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Der Mann ohne Vergangenheit
Kaurismäki
hat einmal definiert, was für ihn Kino bedeutet. „Alles, was man benötigt“,
so der Regisseur, „sind ein Mann und eine Frau, die gegen die Wand stehen und
Licht und Schatten. Dann nimmt man die Frau aus dem Bild, es bleibt der Mann,
eine Wand, Licht und Schatten. Dann entfernt man den Mann, es bleiben Wand,
Licht und Schatten. Man nimmt die Wand weg, es bleiben Licht und Schatten. Dann
entfernt man das Licht. Es bleibt der Schatten. Wenn man den auch noch entfernt,
ist das Leben weg. That's
the end, my friend.“ Dieser
Reduktionismus zeichnet auch Kaurismäkis neuesten Film ,Der Mann ohne Vergangenheit‘
aus. Der Einsatz formaler Mittel (Kamera, Montage, Schnitt) ist sehr unauffällig
(einzige Ausnahme: die betont satte, idealisierende Farbgebung). In einem solchen
Fall muss die Handlungsebene an Bedeutung gewinnen. Doch was Kaurismäki
dem Zuschauer hier zumutet, scheint lediglich unbedeutend und gewöhnlich
zu sein.
Die
Geschichte klingt denn auch wie eine Hollywood-Konserve einer Hollywood-Konserve.
Ein Mann (Markku Peltola) wird zusammengeschlagen und verliert sein Gedächtnis.
Ohne Namen und Identität gerät er an den Rand der Gesellschaft und
muss sein Leben von neuem beginnen. Er richtet sich in einer Containersiedlung
ein und verliebt sich in eine Frau von der Heilsarmee (Kati Outinen). Doch die
junge Liebe gerät in Gefahr. Die bürgerliche Vergangenheit des namenlosen
Helden holt ihn ein - er erfährt, das er verheiratet ist. Zweifellos ein
Stoff für ein Drama, das man so oder so ähnlich schon allzu oft gesehen
hat. Doch damit nicht genug. Kaurismäki scheut sich auch in der Binnenhandlung
nicht, auf amerikanische Kino-Schemata zurückzugreifen. Der von den Ärtzten
bereits für tot erklärte Held erwacht als Mumie zu neuem Leben. Vom
Kopf bis zu den Füßen eingewickelt, richtet er sich langsam auf,
um so als Untoter ins Leben zurückzufinden.
Zum
mystery-suspense gesellt sich selbstverständlich auch crime. Der namenlose
Held wird Zeuge eines Banküberfalls. Von dem Bankräuber wird er dabei
in den Tresorraum gesperrt und gerät auf der Polizeiwache trotz seiner
offensichtlichen Unschuld hinter Gitter. Später versucht er sich, durch
eine reparierte Juke-Box inspiriert, als Rock ’n’ Roll-Manager, der den Musikstil
der Heilsarmee-Band (Marko Haavisto & Poutahaukat) kräftig aufpoliert.
Doch der Stoff ist das eine, die Behandlungsart das andere. Die aufgezählten
Topoi werden von Kaurismäki allesamt nur zitiert, um sie im weiteren Verlauf
ironisch zu destruieren. Der Untote ist alles andere als ein grauenerregender
und gefährlicher Rächer. Mit stoischer Geduld und einer demutsvollen
Gelassenheit wird er im weiteren Verlauf sein Schicksal akzeptieren (bezeichnenderweise
ist sein erstes Wort ein „Danke“). Wenn er später Menschen ,heimsucht ‘,
dann, um ihnen ausgebliebene Lohnzahlungen auszuhändigen. Er ist also vielmehr
ein Engel, der vom Himmel fiel, als ein Rächer aus der Unterwelt.
Auch
sonst sind es eher die sanften Affekte, die Kaurismäki darstellt. Der Verbrecher
(der ein Verbrecher aus Ehrgefühl ist, wie sich später herausstellt,
man denke hierbei an Brechts Bonmot: „Was ist der Einbruch in eine Bank gegen
die Gründung einer Bank?“) entschuldigt sich dafür, den Helden in
den Tresorraum sperren zu müssen: „Nun muss ich die Tür aber zumachen,
damit ich einen Vorsprung habe, tut mir leid.“ Auch die Gefängnisepisode
auf der Polizeiwache endet keineswegs im Pathos einer Gerichtsverhandlung. Ein
Anwalt der Heilsarmee verschafft dem namenlosen Helden schnell zu seinem Recht.
Hierbei wird auf pointierte Weise das agonal geführte Gespräch zu
seinen Anfängen zurückgeführt, es fungiert als Streitgespräch
einer Komödie. Der leicht angetrunkene, vor sich hinnuschelnde Anwalt düpiert
den Polizeibeamten, der unentwegt im Gesetzbuch blättert und gibt diesen
der Lächerlichkeit preis.
Wer
schließlich befürchtet, ,Der Mann ohne Vergangenheit‘ werde zu einer
weiteren „jeder kann es nach ganz oben schaffen, wenn er nur will“-Erfolgsgeschichte
einer Band à la Sister
Act,
der kennt Kaurismäki schlecht. Wenn der Namenlose der Band gegen Schluss
zu einem Gig verhilft, dann findet dieser in der Containersiedlung für
eine Hand voll Obdachloser statt. Die Band bleibt also das, was sie ist, eine
Heilsarmee-Band. Deren Mitglieder haben keinerlei Ambitionen die Charts zu rocken
und den MTV-Music-Award abzuräumen. Sie bleiben ihrer Bestimmung treu und
vollenden darin ihre Möglichkeiten. Der Aufstieg der Musiker ist deshalb
nur qualitativ, nicht aber quantitativ zu bestimmen. Man kann in der Welt Kaurismäkis
eben nur innerlich aufsteigen. Die Ausgestoßenen in ,Der Mann ohne Vergangenheit‘
haben allesamt diese Größe. Sie alle besitzen die seltene Eigenschaft
der Würde, trotz oder gerade, weil ihnen die Gesellschaft diese abspricht.
Sie alle sind Figuren der Eigentlichkeit, die mit sich und ihrer Umwelt im Reinen
sind.
Kaurismäkis
verhaltener Beitrag zum postmodernen europäischen Kino ist also, dass die
Topoi des Mainstream-Kinos, gegen die Erwartungshaltung ironisch ausgespielt
und destruiert werden. Dieser Vorgang wird im Film selber reflektiert. Nieminen,
der Containernachbar und Freund des Helden, versucht diesem von hinten mit dem
Schwung eines Batters eine Latte auf den Hinterkopf zu schlagen. Eine Replik
auf den Beginn des Films, wo der Held tatsächlich mit einem Baseballschläger
niedergestreckt wird. Der Schlag misslingt aber diesmal, und Nieminen kommentiert
lakonisch: „Daneben. Ich wollte bloß etwas versuchen. Weil ich das in
einem Film gesehen habe, wie sich einer nach noch so einem Schlag wieder erinnern
konnte.“
Nun
ist diese spielerische Komik aber nicht das einzige Element, das den Film so
außergewöhnlich und sehenswert macht. Das Erstaunlichste an diesem
Film ist die Ernsthaftigkeit der religiösen Bezüge. Gerade, dass der
Film zum Teil auf eine groteske Komik setzt (so biegt sich der Held, noch als
Mumie, seine deformierte Nase mit einem Ruck zurecht) um mögliche Sinnebenen
zu zerstören, ließe vermuten, dass man die Religiosität der
Heilsarmisten als eine biedere und nutzlose Form von Rückständigkeit
bloßstellt. Aber auch hier verweigert sich der Film populären Meinungen
und Erwartungen. Hier wird ein traditioneller Sinn hergestellt, und diesmal
ist es dieser intakte Bezug, der den Kinobesucher verwundert.
Die
Arbeiter der Heilsarmee sind alle grundgütige, sympathische Menschen, die
gegebenenfalls auch Neuem gegenüber aufgeschlossen sind. So ist die Leiterin
der Heilsarmee (gespielt von der finnischen Schlagersängerin Annikki Tähti)
nicht nur bereit, den Imagewechsel der Band zu genehmigen, sondern auch kurzentschlossen
als Sängerin aufzutreten. Es ist aber nicht nur die Welt der Heilsarmee
(wo in der Umkleidekabine ein Bildnis Christi zu finden ist), die berechtigen
würde, den Film als „christlich“
zu bezeichnen.
Die
Hauptperson des Films wird uns als ein Wiedergeborener präsentiert. Das
zeigt bereits der Anfang des Films. Er wirft das Leichentuch ab, und kommt ins
Leben zurück. Der Fortgang des Films ermöglicht es, diese Wiedergeburt
in ihrer christlichen Symbolik zu verstehen. Wenn der Namenlose seiner Irma
das erste Mal begegnet, sie schöpft ihm die Armensuppe, untermalt dies
der Chor der Heilsarmee mit einem evangelistischen Lied. Wer seine Sünden
wegwirft, dem wird Jesus zum treuen Freund, heißt es darin. Doch welche
Sünden sollte ein „Mann ohne Vergangenheit“ bekennen? Er ist tatsächlich
sündlos und also ein Wiedergeborener. Seine Rolle als Wiederkehrer, der
hier auf Erden eine Aufgabe zu erfüllen hat, wird von ihm selber zur Sprache
gebracht. Beim ersten Rendezvous mit Irma heißt es in einem geheimnisvoll-hintergründigem
Dialog:
„Ich
bin gestern auf dem Mond gewesen.“
„Ach
ja, und wie fanden Sie es dort?“
„Ganz
ruhig war es da.“
„Sind
sie jemandem begegnet?“
„Eben
nicht wirklich, denn dort war doch Sonntag.“
„Und
deshalb kamen sie zurück?“
„Deshalb-
Ja, und noch aus anderen Gründen.“
Auch
hier ist es der kaurismäkische Humor, der den Film von allem moralinbitteren
Ernst enthebt. Hier kommt kein Engel auf Erden, der sofort anfängt zu predigen.
Belanglos ist deshalb keines dieser Details, die in eine metaphysische Richtung
weisen. So wird dem Auferstandenem von dem skurrilen Hafenwärter und illegalem
Containervermieter Anttila (Sakari Kuosmanen) angedroht, dass er ihn gegebenenfalls
dreimal verleugnen würde „wie damals Petrus den Jesus am Kohlenfeuer“.
Es
bleibt aber nicht bei metaphorischen und sprachlichen Anspielungen. Bis in die
Handlung hinein wirkt sich die christliche Ausrichtung der Personen aus. Sobald
Irma erfährt, dass ihr Geliebter verheiratet ist, ist sie sofort bereit
ihre Liebe aufzugeben, denn „die Ehe ist etwas Heiliges“. Und deshalb fährt
der Held, der nun eine Identität besitzt, obwohl ihm diese vollkommen fremd
ist, zu seiner Frau zurück. Hier zeigt sich deutlich, dass er ein neuer
Mensch geworden ist. Seine Frau, die sich sehr schnell als seine Ex-Frau herausstellt,
schildert ihm, warum es zur Scheidung gekommen ist. Er sei ein maßloser
Spieler gewesen (ein komischer Querverweis zu seinen Rock ‘n‘ Roll-Manager Absichten
ist, dass er dabei seine LP-Sammlung verloren hat) und die Ehe sei so immer
mehr zur Hölle geworden. Während seine Frau dies erzählt, sitzt
er mit seiner stoischen Gelassenheit wie ein Fremdkörper in seiner ehemaligen
Wohnung. Steht diese bürgerliche Wohnung in einem scharfen Kontrast zu
seinem Container, so bildet er gleichfalls den lebenden Kontrast zu seinem alten
Wesen: „Das tut mir alles sehr leid“, sagt er. Sein Besuch ist somit zu einer
Versöhnung mit der Vergangenheit geworden. Dem neuen Mann an der Seite
seiner Frau, gibt er zum Abschied den Rat: „Seid einfach gut zueinander, und
liebt euch so wie ihr euch selbst liebt.“
So
klingt der Film in einer Versöhnungsutopie aus. Jaakko Antero Lujanen (wie
der Held nun heißt) macht sich auf den Weg zu seiner Irma. Der Bedeutungsraum
öffnet sich hier ins globale.
Er isst im Speisewagen Sushi, vor ihm liegt eine Havanna (ein Geschenk seines
Anwalts) und untermalt wird diese Szene von den karibischen Klängen des
,Hawaii No Yoru‘ der Crazy Ken Band. Kaum in seiner neuen Heimat, dem Containerviertel
Helsinkis, angekommen, wird er auch schon zum Heilsbringer der Gesellschaft.
Die drei Vandalen, die ihn zusammengeschlagen hatten, werden vom Kollektiv der
Ausgestoßenen unter seiner Führung gestellt. So kann er am Schluss
mit seiner Irma in eine bessere Zukunft aufbrechen, während Annikki Tähti
ihren sentimentalen Schlager ‚Muistatko Monrepos'n‘ zum Besten gibt.
Der
,Mann ohne Vergangenheit‘ ist also ein Film, der durchaus Hoffnung macht, wenn
diese auch zuweilen in Melancholie zerfließt. Das zeigen auch die Metaphern
des Films. Da ist der löchrige Eimer (man erinnert sich an die Strafe der
Danaïden im Tartaros), mit dem man dennoch Wasser holen und saubermachen
kann. Da ist auch die magere Kartoffelernte des Helden. Es sind lediglich zwei
Kartoffeln, die zum Essen verbleiben. Doch der Film zeigt, dass selbst das eine
Form des Luxus ist, den man bereit ist mit anderen zu teilen. Schließlich
ist da auch die weggeworfene Juke-Box. Sie hat nicht mehr funktioniert, weiß
der Elektriker, weil jemand etwas darin vergessen hat, und er hält das
überflüssige Teil, herausoperiert wie einen Blinddarm, in die Höhe.
Nun, da dieses überflüssige Zuviel beseitigt ist, hört man wieder
die alten Lieder, die an bessere Zeiten erinnern. An Zeiten, wo Filme wie dieser
nicht so selten waren.
Dieser
Text ist nur erschienen in der filmzentrale
Zu diesem
Film gibt es im archiv der
filmzentrale mehrere Texte
Der
Mann ohne Vergangenheit
(Mies
vailla menneisyyttä, 2002)
Regie:
Aki Kaurismäki
Premiere:
01. März 2002 (Finnland)
Drehbuch:
Aki Kaurismäki
Dt.
Start: 14. November 2002
FSK:
ab 12
Land:
Deutschland, Frankreich
Länge:
97 min
Darsteller:
Markku
Peltola (M), Kati Outinen (Irma), Annikki Tähti (Managerin des Wohlfahrtsladens),
Juhani Niemelä (Nieminen), Kaija Pakarinen (Kaisa), Sakari Kuosmanen (Anttila),
Outi Mäenpää (Bankangestellter), Pertti Sveholm (Polizeiinspektor),
Aino Seppo (M’s Ehefrau)
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