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Mann unter Feuer
Mit einem Dank an Mexico City,
einem “ganz besonderen Ort”, endet Tony Scotts “Man on Fire”. Die Besonderheit
dieses Ortes macht Scott bereits in der Eröffnungssequenz deutlich: “Alle
sechzig Sekunden wird in Lateinamerika ein Mensch entführt. 70 Prozent
enden mit dem Tod des Entführungsopfers.” Eine schnelle Montage liefert
die passende Begleitmusik: Schmerz, abgeschnittene Ohren, Tod. Ein wirklich
ganz besonderer Ort. Für einen Filmemacher wie Scott muss der Lokalkolorit
Mexico Citys ein unwiderstehliches Flair besitzen. Interventionsbereit lauert
die Kamera in bester “Black Hawk Down”-Manier über einem Sumpf aus Korruption und Verbrechen.
Die Bilder sind körnig und farbstichig wie alte Urlaubsfilme (ein “Mexiko-Effekt”,
den Soderbergh in “Traffic” reichlich überstrapaziert hat). Eine Intervention aber
ist gar nicht mehr nötig; CIA & Co sind längst vor Ort. Dieses
besondere Mexico City, das Scott meint (und wie einen einzigen Krisenherd aussehen
lässt), lockt abgehalfterte Special Service-Agenten an wie die Schmeißfliegen.
Sie sind die richtige Gesellschaft für korrupte Cops, schmierige White
Collar-Gangster, skrupellose Kartellchefs und schwerbewaffnete Cholos. “Man
on Fire” ist keine Werbung für Mexico City als nächstem Urlaubsziel.
Vielmehr schwört Scotts Bildrhetorik Erinnerungen an die schlimmsten Auswüchse
US-amerikanischer Mittelamerika-Politik herauf.
Denzel Washington spielt John
Creasy, einen ehemaligen Marine, der im Auftrag des amerikanischen Geheimdienstes
manche Schweinerei zu verantworten hatte. “Hast Du jemals bei dem, was Du getan
hast, die Hand Gottes gespürt?” fragt er am Anfang einen ehemaligen Kombattanten.
Creasy ist des Tötens müde geworden; seitdem hat er immer einen Flachmann
im Gepäck. In Mexico City angekommen kontaktiert er einen alten Weggefährten
(Christopher Walken), denn offensichtlich fühlt sich die CIA-Spezies nur
unter ihresgleichen heimisch. Der besorgt Creasy einen Job als Bodyguard für
die Tochter (Dakota Fanning) eines mexikanischen Millionärs. Dessen Frau
ist - natürlich - Amerikanerin und hegt auch sonst keine allzu großen
Sympathien für mexikanische Gepflogenheiten; womit sie ganz offensichtlich,
neben Creasy, dem anderen Amerikaner in “Man on Fire”, Scotts integerste Figur
darstellt. Sie ist es auch, die Washington später ein aufmunterndes ”Kill
them all” zuzischt, bevor er sich zu einem beispiellosen Vernichtungsfeldzug
aufmacht.
Doch vorher erleben wir Tony Scott
noch in einem ganz anderen, bisher unbekannten Modus. Pita versucht ihren beinah
katatonischen Leibwächter langsam zu erweichen. Vorbehalte, die man eventuell
gegenüber neunmalkluge
Kinderschauspieler hegen könnte, sind
unbegründet. Scott beweist in “Man on Fire” zunächst ein schönes
Gespür für narrativen “Firlefanz” wie Figurenentwicklung und Emphase.
Das Verhältnis zwischen Pita und Creasy ist weit davon entfernt, glaubwürdig
zu sein, dazu ist schon die gutwillige Kombination von Washington und einem
lilienweißen Darling wie Fanning ein allzu offensichtlicher dramaturgischer
Effekt (Einmal fragt Fanning Washington, ob er glaube, dass er es als Schwarzer
in Mexiko einfacher habe). Aber ihre gemeinsamen Szenen besitzen eine innere
Ruhe, an der es Scotts Stil seit jeher gemangelt hat. Ungewöhnlich viel
Zeit nimmt er sich für diese Exposition, fast eineinhalb Stunden, bis “Man
on Fire” schließlich explodiert.
Das Mädchen wird von einem
mexikanischen Kartell entführt und Creasy macht, was er am Besten kann:
“Vergebung gibt es nur zwischen ihnen und Gott. Mein Job ist lediglich, das
Treffen zu arrangieren.” Ab diesem Punkt wird offensichtlich, welchem Zweck
Scotts sorgsame Einführung diente: als zynische Rechtfertigung für
das Blutbad, das Creasy in der verbleibenden Stunde des Film anrichten darf.
Was folgt, ist ein Folterspektakel, das an Skrupelosigkeit seinesgleichen sucht.
Dabei bleibt egal, ob Creasy seine Antworten erhält oder nicht: am Ende
muss der Befragte immer sterben. Nicht nur ästhetisch, auch in seiner politischen
Haltung ähnelt Scotts “Man on Fire” auf unangenehme Weise “Black Hawk Down”,
dem Film seines Bruders Ridley.
Creasy hat nichts mehr gemein
mit Charlons Bronsons spießigem Saubermann aus “Ein Mann sieht Rot”. Seine
Taten zeugen von einer politischen Agenda der Unfehlbarkeit. “Man on Fire” verfügt
über ein Rechtsverständnis, das an Barbarei grenzt und seine reale
Entsprechung in den Bildern von Abu Ghraib findet. Die Village Voice hat die
Figur Creasy in ihrer Kritik nicht zu unrecht als “latest in a recent line of
Bushian vigilantes” bezeichnet. Walkens Charakter beschreibt dieses Selbstverständnis
im Film sehr treffend: “Creasy schafft mehr Gerechtigkeit an einem Wochenende
als eure Gerichte und Tribunale in zehn Jahren… Creasys Kunst ist der Tod. Und
er ist dabei, sein Meisterwerk zu zeichnen.”
Der Film berührt einen wunden
Punkt. Er ist zweifellos ein Kind seiner (Entstehungs-)Zeit. Folter als eine
“Politik der letzten Mittel” wird in “Man on Fire” noch in einem gänzlich
moralfreien Raum praktiziert. Wohl darin sieht Scott auch die Besonderheit Mexikos.
Brian Helgeland, der für das Drehuch verantwortlich ist, hat erst kürzlich
mit seinem “Mystic River”-Skript das Thema Vergeltung so viel komplexer und peinigender
behandelt. Aber Selbstzweifel sind Scotts Film fremd, und die flashige MTV-Ästhetik
seiner Bilder unterstreicht nur die Exzesshaftigkeit von “Man on Fire”. Er interessiert
sich für nichts außer seine
Effekte. Gleichzeitig ist kaum ein Film der
letzten Jahre so schnell von der Wirklichkeit eingeholt worden. Nach den Enthüllungen
um Abu Ghraib bleibt “Man on Fire” nichts weiter als ein trauriges Stück
Zeitgeschichte. Diesmal noch mit Happy End.
Andreas Busche
Dieser Text ist
zuerst erschienen in epd Film
Mann unter Feuer
USA 2004 - Originaltitel: Man on Fire - Regie: Tony Scott - Darsteller:
Denzel Washington, Dakota Fanning, Christopher Walken, Giancarlo Giannini, Radha
Mitchell, Marc Anthony, Mickey Rourke - Prädikat: besonders wertvoll -
FSK: ab 16 - Länge: 146 min. - Start: 30.9.2004
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