zur
startseite
zum
archiv
Magnolia
Wer
häufiger mal Filmkritiken liest, dem wird bei diversen Actionfilmen bestimmt
schon mal der Satz untergekommen sein, dass man über die Story ohnehin
nichts schreiben könne, weil es eigentlich gar keine Story gibt. Den ersten
Teil des Satzes kann man auch auf „Magnolia“ anwenden, allerdings aus einem
anderen Grunde: Der Film hat derart viel Story, dass man ganz schnell eine Filmkritik
von 5 Seiten zusammen hätte, würde man umfassend darüber schreiben.
Dennoch,
irgendwie muss man ja eine Einleitung finden, also versuchen wir’s mal mit dem
übergreifenden Prinzip der Story. P.T. Andersons („Boogie Nights“) neuer
Film „Magnolia“ beschäftigt sich mit einem Tag im Leben von 9 Personen
in Los Angeles. Das Besondere an dem Tag ist, dass er für alle diese Menschen
eine einschneidende Änderung in ihrem Leben bringen wird. Interessant ist
außerdem, dass ihre Schicksale alle über mehr oder weniger große
Umwege miteinander verknüpft sind. Da ist beispielsweise Earl Partridge
(Jason Robards), ein TV-Produzent. Von Krebs im Entstadium gezeichnet, ist er
ans Bett gefesselt. Earl Partridges größtes Zugpferd ist die Show
„What do children know?“, die langlebigste TV-Sendung in Amerika. Dessen Moderator
Jimmy Gator (Phillip Baker Hall) muss ebenfalls erfahren, dass er Krebs und
nur noch wenige Monate zu leben hat. Aus diesem Grunde will er sich mit seiner
Tochter Claudia (Melora Walter) versöhnen, die von ihm aber nichts mehr
wissen will und einen hysterischen Anfall bekommt, als er ihre Wohnung betritt.
Dies ruft den netten Cop von nebenan, Jim Kurring (John C. Reilly) auf den Plan,
der sich prompt in Claudia verliebt, obwohl (oder vielleicht weil) sie in einem
völlig abgefuckten Zustand ist. Das klang nun vielleicht ein wenig langatmig,
ist aber ein gutes Beispiel für die eng verzahnten Schicksale der Figuren
in diesem Film. Hinzu kommt noch der „verlorene Sohn“ von Earl Partridge, Frank
Mackie (Tom Cruise), Earls Krankenpfleger Phil (Philip Seymour Hoffman), Earls
Frau Linda (Julianne Moore), das ehemalige Quiz Wunderkind Donnie Smith (Wiliam
H. Macy) und sein aktuelles Pendant Stanley Spector (Philip Baker Hall).
Nach
dieser Einleitung höre ich schon so manchen Kinogänger „Short
Cuts“
rufen. Sicherlich, die Ähnlichkeiten sind unbestreitbar. Doch auf den zweiten
Blick gibt es eine ganze Reihe Unterschiede zwischen "Magnolia" und
Robert Altmans Meisterwerk. Zum Einen hantiert Anderson nicht mit ganz so vielen
Charakteren und zum Anderen ist die Verknüpfung der Figuren etwas loser
als in „Short Cuts“. Die Charaktere begegnen sich nicht alle, dafür berühren
sich ihre Schicksale. Das gealterte Quiz-Wunderkind Donnie Smith wurde genauso
wie Stanley Spector von seinen Eltern ausgenutzt. Earl Partridge hat genauso
wie der Moderator seines größten Erfolges, Jimmy Gator, Krebs in
einem Stadium der Unheilbarkeit. Beide versuchen, sich angesichts ihres unausweichlichen
Todes mit ihren Kindern zu versöhnen. Die Seelenverwandtschaft der Charaktere
kulminiert dann in einer der brillantesten Filmszenen der letzten Jahre, in
der alle Darsteller an verschiedenen Orten den selben Song („Wise up“ von Aimée
Mann) singen. Der Refrain „It’s not going to stop `til you wise up“ ist in gewisser
Weise dabei die Quintessenz des ganzen Films.
„Magnolia“
ist ein weiteres Beispiel für das hohe Niveau, welches so manche Filme
aus Hollywood in letzter Zeit haben. Umso bedauerlicher ist es, dass der Film
trotz 3 Nominierungen bei den Oscars leer ausging. Die Story ist brillant und
die Schauspieler geben alle ihr Bestes. Besonders hervorzuheben ist dabei Tom
Cruise, der für seine Performance als ordinärer Megamacho mit allem
Recht einen Golden Globe einheimste und vielleicht zum ersten Mal in seiner
Karriere beweist, dass er ein wirklich guter Schauspieler sein kann. Genial
ist auch John C. Reilley, dessen Auftritt als gütiger Polizist mit großem
Herz berührt. Eins bleibt vollkommen schleierhaft, nämlich, warum
„Magnolia“ keinerlei Nominierung für beste Kamera bekommen hat, denn die
Kameraführung ist ein echter Leckerbissen. Elegante Schnittfolgen und atemberaubende
Kameraflüge tragen zum Gelingen der episodenhaften Inszenierung entscheidend
bei.
"Magnolia"
ist ein toller Film – allerdings kein perfekter. Zum einen gibt es einige Handlungsfäden,
die eigentlich vollkommen überflüssig sind, und die P.T. Anderson
deshalb im Laufe des Films vernachlässigt. Dadurch bleiben sie jedoch etwas
unangenehm in der Luft hängen. Außerdem gibt es Stellen, an denen
der Soundtrack, der ansonsten den Film sehr gut kommentiert, doch ziemlich nervt.
Dennoch – „Magnolia“ ist ein wunderbarer, trauriger, komischer, melancholischer,
hoffnungsvoller, deprimierender Film, der es schafft, 189 Minuten lang nie langweilig
zu werden – und das ist echt eine Leistung.
Daniel
Möltner
Originaltitel:
Magnolia
USA,
1999, 189 min
Darsteller:
Jason Robards
Julianne Moore
Tom Cruise
Philip Seymour Hoffman
William H. Macy
John C. Reilly
Phillip Baker Hall
Melora
Walter
u.a.
Regie:
Paul Thomas Anderson
Drehbuch:
Paul
Thomas Anderson
Diese Kritik ist zuerst erschienen bei:
zur
startseite
zum
archiv