Der Mann, der vom Himmel fiel
Zu viele verschiedene Milieus schaden einem feinfühligen
Menschen, denn er paßt sich an.
Es war einmal ein Chamäleon. Sein Herr legte es auf eine
bunte Schottendecke, um es warm zu halten.
Das Chamäleon starb an Erschöpfung.
(Jean Cocteau, Le Potomak)
Ja, es geht um einen Besucher von einem anderen Planeten. Es
ist die Geschichte eines Wesens, das auf die Erde fällt, und
doch ist diese Geschichte nur ein dünner Faden, ein
schemenhafter Umriß im Gewebe dessen, worum es eigentlich geht
in diesem Science Fiction, der die Sterne nur von unten zeigt.
Es geht um die Welt eines Individuums, die vom Austrocknen
bedroht ist, um seine Identität, um seine Familie und deren
Rettung. Es geht um Fernsehbilder, mit Hilfe derer er sich
informiert hat über den "Planet des Wassers". Um Geld und es
aufzubringen für den Rückflug an Orte, um die es in diesem
Film geht: die Heimat und das dort lebende Ich. Dies alles
trägt die frisch erschaffene irdische Identität Thomas Jerome
Newton auf den schmalen Schultern des Mannes "der vom Himmel
fiel" und diese baut mit Hilfe technologischer Patente und
einem Anwalt namens Oliver Farnsworth ein Firmenimperium auf.
Dabei verschreibt er sich den ebenfalls TV-erlernten Regeln
und "Qualitäten", die einen derartigen Aufstieg inmitten der
New Yorker Finanzkraken erfordern, inmitten einer Stadt die
gegenüber der grellen Wüste in der Heimat wenig von einem
"Planet des Wassers" und der Hoffnung hat, sondern ihr
überraschend und erschreckend ähnlich sieht. Außerdem geht es um Liebe und um Körper.
Um Erotik und Sex, um Nähe und Distanz: Um den
desillusionierten Professor Nathan Bryce, der in der neuen
Tätigkeit in Newtons Firma (und der Neugier auf den
geheimnisumwitterten Aufsteiger) eine Chance sieht, sein
verkümmertes Dasein als Lehrer und krankhafter Verführer
seiner Studentinnen neuen Aufschwung zu geben. Um die
leidenschaftliche Liebe des Zimmermädchens Mary Lou, die
scheinbar nicht nur der Exotik des Besuchers gilt, und doch
mit Mary Lou daran zerbricht, daß er nicht ist, was er ist.
Aber auch die Lebensläufe dieser drei Personen sind immer noch
ein Bruchteil dessen, was in den Zuschauer strömt, nachdem der
Gast die erste Tasse Wasser getrunken hat...
Nicolas Roegs Geschichte einer außerirdischen Existenz, die
mit einem friedlichen Vorhaben auf die Erde kommt, ist ein
Gebilde unzähliger Schichten, deren oft willkürlich scheinende
Verflechtung einen unüberschaubaren Raum für Interpretationen
läßt. Schreiende Symbolik von religiösen Motiven,
Kapitalismus- Kritik, Appelle an Moral- und Wertüberdenkung
und existentielle Fragen der Identität und ihres Verlustes in
einer technologisierten und maskierten Welt tauchen plötzlich
und klar in Worten, Gegenständen, Gemälden und Stimmungen auf
-und verschwinden wieder im ästhetischen Rausch von Bildern
und Musik. Mit der Auflösung der Identität des Protagonisten
verschwimmt auch die Handlung mehr und mehr zugunsten eines
Flickenteppichs traumhafter und zuweilen grotesker Szenen und
Kulissen.
Von Anfang an steht das knappe, geschäftsmännische Gebaren
des angehenden Moguls in krassem Gegensatz zu der
zerbrechlichen Gestalt und androgynen Schönheit des Besuchers
-eine anrührende und erregende Schönheit übrigens, die den
Film bei aller szenischen Reichhaltigkeit mit ihrer Präsenz
ständig beherrscht. Während dieses unwirkliche, maskenhafte
Antlitz der eindringlichen Mimik zum Trotz bis zum Ende das
Gleiche bleibt, und alle anderen Personen sichtlich, wohl
gerade durch den aufgezwungenen Vergleich erschreckend altern,
geht innerhalb der knabenhaften menschlichen Hülle eine
Wandlung vor.
Seine Entfremdung, die immer wieder von mahnenden Bildern
seiner Herkunft und Mission unterbrochenen Metamorphose, ist
neben anderen Anzeichen wie dem Wechsel von Wassersucht zu
steigendem Alkoholkonsum besonders deutlich in der Veränderung
der beunruhigenden Liebesszenen zu sehen, allesamt von
aufwühlender, hypnotisierender Erotik. Von der
durchsichtig-zarten Intensität der ersten körperlichen
Begegnung Newtons und Mary Lous wandelt sich die Vereinigung
zu hysterischer Lasterhaftigkeit und schriller, brutaler
Dekadenz. Wurde die Figur Newton bis dahin immer wieder neu
geboren, so scheint sie wieder und wieder zu sterben während
späterer Machtspiele zwischen Revolver und Nacktheit. Wie
schon in seinem vorangehenden Werk „Wenn die Gondeln Trauer
tragen“ („Don't look now“, 1973) erreicht auch hier Roegs
Verwirrspiel der Erzählebenen seinen Höhepunkt in der
Darstellung der sexuellen Vereinigung: Szenen aus Lust, Haut
und Gefühl wechseln sich ab mit -scheinbar- davon unabhängigem
Geschehen und metaphorischen Visionen. Scheinbar deshalb, weil
sie sich ergänzen, das Gleiche und mehr sagen in einer anderen
Sprache und hypnotisierend wiederkehren wie eine Litanei, die
nicht verstummt, bis man jedes Wort gehört hat. So werden die
ersten scheuen Berührungen Newton's und Mary Lou's
intensiviert durch Bilder eines Geschenks, das mehr ist als
ein Teleskop und ein Blick zu den Sternen: Es ist ein winziges
Stück Authentizität und Vertrauen, das Mary Lou erhält, und es
gibt nur noch einen anderen Moment, in dem sich die beiden
einige Sekunden so nah sind: Wenn sie ihn berührt, als er das
ist, was er ist. Sehen wir jedoch Körper, die sich in reinem
Verlangen, Wut, Sucht oder sogar Haß begegnen, schreien die
Bilder, verraten und entlarven, mischen Tod und Verlust mit
Illusionen von Begegnung. Vertrauen und Mißtrauen werden
ebenso stetig als Leitmotive angesprochen -und
ausgesprochen!-, wie sich , angsteinflößende Wüstenbilder
abwechselnd mit treibenden Körpern im Wasser scheinbar
selbstbestimmt in die Handlung drängen. Das eine will der
unschuldige Held abschaffen, das andere erschaffen -und weil
er in seiner Unschuld gewarnt ist und sie deswegen nicht mehr
hat, führt er diese hehren Vorsätze ad absurdum, indem er von
sich lange Zeit nichts nach außen trägt, sein loderndes
Mißtrauen in knappes Schweigen hüllt, bis man ihm glaubt, was
er zu sein vorgibt -und nicht mehr. Bezeichnenderweise
erfahren wir von den Menschen, die ihn umgeben, viel, in Form
von inneren Monologen teilen sie sogar ihre Gedanken mit.
Einzig der Fremde bleibt eine unbestimmte, verstreut in
Emotionsfetzen greifbare Gestalt - die einem im nächsten
Moment wieder entgleitet. Beide Menschen, denen er
letztendlich doch vertraut - aufgrund menschlicher Gefühle wie
Liebe und Sympathie - verraten ihn. Und doch wäre es zu
einfach, aufgrund des Scheiterns Kategorien wie Gut und Böse,
Engel versus Mensch zu statuieren. Es liegt nicht in seinem
Sinn, die Welt zu retten, sondern seinen Planeten, und seine
eigene Unbescholtenheit und naive Reinheit stellt er selbst in
Frage, indem er resigniert feststellt: "Ich bin nicht
verbittert. Wenn Sie zu uns gekommen wären, hätten wir sie
wahrscheinlich ähnlich behandelt". Er ist kein Retter und kein
Märtyrer. Seine Unschuld wird ihm nur zum Teil genommen, ein
Stück davon gibt er schon ab, als er sich entschließt, Mensch
zu sein. Mit allen Konsequenzen, die sein Ich mehr und mehr
verschlingen.
Fernseher und ihre Stimmen und Gesichter, Züge, Polizei und
Waffen ziehen sich mit steigender Häufigkeit durch den
fortschreitenden Film und sind Fäden des Netzes, das sich um
seinen fragile Protagonisten zieht. Bis es so fest und dicht
ist, daß eine neue Haut daraus wird. Lange Zeit spielt sich in
dieser Haut noch ein Kampf ab, ein Kampf gegen den Lärm der
unzähligen Persönlichkeiten, die nicht nur auf den immer
präsenten Fernsehschirmen durcheinander reden, sondern auch in
ihm - die Stimmen derer, aus denen er sich neu erschaffen hat.
Doch wie er selbst feststellt, "zeigt das Fernsehen nie das,
was wirklich ist. "Was ist mit mir passiert?" fragt er
verzweifelt. Die Antwort geben die flimmernden Monitore, deren
verschiedene Programme und Stimmen zu unerträglicher
Lautstärke anschwellen. "Geht doch alle raus aus mir. Zurück,
woher ihr gekommen seid." Und in dem Gefängnis, welches ein
ehrgeiziges Forscher- und Ärzteteam um ihn errichtet, muß Mary
Lou den Weg durch unzählige Zimmer finden, die jedes für sich
eine völlig unterschiedliche Welt und Zeit zu sein scheinen,
um zu ihrem "gefallenen Engel" zu gelangen. Verbirgt sich im
innersten Kern doch etwas reines, unkenntlich gemacht durch
irdische Hüllen?
Am Ende der ersten Begegnung der Geschäftspartner in spe
antwortet der Anwalt auf das souveräne, mit kalkulierender
Erfahrung vorgebrachte Angebot, er bekäme seine neue
Geräuschanlage selbstverständlich zum Herstellungspreis, wenn
er mit Newton zusammenarbeite, mit der Bemerkung "Vielleicht
sind sie doch gar nicht so anders, Mr. Newton". Später sagt
eben dieser zu seinem Freund Professor Bryce: "Ich bin kein
Wissenschaftler. Ich weiß nur, daß alle Dinge in der Ewigkeit
beginnen und auch dort aufhören". Deshalb kann er auch die
Geliebte nicht hassen, wie sie es erwartet, nachdem sie sein
maskiertes Ich entdeckt hat. Doch als er nur noch ein Objekt
ist, ein Versuchstier für aufklärungswütige Wissenschaftler
und sich selbst, triumphiert er mit einem hybriden und
zugleich wahnsinnigen, resignierten "Ich kann jetzt alles":
Töten zum Beispiel -oder Mary Lou nach den Worten "Ich liebe
dich nicht" einen (bedeutungslosen?) Ring (seiner Frau?)
schenken...
Er paßt nicht.
"Was hat das zu bedeuten" seufzt Marie Lou während einer
Taxifahrt, und das fragt sich auch der Zuschauer nicht selten.
Roeg zwingt ihn dazu, und daß er das noch ziemlich lange tut
und immer mehr Antworten findet, darin liegt eine der größten
Stärken dieses Films. Eins ist jedoch sicher: Der Fall des
Mannes, der vom Himmel fiel, war mit dem Aufprall auf der Erde
nicht zu Ende, sondern fängt in diesem Augenblick erst an.
Barbara Weitzel
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Diese Kritik ist zuerst erschienen bei:
filmrezension.de - online-magazin für filmkritik
Der Mann, der vom Himmel fiel (The Man Who Fell to Earth)
Regie: Nicolas Roeg; Buch: Paul Meyersberg (nach einem Roman von Walter
Tevis); Kamera: Anthony Richmond; Musik: John Phillips; Produktion: Michael
Deeley, Barry Spikings; Darsteller: David Bowie (Thomas Jerome Newton), Rip
Torn (Nathan Bryce), Candy Clark (Mary Lou), Buck Henry (Oliver Farnsworth),
Bernie Casey (Peters), Jackson D. Kane (Professor Canutti), Rick Riccardo
(Trevor) u.a.
GB 1975, 133 Minuten, FSK: ab 16.