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Hoon Na
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hoon na
war einer der erfolgreichsten Filme 2004 - und hierzulande hat es mal wieder
niemand gemerkt. Auf Platz 2 der kommerziellen Erfolge stand der Film vergangenes
Jahr in Bollywood - immer noch der größten Filmindustrie der Welt.
In Deutschland freilich mag das indische Kino zwar langsam eine kleine Fangemeinde
aufbauen, wirkliche Reichweite haben die bunten, lauten und langen Streifen
nicht. Als kitschig gelten sie vielen, als eskapistisches Opium fürs Volk.
Das mit dem Eskapismus jedoch ist so eine Sache: Selbst jene Bollywood-Filme,
die sich mit oberflächlich seichten Familienmelodramen befassen, lassen
einen Subtext erkennen, der geradezu überdeterminiert ist von politischen
Andeutungen, von Thematisierungen der Kasten- und Klassenunterschiede und von
Seitenhieben auf indische Politik. Sicher macht auch das die meisten Filme nicht
zu subversiven Meisterstücken – zu konservativ oft der Subtext, zu einseitig,
aber zumindest den Vorwurf der seichten Flucht aus der Realität kann jede
genauere Analyse des indischen Kinos widerlegen. Meist ist es die ganz große
Politik, die ins ganz kleine, ins Private sublimiert wird: Ein Hindu liebt eine
Muslimin, ein Inder eine Pakistani, ein Mitglied der einen Kaste jemanden aus
einer niederen. Die allumfassende Einheit, die sich viele der indischen Intellektuellen
wünschen, die Einheit des in Pakistan und Indien gespaltenen Kontinents
und jene der teils immer noch in Kasten aufgesplitteten Gesellschaft, sie spiegelt
sich in der Einheit der Liebenden, der Familie und des geborgenen Heimes des
Helden, die viele der Filme konstruieren.
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verschiebt die Konstellation ein wenig, und er thematisiert die Politik nicht
mehr nur im Subtext sondern ganz offen: Ein Gefangenenaustausch soll stattfinden
mit Pakistan, jene vermutlich Unschuldigen, die seit Jahrzehnten in den Gefängnissen
beider Länder sitzen, sollen zurückkehren dürfen in ihre Heimat.
Natürlich will einer diesen Akt des Friedens, diesen Schritt zur Wiedervereinigung
verhindern, mit den schlimmsten terroristischen Mitteln, und natürlich
gibt es den Helden alias Shahrukh Khan, der den Terror zu verhindern weiß
und den Frieden zu fördern. Ein Soldat ist er, und das Paradox, das seinerzeit
Stanley Kubrick in Dr.
Strangelove
demaskierte, wenn er auf die zerschossenen Panzer seiner Soldaten den Wahlspruch
'Peace is our profession' schrieb, es wird hier ganz ernst genommen: Für
den Frieden steht die – indische – Armee, für Sicherheit und Freiheit und
Gerechtigkeit. Reaktionär, mit welcher Selbstverständlichkeit hier
den bewaffneten Truppen und ihrem Helden die Kraft zugeschrieben wird, den Frieden
mit Gewalt zu erreichen - sei es auch 'nur' im Kampf gegen die Terroristen und
damit höchstens indirekt gegen das Nachbarland.
Es
ist auch weniger der Konflikt mit Pakistan, der in Main
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in der unvermeidlichen Lovestory und Familienzusammenführung gespiegelt
wird, sondern der zwischen den verschiedenen Standpunkten zum Militär.
Seinen verlorenen Bruder sucht Shahrukh, ein Stiefbruder eigentlich, den sein
Vater zu Lebzeiten verlassen hatte müssen, um sich seinem illegitimen Kind
zu widmen. Jener Bruder (Zayman Khan), er braucht eine ganze Weile, bis er sich
vom langhaarigen Pazifisten zum vermeintlich 'echten' indischen Jungen mausert,
zum korrekt gekleideten und frisierten Kameraden. Eine symbolische Wandlung,
natürlich, und wenn am Ende die beiden Brüder wieder zusammenkommen,
dann sind damit auch die Kritiker des ach so friedlichen Militärs zum Schweigen
gebracht worden.
Die
indische Filmwissenschaftlerin Sumita S. Chakravarty hat in ihrem Buch zur nationalen
Identität im Bollywoodkino den schönen Begriff der 'imperso-nation'
geprägt, jener aufs Persönliche übertragenen Identitätsstiftung
der Nation, der Suche nach dem Bild eines Nationalstaates, das sich auf den
Star und Helden projizieren lässt. Main
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ist eine treffliche Neuauflage jener Helden, die in ihrem Zu- und Miteinander
das Zusammenwachsen des Staates Indien verkörpern. Der Vater in Main
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der auf dem Sterbebett seinem Sohn den Auftrag zur Wiedervereinigung der Familie
gibt, ist ein ermordeter Militär, auch hier wird der Nationalstaat projiziert
aufs Familiäre: Der Vater – die Nation – besitzt Autorität noch über
seinen Tod hinaus, und seine Anweisung, sein 'werdet eins!', sie wird von den
Söhnen wie selbstverständlich ausgeführt.
Unglaublich
für westliche Augen, mit welcher Leichtigkeit all die schweren Themen,
der Diskurs über Nation und Identität in einem Film wie Main
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verbunden werden zu einer College-Romanze mit Actioneinlagen, wie die Song-and-Dance
Sequenzen es schaffen, den Terror von dem erzählt wird, in Farbe und Ornament
zu ertränken. Als 'echter Masala-Film' wird Main
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in Deutschland beworben, und der Begriff scheint hier tatsächlich wieder
zu passen: Das Masalakino der 80er Jahre, jene Filme, die wie die Masasla-Gewürzmischungen
der indischen Küche alle 'Geschmacksrichtungen' des Kinos zu verbinden
suchten, die Action, die Romanze und das Melodram, sie hatten Platz gemacht
für die Familienfilme der 90er. Farah Khan scheint mit ihrem Main
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zurückzuwollen zu jenen Filmen, in denen die Einheit auch eine der Genres
war, in denen all das, was im Westen als widersprüchliches Genrekino aufgefasst
wird in einen Rahmen gegossen wurde. Teilweise gelingt ihr das, wenn auch ihr
Film freilich dennoch tief verhaftet bleibt in der Gegenwart seiner Erzählung,
weniger Hommage ist als Weiterführung eines alten Konzeptes. Sehenswert
ist Main
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allemal, und vielleicht schafft der Verleih Rapideyemovies es ja auch mit seinen
kontinuierlichen Bemühungen, das indische (und asiatische) Kino als Präsenz
zu etablieren in den Köpfen der hiesigen Zuschauer. Lohnen würde es
sich, es gibt eine reiche Kinowelt zu entdecken.
Benjamin
Happel
Diese
Kritik ist zuerst erschienen bei:
Main
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Indien
2004 - Regie: Farah Khan - Darsteller: Shah Rukh Khan, Sushmita Sen, Zayed Khan,
Amrita Rao, Sunil Shetty, Kiron Kher, Kabir Bedi, Bindu, Boman Irani, Murli
Sharma, Satish Sha - FSK: ab 12 - Fassung: O.m.e.U. - Länge: 182 min. -
Start: 3.3.2005
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