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Das
Mädchen mit dem Perlenohrring
Das
Filmfest München 2004 eröffnet mit einem Film weitab seiner Schwerpunkte
- keinen Film über Musik, keinen Film über den Krieg oder die Politik
gibt es zu sehen, sondern ein historisches Drama, das eine Geschichte spinnt
um Johannes Vermeers Gemälde Das Mädchen mit dem Perlenohrring. Eine
Frau ist auf dem Bild zu sehen Ein Frauenportrait, ein sehr kindliches Gesicht,
das den Betrachter direkt ansieht. Es muss wohl um das Sehen gehen in so einem
Film, um die Blicke zwischen dem Künstler und seinem Modell, zwischen dem
Bild und seinem Betrachter.
Die
Blicke sind es, die Peter Webbers Film tragen, und er weiß, dass Blicke
die Struktur des Kinos sind. Eine Camera Obscura bekommt Vermeer geliefert,
jenen Vorläufer des kinematografischen Apparats - eine große Kiste,
die durch ihre Linse das Licht bündelt und ein Abbild der Welt auf eine
Glasscheibe wirft. "Es hilft", sagt Vermeer (Colin Firth) zu dem neuen
Dienstmädchen (Scarlett Johansson) - es hilft beim Malen. Und er malt sie
- skandalös natürlich in den Niederlanden des 17. Jahrhunderts, liegen
doch Welten zwischen dem großen Meister und den Niederungen seiner Dienstboten
und geht doch jeder davon aus, dass wenn der Meister eine Frau porträtiert,
es natürlich seine eigene sein solle. Geheim bleibt das Porträtieren
Griets natürlich nur eine Weile, zu auffällig wird die Nähe zwischen
ihr und Vermeer - so auffällig, dass die halbwüchsige Tochter Vermeers
ihre Eifersucht kaum mehr zu bezwingen weiß und gezielte Attacken auf
Griet - wohl auch im Sinne ihrer Mutter, Vermeers Frau Catharina (Essie Davis)
- ausheckt.
Es
ist eine wunderbar gezeichnete Nähe, die Webber zwischen seinen Protagonisten
entstehen lässt, eine Beziehung, deren Sexualität sich völlig
ins Symbolische verlagert. Johanssons Körper wird nicht, wie erst Anfang
des Jahres in Sofia Coppolas großartigem Lost
in Translation,
zum Ornament, wird nicht ausgestellt, sondern wird verhüllt in den historischen
Kostümen und so gänzlich auf das Gesicht reduziert. Aber wie dieses
Gesicht inszeniert wird! Da bittet Vermeer Griet, die Stelle seiner Frau beim
Porträtmalen einzunehmen und dabei sogar deren Perlenohrringe zu tragen,
und als nach langem Zögern Griet die anrüchige Aufgabe akzeptiert,
durchsticht Vermeer langsam, ganz langsam ihre Ohren mit einer Nadel. Der Tropfen
Blut nach der Penetration, die Großaufnahmen der Gesichter - Webber ist
deutlich in seinen Metaphern und übertreibt doch nicht das Spiel mit der
Analogie. Nur wenige Szenen sind es, die so offensichtlich Bedeuten Bedeutung
wollen, meist beschränkt sich die Kamera auf Hinweise und Vermutungen.
Die Räume in Girl
With a Pearl Earring
sind spektakulär ausgeleuchtet, es wirkt, als habe man sich von Kubricks
Barry Lyndon inspirieren lassen. Sicher gelingt es nicht ganz, dieses große
Vorbild zu erreichen - das liegt aber auch an den unterschiedlichen Intentionen
der Filmemacher. Kubricks Perfektionismus duldete keinerlei Kunstlicht am Set,
und die hochempfindlichen Objektive ergaben mit dem speziellen Filmmaterial
ein körniges, morbides Bild, dessen Brillanz gerade in seiner Imperfektion
lag. Webber hat einen anderen Ansatz: Er versucht, die Bildwelten Vermeers zu
imitieren, er sucht nach den Farben und Lichteffekten des niederländischen
Meisters und findet sie auch in einigen seiner Szenen. Gleich zu Beginn etwa,
noch während der Credits, bekommt man ein bewegtes Stilleben zu sehen,
eine Hand in Großaufnahme, die Zwiebeln schneidet und anrichtet - der
Film versucht, die Malerei zu imitieren.
Einen
schönen Eröffnungsfilm hat sich das Filmfest da herausgesucht, einen
Film voller Licht und Farbe und Erotik, und dass die Camera Obscura ganz zentral
im Film ihren kleinen Auftritt hat, das scheint dabei kein Zufall. Die Blicke,
die die Camera Obscura auf ein Abbild lenkt, sie können nur im Dunkeln
ihr Ziel erreichen - und wenn Vermeer Griet, die verwundert in das fremdartige
Gerät blickt, seinen Mantel über den Kopf legt, und sich in der schützenden
Dunkelheit zu ihr gesellt - dann entsteht eine Intimität nicht nur zwischen
den Protagonisten, sondern auch zwischen ihnen und dem Publikum im Kinosaal.
Man verbündet sich mit den beiden, die ihre keusche und trotzdem so skandalöse
Beziehung ausleben, man verbündet sich mit ihnen gegen den lüsternen
Mäzenen, der mit dem gekauften Bild am liebsten auch gleich das Modell
dazu bekäme und gegen die gehässigen Familienmitglieder. Man verbündet
sich, um gemeinsam mit den Helden des Dramas dem Blick frönen zu können,
der auf Festivals seine Erfüllung finden kann: dem Blick auf das Abbild,
dem Blick auf die Leinwand.
Benjamin
Happel
Dieser
Text ist zuerst erschienen in:
Das
Mädchen mit dem Perlenohrring
Großbritannien
/ Luxemburg 2003 - Originaltitel: Girl with a Pearl Earring - Regie: Peter Webber
- Darsteller: Scarlett Johansson, Colin Firth, Cillian Murphy, Tom Wilkinson,
Essie Davis - Prädikat: besonders wertvoll - FSK: ab 6 - Länge: 95
min. - Start: 23.9.2004
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