zur
startseite
zum
archiv
Der Manchurian Kandidat
Der deutsche Filmtitel ist holprig, das Adjektiv
Implantat, und eben um ein solches geht es in diesem Remake. Das Original von
1963, "The Manchurian Candidate", war von John Frankenheimer und hieß
auf deutsch "Botschafter der Angst" - mit Frank Sinatra in der Hauptrolle.
Gehirnwäsche in der Mandschurei also. Dort drehen die "Leute vom Moskauer
Pawlow-Institut" gefangene US-Koreakämpfer um. Wieder daheim in Washington
tarnen sie sich mit antikommunistischen Tiraden, um als fünfte Kolonne
Moskaus ins Pentagon und gar ins Weiße Haus einzuziehen. Und damit diese
Infiltration totalitär kommt, wird der sowjetische Institutspsychiater
mit Hitlerbärtchen ausgestattet. - "Durch und durch verlogene Propagandahetze"
befand die Zeitschrift "Filmkritik" im Kalten-Kriegs-Jahr 1963.
Das Remake von 2004 landet einen Coup. Als Hort der
großen Verschwörung wird nicht das ferne Moskau-Asien ausgemacht,
sondern das heimische Zentrum, die amerikanische Wirtschaft, vertreten durch
den Großkonzern "Manchurian Global". Die Big Bosse sichern sich
die politische Macht am besten dadurch, daß sie sich vom propagandistisch
indoktrinierten Volk eine Marionette als Vizepräsidenten wählen lassen.
Und der Präsident? Wird gekillt. - Damit der Plan funktioniert, wird dem
Vizekandidaten (Liev Schreiber) ein Chip unter die Haut (Rücken, links)
implantiert, gar eine Sonde durch den Schädel gebohrt. Das Gehirn ist frisch
gewaschen, der Intelligenzquotient entsprechend niedrig, aber die Marionette
kann sagen, was ihr gesagt wird. Die Wörter kommen leicht verspätet,
an der Mimik hapert es. Doch das, was als blaß und unbeholfen gedeutet
werden kann, erweist sich für die Öffentlichkeit als sympathisch.
In das leere Gesicht kann jeder hineinprojizieren, was er will. Da stört
weder Ecke noch Kante. Und besser noch als in der Realität ist das Chipkästchen
nicht auf dem Jackett (Rücken, links), sondern nur auf der bloßen
Haut zu sehen. Es läßt sich herausbeißen. Ben, der alte Kumpel
(Denzel Washington), tut es, aber nur um Beweise zu sichern.
Denzel hat voll die Paranoia. So müssen es alle
sehen, und so sollen es alle sehen. Einer gegen alle: Psychiatrie, CIA, FBI,
Manchurian Global, Politik. Wird Denzel es schaffen? Er braucht Hilfe, will
er das Große Komplott aufklären. Und die findet er. Der deutsche
Freund ist es, der unabhängige und von der Industrie noch nicht gekaufte
Wissenschaftler Bruno Ganz. Sein Behandlungsraum ähnelt einer Alchimistenküche,
weist aber ein Elektroschockgerät auf. Sehr gothic. Old Europe, wird es
denn konsultiert, weiß Rat. Ganz, dessen Antlitz schon wieder vor Güte
schimmert, legt dem amerikanischen Patienten die Kathoden an die Schläfen,
und dann wird die Leinwand weiß. "Es ist wie beim Computerabsturz",
erläutert unser Faust. Alles, was die Implantate ins Gehirn hineingefüllt
hatten, ist wieder draußen. Die Traumata sind dahin! Gehirnwäsche
hilft gegen Gehirnwäsche.
"Der Manchurian Kandidat" ist spannend,
aber nicht nur wegen der Frage Wird-er-es-schaffen. Interessanter ist der Wettlauf
der Filmfiktion mit der Realität. Wird sie vom Film eingeholt, gar überholt?
Ergebnis: der Film wird leider nur zweiter. Die Wirklichkeit ist weiter. - Das
meiste erkennen wir wieder, das ist schnell abgehakt. Der Vorstandsvorsitzende
von Manchurian Global wird in Washington Vorsitzender des Ausschusses für
auswärtige Politik. Unser Vizekandidat begrüßt ihn mit den Worten:
"Was machen die Geschäfte?". - Und? Okay. Weiter. - Manchurian
hat in Indonesien für Blutplasma weit überhöhte Preise genommen
und das ohne Ausschreibung. - Wirtschaftlich gesehen: okay. - Manchurian oder
wars Enron oder Halliburton unterschreibt Rüstungsverträge mit Schurkenstaaten.
- Und? Saudiarabien ist noch keiner. - Manchurian baut private Kampfgruppen
auf. Die Söldner sollen das Militär entlasten. - Wissen wir schon.
Der Thatcher-Sohn wars.
Manchurian entwickelt Hautimplantate: Mikrochips,
die Informationen über und an den Träger erlauben. - Das ist human,
sagt die Fa.: "Das kann Leben retten". Dumm nur, daß jetzt 25
Wissenschaftler wegen Menschenexperimenten angeklagt sind. - Der Film, um der
dominierenden Realität was draufzusetzen, wird plakativ. Der Chefexperimentator
trägt statt des Hitlerbärtchens von vor vierzig Jahren das Haar seitlich
gescheitelt. Damit die rechte Assoziation kommt, ist einem der humanen Opfer
ein Hakenkreuz auf die Stirn gemalt. Sollen wir die Innovationen der Großtechnologie
für faschistisch halten und uns lieber im Ganzschen Studierstübchen
verkriechen? - Die Frage paßt nicht ins Remake hinein. Für den Multi
Manchurian spielen politische, gar parteipolitische Ideologien keine Rolle.
"Wir haben eh den halben Senat in der Hand, sowohl Republikaner wie Demokraten".
Paritätische Parteispenden bringen Großkonzernen Segen. - Ist das
neu?
Es greift zu kurz, sich dabei aufzuhalten, ob der
infiltrierte Vizekandidat die Marionette Bush jr. ist oder die Marionette Kerry
hätte sein können. Ob die dominierende Kandidatenmutter, die Senatorin
Meryl Streep (sie imponiert in jeder Hinsicht), die künftige Präsidentin
Hillary Clinton vorwegnimmt. All das zählt nicht. Wohl wahr, Regisseur
Jonathan Demme ("Das Schweigen der Lämmer") hat sich vor der
Wahl für Kerry und gegen Bush erklärt ("eine Gefahr für
die Welt, die USA und für mich"). Der Film hält sich aber insoweit
bedeckt. Und das wieder entspricht einer Realität, in der als Herrscher
der elitären US-Oligarchie gesellschaftliche Netzwerke wie die Bonesmen
ausgemacht werden. Das sind, wie die soziologische Forschung weiß, Absolventen
der Yale University, zu denen nicht nur die komplette Bush-Sippe, sondern auch
der Kandidat John Kerry zählt. (Großvater Bush soll die Knochen des
Apachenhäuptlings Geronimo und die des Pancho Villa, mexikanischer Freiheitskämpfer,
gestohlen haben: www.yaleherald.com/article.php?Article=208 ).
Daß das Old Boy Network der privilegierten
Oberschicht-Clubs Verschwörungstheorien nicht nur provoziert, sondern bewahrheitet,
wird heute gern diskutiert (Le Monde Diplomatique November 04). Nicht Film,
sondern Geschichte: Das Massachusetts Institute of Technology in Boston pflegt
traditionell eine enge Partnerschaft mit dem Pentagon und den Geheimdiensten.
Henry A. Murray leitete eine Versuchsreihe des CIA, bei der mit Drogen experimentiert
wurde. Führungsverhalten wird untersucht:, ein Beitrag der neuen Sozialwissenschaften
für den "Weltfrieden in einer neuen Weltgesellschaft mit Weltgesetzen,
einer Weltpolizei und einer Weltregierung". Hierauf können, so Murray,
die Vereinigten Staaten Anspruch erheben. Es ist weiter nichts zu tun, als Unbewußtes
neu zu programmieren und das Verhalten der Probanden zu steuern.
Das war in den sechziger Jahren. "Der Manchurian
Kandidat" belehrt uns nicht über diese alten Forschungen. Er wendet
die Forschungsergebnisse an. Was wir sehen, hinkt jedoch der Wirklichkeit hinterher.
Mindestens die Weltpolizei ist längst in die Praxis umgesetzt. Wer mag
da noch von Verschwörung reden, wenn es passiert ist? Von der führenden
Rolle des Pentagons erfahren wir im Film jedoch so gut wie nichts. Das mag ein
Erfolg der militärischen Beratung und Hilfe gewesen sein, die Regisseur
Demme, wie uns die Produktion mitteilt, in Anspruch genommen hatte. Um so ratsamer
und hilfreich wird es daher sein, sich vom Essay-Film "Das Netz - Unabomber/LSD/Internet"
wissenschaftlich beraten zu lassen. Der Lutz-Dammbeck-Film wird am 13. Januar
starten. In der Wirklichkeit ist es viel schlimmer, als Denzel Washington glaubt.
Dieser
Text ist zuerst erschienen in: konkret
Zu diesem
Film gibt’s im archiv der
filmzentrale mehrere Kritiken
Der
Manchurian Kandidat
USA
2004 - Originaltitel: The Manchurian Candidate - Regie: Jonathan Demme - Darsteller:
Denzel Washington, Meryl Streep, Liev Schreiber, Jon Voight, Kimberly Elise,
Jeffrey Wright, Bruno Ganz - Prädikat: wertvoll - FSK: ab 12 - Länge:
129 min. - Start: 11.11.2004
zur
startseite
zum
archiv