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Mansfield
Park
Schicksal mit
Aussicht
Patricia Rozema befragt Jane Austens Welt in "Mansfield
Park"
Etwas an der Szenerie erscheint seltsam unwirklich,
nicht von dieser Welt und dennoch gegenwärtig: Ein Schiff liegt an der
diesigen südenglischen Küste, und ein düsterer Gesang tönt
von dort die Klippen herauf zu einer Kutsche. Was das sei, fragt das kleine
Mädchen Fanny Price den Kutscher. Black cargo, schwarze Fracht, heißt
die knappe Antwort.
Diese Szene hängt wie ein Damoklesschwert über
Patricia Rozemas Jane-Austen-Verfilmung Mansfield
Park. Sie begleitet die Geschichte
von Fanny Price, die als Zehnjährige von ihrer ärmlichen Familie aus
Portsmouth in eine andere Welt abgeordnet wird: Mansfield Park, das mondäne
Herrenhaus, in dem Fannys Tante Lady Bertram (Lindsay Duncan) und der Patriarch
Sir Thomas (Harold Pinter) mit ihren vier Kindern residieren. Hier wird Fanny
als geduldetes Stiefkind aufwachsen und bald gegen familiäre und gesellschaftliche
Zwänge für ihren Platz und ihre Liebe kämpfen.
Junge Frauen, die sich gegen die patriarchalen Fesseln
der Regency-Ära des frühen 19. Jahrhunderts zur Wehr setzen - genau
das ist als Leitthema längst auch im Kino mit dem Namen Jane Austen verbunden.
Vor allem die so beliebten wie beschaulichen Verfilmungen Sinn
und Sinnlichkeit (1995) und Emma
(1996) haben Jane Austen zu einem Kinobegriff und Versprechen gemacht. So sei
es: Auch in Mansfield Park geht es von Beginn an um den Versuch einer jungen
Frau, ihren eigenen Platz in einer männlich dominierten Welt zu finden.
Fanny Price (Frances O'Connor) sucht jedoch nicht nur - sie weiß bereits,
was sie will: schreiben, mit ihrem Cousin Edmund (Jonny Lee Miller) in Büchern
versinken und lieber Wortgefechte führen anstatt brav zu nicken. Vor allem
aber glaubt sie an die große Liebe und weigert sich, den Lebemann Henry
Crawford (Alessandro Nivola) zu heiraten. "Alles, was er will, ist geliebt
zu werden - nicht zu lieben!"
Insoweit also wäre das "Jane-Austen-Versprechen"
eingelöst. Was Patricia Rozemas Adaption jedoch von den populären
Austen-Verfilmungen unterscheidet, ist die ständige Präsenz einer
unterschwelligen Bedrohung, die eben nicht nur auf das persönliche Schicksal
der Heldin begrenzt ist. Die Ahnung von Sklaverei, mit der der Film beginnt,
wird zusehends stärker, bis sie sich schließlich zu einem klaren
Bild formt: Der Reichtum der Bertrams gründet sich auf Sklavenhaltung in
den englischen Kolonien. Sklaverei und Rassismus werden damit automatisch als
eine Grundlage der Regency-Ära sichtbar und verändern so das bekannt
pittoreske Bild dieser Epoche. Es wird getrübt und dadurch zugleich klarer.
Im selben Maße nähert sich Mansfield Park
den Klassenunterschieden - den Gegensätzen zwischen Portsmouth und Mansfield
Park. Als Problem bleiben sie selbst dort präsent, wo es allein um Fannys
Sehnsucht nach Liebe und Ehrlichkeit zu gehen scheint. Klassengesellschaft,
Unterdrückung und Rassismus sind somit keine direkten Themen, bilden nicht
den Mittelpunkt, sondern fließen eher wie ein permanenter Subtext durch
diesen Film. Sie bleiben die Bedrohung und ebenso die Grundlage der Welt, von
der Mansfield Park erzählt.
Diese Form der Subtexte könnte man auch literarisch
nennen. Wie Fußnoten durchlaufen sie den Film und sind dadurch Teil und
Ausdruck des besonderen Verhältnisses, das Film und Literatur in Mansfield Park
eingehen. Schrift und Bild bleiben hier keine starren Oppositionen: Wenn Fanny
Price Briefe an ihre Schwester schreibt, dann ganz ohne Stift und Papier. Sie
spricht ihre Zeilen vielmehr direkt in die Kamera - der geschriebene Text entsteht
allein durch Bilder und Töne, die an uns adressiert sind. Mansfield
Park ist darum nicht nur ein Weg,
anders, bewusster mit Jane Austens Welt umzugehen und dabei Autobiografisches
der Autorin in die Filmerzählung einzubinden. Gleichzeitig unternimmt hier
eine Literaturverfilmung den Versuch, Text und Film einander neu begegnen zu
lassen.
Jan Distelmeyer
Dieser Text ist zuerst erschienen
in: „Die Zeit“
[
GB
1999
Länge:
107 Minuten
Regie:
Patricia Rozema
Drehbuch:
Patricia Rozema
Produktion:
David Aukin, Sarah Curtis, Colin Leventhal, Trea Leventhal, David M. Thompson,
Bob Weinstein, Harvey Weinstein
Musik:
Lesley Barber
Kamera:
Michael Coulter
Schnitt:
Martin Walsh
Besetzung:
Frances
O'Connor: Fanny Price
Jonny
Lee Miller: Edmund Bertram
Victoria
Hamilton: Maria Bertram
Hannah
Taylor-Gordon: Junge Fanny
Amelia
Warner: Fanny als Teenager
Talya
Gordon: Junge Susan
Lindsay
Duncan: Mrs. Price / Lady Bertram
Bruce
Byron: Fiaker
James
Purefoy: Tom Bertram
Sheila
Gish: Mrs. Norris
Harold
Pinter: Sir Thomas Bertram
Elizabeth
Eaton: Junge Maria
Elizabeth
Earl: Junge Julia
Philip
Sarson: Junger Edmond
Hugh
Bonneville: Mr. Rushworth
Justine
Waddell: Julia Bertram
Embeth
Davidtz: Mary Crawford
Alessandro
Nivola: Henry Crawford
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