochen, Silhouetten lassen sich undeutlich erkennen, weil seine Statur dagegen
ankämpft, nicht von den Schatten des Raumes eingenommen zu werden. »If
you were any thinner, you wouldn't exist«, bemerkt die Prostituierte Stevie
(Jennifer Jason Leigh), die ihn vom Bett aus beobachtet. Nicht mehr zu existieren,
das klingt in Trevors Rezniks (Christian Bale) Ohren nicht wie eine Drohung,
mehr wie ein erstrebenswerter, weil ungemein erlösender Zustand. »I
haven't slept in a year«, was wie eine überspitzte Floskel erscheint,
ist eine realitätsnahe Beschreibung.
Realität ist vielleicht das falsche Wort. Zunehmend
verschwimmt für Trevor das Abbild von Wirklichkeit, auf restriktive Art
gefangen ist sein Leben zwischen surrealem Traum und belastender Gegenwart.
Düster ist es in seiner Welt sowieso. Dunkel und kalt. Emotionale Wärme
erfährt er nur von Stevie, als körperliche Annäherung, selbst
wenn ihr Verhältnis mehr ist als eine rein geschäftliche Vereinbarung.
Zuneigung inklusive. Tagsüber verbringt er die meiste Zeit an seinem Arbeitsplatz,
einer Fabrik, die jedem Roman von Dickens' zur Ehre gereichte. Ein schmutziger
Ort, voller Öl und Verseuchung, Metall und Funken.
Eine triste Welt, in der die Sonne nur selten scheint.
Kaum Zufall ist es, dass sich Trevors nächtliche Lektüre auf Dostojewskis
Werk "Der Idiot" beschränkt. Fjodor ist überall. Motivisch
und moralisch eingewoben in das Seelenleben des Protagonisten, der sich durch
den von Grund auf deprimierenden, manchmal irritierend morbiden Alltag seiner
Existenz schleppt, von Tag zu Tag, Stunde zu Stunde, die Minuten zählend,
um endlich, irgendwann - in der nach wie vor beständigen Hoffnung - die
Augen schließen zu dürfen und als Mensch aufzuwachen. Darin muss
Erlösung liegen. Dann müssen sich Schuld und Sühne ausgleichen.
Doch darum geht es vorerst nicht. Davon ist der Plot
weit entfernt, jedwede Katharsis ist zunächst frommer Wunsch und ernüchternde
Utopie. Es gilt, ein Puzzle zu lösen. Stück für Stück. Irgendwo
verschleiert hinter den starren Augen und dem ausgemergelten Gesicht verbirgt
sich eine traurige Vergangenheit, soviel ist sicher, liegt tiefer Schmerz zugrunde,
da muss mehr sein, als das, was Knochen und Gelenke schützen können.
Christian Bale ist hier so nackt wie in keinem anderen Film zuvor. Reduziert
bis aufs Mark, eingefallen in seiner sonst stattlichen Körperlichkeit,
die viele seiner anderen Rollen bestimmte.
Spätestens seit De Niro für "Raging Bull" die Gewichtsskala rauf und runter schlidderte,
ist der Zuschauer zur Faszination veranlasst, wenn es um das Schauspielen als
Methode geht, dort wo der Mensch zurücktritt und die Figur allein bestehen
muss. Bale probt hier das gesundheitliche Extrem, was fasziniert, ist jedoch
nicht die Willenskraft und der vermeintliche Hang zur künstlerischen Exzentrik,
sondern die fatale Wirkung an sich. Das völlige Nacktsein von Trevor Reznik,
die damit einhergehende Selbstaufgabe eines Charakters, der sich schleppend
zwischen Leben und Tod bewegt. Es ist der Fassungslosigkeit und Müdigkeit
in den Augen des Maschinisten zu verdanken, dass die Geschichte an sich nicht
im selbstkreierten Depressionskosmos untergeht. Ganz im Gegenteil.
Der Protagonist ist nicht das Ergebnis seiner Umwelt,
es verhält sich genau andersherum. Anderson erschafft eine Welt nach den
Vorstellungen seiner Hauptfigur, demonstrativ trägt diese graue, albtraumhafte
Umgebung die Wesenszüge ihres bestimmenden Geschöpfes. Alles könnte
Fiktion sein, das kalte Ambiente dieser lebensmüden Sozialisation ist das
Produkt von Phantasien und Psychologismen. Trevor Reznik lebt in einem Albtraum,
seinem eigenen Albtraum, in seiner eigenen Psyche, konfrontiert mit seiner eigenen
Schuld.
In diesen Phasen gelingt ein eindringliches Porträt.
Dass der Plot an sich letztendlich zu einem unbefriedigenden Ende führen
muss, erscheint an dieser Stelle ebenso vorhersehbar wie unerheblich. Nicht
die Entdeckung dessen, was Wahrheit ist, verdient alle Aufmerksamkeit. Interessant
ist das partielle Aufschlüsseln, Aufblättern und Aufdecken von Lügen,
Möglichkeiten und beherrschenden Motiven. Es geht um Reznik als Figur,
nicht um ihn als Mörder oder als Heiligen. Das mühsame Leiden selbst
liegt im Kern der Erzählung.
Ein psychologischer Erzähler versucht Anderson
hier zu sein, doch ohne das Maß an Tiefgründigkeit und existenzieller
Brisanz zu erreichen, das man einem Dostojewski gerne attestiert. Seiner Bildsprache
verdankt der Film vieles, auf Christian Bales Leistung basiert er grundlegend.
The Machinist
ist ohne Zweifel als Film Noir der Jetztzeit eine gelungene Annäherung
an Motive und Motivationen großer Vorbilder, vor allem literarischer Herkunft,
doch ganz sicher fehlt es dem Plot noch an ergreifender Vollkommenheit.
Patrick Joseph
Dieser Text ist zuerst erschienen
bei: www.ciao.de
Zu
diesem Film gibt’s im archiv der filmzentrale mehrere
Texte
The
Machinist - Der Maschinist
Spanien
/ USA 2004 - Originaltitel: The Machinist - Regie: Brad Anderson - Darsteller:
Christian Bale, Jennifer Jason Leigh, Aitana Sánchez-Gijón, Michael
Ironside, John Sharian, Larry Gilliard, Reg E. Cathey - FSK: ab 16 - Länge:
101 min. - Start: 11.11.2004
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