Mars Attacks!
Es gibt Zeiten im Leben eines Cineasten, in denen man an seiner
Berufung zu zweifeln beginnt. Man schaut sich brav alle neuen Filme
an, aber nichts vermag noch zu begeistern. Alles scheint schon mal
überzeugender dagewesen, alles wirkt leer dort, wo es wirklich zählt. Nur Filmmuseum und
Werkstattkino halten einen dann moralisch über Wasser, und man
beginnt sich zu fragen, ob alle großartigen Filme schon gemacht
sind, oder ob man selbst nur schon zu alt und abgestumpft ist, um
sich jemals noch für etwas so zu begeistern, wie man es als Kind
bei fast jedem Film konnte.
Und dann kommt MARS ATTACKS!, und das Leben als Cineast hat
wieder einen Sinn.
Der Titel ist Programm, und mehr braucht man auch nicht an
Inhaltsangabe. In Tim Burtons neuester Großproduktion (nach dem
kleinen, aber nicht minder wunderbaren ED WOOD) fallen die
Marsianer über eine Welt her, die aussieht, als hätten bereits die
'50er Jahre eine erfolgreiche Invasion gestartet, die aber
offensichtlich unserer heutigen gleicht, da sie von macht- und
geldgierigen, inkompetenten Idioten beherrscht wird.
MARS ATTACKS! hat alles, was ein Bier ...äh, Film braucht:
SPASS: In reichlichen Mengen und in jeder Gewichts- und
Güteklasse. Dazu Scherz, Satire, Ironie und tiefere Bedeutung
(sorry, Ch. D. Grabbe), und was sonst noch einen Kinobesuch
vergnüglich macht. Es ist lange her, dass ich mich bei einem Film
schlicht und einfach so königlich amüsiert habe.
STARS: Jack Nicholson, Jack Nicholson (nein, ich habe
ausnahmsweise nicht zuviel getrunken; der gute Jack hat eine
Doppelrolle), Glenn Close, Annette Bening, Pierce Brosnan, Danny
DeVito, Martin Short, Sarah Jessica Parker, Michael J. Fox, Rod
Steiger, Lukas Haas, Natalie Portman, Jim Brown, Pam Grier, Lisa
Marie, Barbet Schroeder, Tom Jones (ja, DER Tom Jones - als Tom
Jones)... noch Fragen (außer: wo ist Kevin Bacon)?
AUSSERIRDISCHE: In rauhen Mengen, schönstem 50'er Jahre Design,
und allesamt computeranimiert - was anfangs etwas irritiert, dann
aber die surreale Comic-Atmosphäre überzeugend vervollkommnet.
SUSPENSE, TERROR & EXCITEMENT: sowieso - ich meine,
AUSSERIRDISCHE BEDROHEN DIE WELT!!! Was wollen Sie noch mehr?
Brennende Kuhherden? Chihuahas mit Frauenköpfen? Jodelnde Cowboys?
Na sehen Sie, das gibt's alles auch!
SEX & ROMANCE: Na gut, hier könnte es ein bißchen mehr sein -
aber immerhin gibt es Burtons Lebensgefährtin Lisa Marie als
Marsianer in höchst verführerischer Verkleidung - va va va voom!
Was der Film definitiv nicht hat, ist hingegen
RESPEKT: Tim Burton hat einen Heidenspaß daran, auf allem
herumzutrampeln, was dem guten Amerikaner hoch und heilig sein
sollte. Die Flagge wird verbrannt, die Führer der Nation sind
allesamt Hohlköpfe, Geld, Macht und Patriotismus zählen einen
feuchten Kehricht, wenn's ums Überleben geht, Hunde werden
dahingemetzelt (ja, wirklich! In einem Hollywood-Film!!!), und am
Schluß steht eine Gruppe mexikanischer Mariachi in den Ruinen
Washingtons und spielt die Nationalhymne.
Und noch besser: Burton macht auch nicht vor den Gesetzen des
Starsystems halt. Lang ist's her, daß jemand sich mit solch
offensichtlicher Freude solch unwürdige Schicksale für große Namen
Hollywoods ersonnen hat.
Aber so zynisch MARS ATTACKS! sein kann, hat er doch auch ein
HERZ: Und zwar, wie immer bei Tim Burton, für die Außenseiter,
die Vergessenen, Verstoßenen und Verdrängten. Die Sympathieträger
und Gewinner des Films sind diejenigen, die in jedem anderen Film
sofort als stereotype Loser zu erkennen wären und im Bestfall am
Ende den großen, weißen Helden dafür anhimmeln dürften, daß er ihr
unbedeutendes Leben gerettet hat.
Ganz besonders schön für Cineasten ist dabei, daß auch Sylvia
Sidney als Grandma mithelfen darf, die Welt zu retten; eine
Schauspielerin, die schon seit 70 Jahren im Filmgeschäft ist und
unter Regisseuren wie Hitchcock, von Sternberg und Fritz Lang
gespielt hat.
Und schließlich, so kindlich, bizarr und überdreht der Film an
der Oberfläche ist, hat er doch auch
HIRN: und zwar nicht nur in Form der Riesen-Zerebren der Aliens.
Bei allem Klamauk und allem bunten Spaß scheint mir doch auch immer
wieder ein Subtext aufzuleuchten, in dem es auf gar nicht naive Art
um unseren Umgang mit dem Fremden und mit der Vergangenheit geht.
("Cahiers du Cinéma", anyone? O.K., ich hör auf, bevor jemand
den Intellektuellen-Alarm auslöst.)
Tim Burton ist es hervorragend gelungen, die Begeisterung, die
die alten Invasion-aus-dem-Weltall-B-Pictures in jungen Jahren bei
ihm ausgelöst haben, in dieser ironischen Hommage wiederzuerwecken.
Im Gegensatz zu einem gewissen anderen, großen "Die Aliens greifen
an!"-Film der letzten Zeit, dessen einziges Verdienst es war,
ähnliches zu vollbringen, muss man aber bei MARS ATTACKS! nicht sein Hirn an der Kinokasse
abgeben, um Spaß zu haben. MARS ATTACKS! ist glücklicherweise
freiwillig komisch, und darüberhinaus noch intelligent genug, um
seine Nostalgie und sein Retro-Design reflektiert einzusetzen,
anstatt nur den Eindruck zu erwecken, seiner Zeit ein paar
Jahrzehnte hintennach zu sein.
Dass ein großes Hollywood-Studio dafür $70 Mio. ausgegeben hat,
ist ein kleines Wunder. Dass der Film in Amerika ein kommerzieller
Misserfolg war, braucht hingegen nicht zu verwundern. Sorgen wir
dafür, dass diesem poppigen Meisterwerk wenigstens in Europa
Gerechtigkeit widerfährt und schauen wir ihn uns alle wenigstens
fünf mal an.
Ich geh' dann schon mal vor.
Thomas Willmann
Diese Kritik ist zuerst erschienen bei:
Mars Attacks!
USA 1996 - 102 Minuten -
Regie: Tim Burton
Kamera: Peter Suschitzky
Drehbuch: Jonathan Gems
Besetzung: Jack Nicholson, Glenn Close, Annette Bening, Pierce Brosnan
u.a.