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Marie
Antoinette
"Marie Antoinette" ist,
auf den ersten Blick, gelungener Pop und hat also große Momente. In der
Darstellung der Party und der Stimmung danach, am Morgen im Garten bei Sonnenaufgang.
In der Rückkehr per Kutsche vom Ball in Paris. ("Fools Rush In"
und Marie Antoinettes Hand und Gesicht hinter Glas.) "Marie Antoinette"
ist Pop und also affirmativ und als Pop gibt der Film sich aus als der Post-Punk-Traum
der Achtziger Jahre, dass mit der Geste der Affirmation etwas wie individuelle
Freiheit zu ertrotzen wäre, ein Leben jenseits des Protokolls von Versailles
und der Frontlinien kalter Krieger.
"Marie Antoinette" ist
damit zu verstehen als Kostümfilm-Verfremdungseffekt eines Retrogefühls.
Keineswegs ist es so, dass die Musik sich zu dem, was die Bilder zeigen, anachronistisch
verhält; umgekehrt wird ein Schuh draus, vielmehr eine Schuhkollektion,
und zwar - natürlich - von Manohlo Blahnik. (Die Törtchen sind Kreationen
von Ladurée.) Und erst, wenn man die Achtziger Jahre des 18. und des
20. Jahrhunderts - wie der Film zu tun einen freilich nötigt - übereinanderlegt,
sieht man das Problem mit der Ausblendung des Politischen. Für Marie Antoinette
als historisches Persönchen ohne Schimmer von Tuten und Blasen der Außenwelt
mag diese rekonstruierte Unschuld als radikal subjektive POV-Einstellung durchgehen.
(Oder es ist einem einfach ein bisschen egal.) Als Partygirl des Post-Punk
der Achtziger Jahre aber wird sie zu einer reaktionären Konstruktion. Dann
wird etwas faul an dieser Faszination eines diminutiven Lebens im großen
Stil, mit Protokoll und Champagner, Levée und Party, mit Mops und Sex,
Pariser Oper und Air und Aphex Twin und "Fools Rush In" im Remix von
Kevin Shields. Denn der Pop der Achtziger Jahre war zutiefst politisch noch
und gerade da, wo er sich - post Punk - unpolitisch gab: als Reaktion auf und
Fluchtbewegung vor rettungslos verrottete(r) Politik.
Ein in seiner Naivität raffinierter
Schachzug: Sofia Coppola verweigert die politische Perspektive auf den Pop,
indem sie ausweicht, und zwar ausgerechnet ins ancien régime. Sie erträumt
sich in Marie Antoinette eine vorrevolutionäre Unschuld und findet und
hat die Mittel eines souveränen filmischen Impressionismus, dies glaubhaft
zu machen als Lebensgefühl. Wie alle Nostalgie aber ist das Fälschung,
die sich als Fälschung - nämlich als Traum einer Unschuld, die nie
war - nicht mehr ausweist. So wie Sofia Coppola mit Pop verfährt, wird
die Affirmation von der Widerstandsgeste zur bloßen Affirmation des Bestehenden
und verliert so noch den Rest einer Utopie vom richtigen Leben im falschen.
Diese Utopie war historisch situiert und indem Coppola das irreduzibel Politische
diese Situierung mit Fleiß ausstreicht, schlägt der Pop der Achtziger
Jahre bei ihr um in falsche Unschuld. Es ist kein Zufall, dass Sofia Coppola,
die ein feines Sensorium hat fürs Angesagte, ausgerechnet die Reimagination
der Marie Antoinette eingefallen ist für ihre historische Achtziger-Jahre-Parallelaktion.
Das Verkehrte daran ist restlos stimmig und reine, ins Verlogene verliebte Gegenwart.
Ekkehard Knörer
Dieser Text ist zuerst erschienen
in:
Marie
Antoinette
USA 2006 - Regie: Sofia Coppola - Darsteller: Kirsten Dunst, Jason Schwartzman, Marianne Faithfull, Rip Torn, Judy Davis, Molly Shannon, Steve Coogan, Asia Argento, Aurore Clement - FSK: ohne Altersbeschränkung - Länge: 118 min. - Start: 2.11.2006
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