Matrix
Der zitierende, variierende, anspielungsreiche Umgang mit den
Traditionen von Genres hat seine inhärenten Schwierigkeiten. Dass er
sich kaum vermeiden läßt, nur mehr oder weniger bewusst, reflexiv und
originell im Umgang mit dem Material vorgehen kann, ist bloße
Voraussetzung, noch nicht das eigentliche Problem. Längst findet eine
große, wenn nicht die Mehrzahl der Anspielungen nur im Kopf des
Zuschauers statt, als nicht mehr kontrollierbarer Kenntnis- und
Assoziationsüberschuss, auch damit gilt es umzugehen. Die Gefahr, der
es zu begegnen gilt, mit der umgegangen werden muss, ist, daß die
Rezeption eines Films aus Filmen/Büchern, die vorangingen, auf die
zitierend oder kopierend oder blind repetierend angespielt wird, droht,
vom Funktionieren der Narration abgelenkt zu werden - ins
Auskennerische, ins Vergleichen, in die Reflexion. Anders als für alle
Ecken der Kunst, in denen eine naive Rezeptionshaltung a priori perdu
und nicht angestrebt ist, ist dies für den klassischen Hollywood-
Erzählfilm eine echte Gefahr, deren in ihrer Hybridität reinste
Verkörperung Schwarzeneggers 'Last Action Hero' darstellt, ein Flop
beim Publikum wie bei der Kritik. Die mythologisch, genre-historisch,
intertextuell hochkomplexen Komposit-Monster, die die besten
Blockbuster heute sind und (vielleicht) sein müssen, haben zusätzlich,
im Auftrag ihrer Majestät des Massenpublikums, noch zu funktionieren
als Identifikationsapparate. Das schlägt zurück auf ihre
Konstruktionen, ihre Helden, ihre Durchschaubarkeit wenigstens auf der
Ebene des plots. Philosophische Erklärungen (um nun etwas konkreter auf
THE MATRIX zu kommen) sind so nicht als sie selbst zu nehmen, sondern
als Haltepunkte, an denen entlang sich das Verstehen eines solchen
Films, nun aber, wenn man so will, unterkomplex, entlanghangelt. Der
Dispersion des Sinns wird narrativ Einhalt geboten. (Das ist immer so,
bei allem Erzählen, aber je höher die Anspielungs- und Reflexionsebene,
desto schwindelerregender die Reduktion.)
THE MATRIX spart nicht mit Zitaten aus der Geschichte des SF-Films,
der SF-Literatur (Philip K. Dick, Bladerunner, William Gibson, Dark
City, um nur ein paar, auffällige, zu nennen) - und dennoch ist beim
Übereinanderkopieren des heterogenen, wenigstens vielfältigen Materials ein Film eigenen Rechts
entstanden, ein Film, der die Potentiale seiner Verweisungen zu
bändigen versteht. Dies gelingt nicht zuletzt durch die ausdauernd
aufmerksamkeitsheischende Komplizierung der Narration, nämlich die
Auffaltung in verschiedene Realitätsebenen. Die zunächst etablierte
(Film)Wirklichkeit ist die so ungefähr unserer Gegenwart; ihre
Entlarvung als Fiktion oder Illusion, als komplette Täuschung und tota
allegoria, geht Schritt für Schritt und (wie stets auch z.B. bei Philip
K. Dick) am Leitfaden eines Helden vonstatten, an einer Bruchstelle,
die dieser Held ist als Go-Between zwischen dieser Welt und einer
anderen. Das theologische, gnostische Muster einer demiurgisch
geschaffenen Welt der Täuschung wird angespielt und der Held dadurch
zur Erlöserfigur, NEO, oder auch (in anagrammatischer Wahrheit) THE
ONE, erkannt und erkoren, in Umkehrung der Vorlage, von seinen
zukünftigen Jüngern.
Die special-effects-Wunder, die der Film aufbietet, sind auf der Ebene
der Erzählung wirkliche Wunder, magische momentane Suspension der
Gesetze der Wirklichkeit, die als nicht eigentliche zugleich Allegorie
filmischer Illusionsbildung ist. Der Clou, mit dem diese Fiktionswelt
mehr bleibt als bloßer Schein (der Clou auch von Cronenbergs verwandtem
eXistenZ), ist ihre potentielle Tödlichkeit, der Ernst steter
wirklicher Gefährdung.der Existenz auch in der als eigentlicher
etablierten Realität. Die Aufspaltung erfährt so ihre Rück-Verankerung.
Verbunden sind die zwei Welten auf passend material-substantielle Art:
von der einen zur anderen gelangt man per Telefonverbindung (im
merkwürdigen Rückfall ins auch klingelnd-klanglich Analoge; Rückbindung
an ein Festnetz - da Handies nicht funktionieren; zugleich seltsames
Stalker-Zitat), der Übergang in die Täuschungswelt digitalen
Datenscheins bedeutet Stillstellung des anderen Selbst, seine
Wehrlosigkeit, mit der zugleich Identität der Person in der Aufspaltung
der Welten gewährleistet bleibt.
Der interessanteste (weil unauflösbar paradoxe) Verknüpfungspunkt ist
eine wieder typische Philip-K.-Dick-Figur, das Orakel in äußerst
hausfraulich-konkreter Gestalt. Ihr Ort ist (wenn auch auf rätselhafte
Weise unzugänglich, an erhöhter Stelle) die Täuschungs-Wirklichkeit,
die Wahrheit ihrer Prophezeiung liegt in einem intrikaten Verhältnis
von Konstativität und Performativität. Die Digitalität (also
Eindeutigkeit) erzeugt ihre Rätsel auf denkbar konkrete Weise, zudem
erst in Interaktion mit ihrer Interpretation. Weil NEO ihr glaubt,
erweist er die Prophezeiung als falsch. Zugleich lernt er, den Glauben
ans Literale der Fiktion (und hier, in diesem Film, kommen Fiktion,
Simulation, Illusion, Allegorie aus Gründen der Konstruktion wirklich
in eins) aufzugeben und mit dieser Aufgabe diese Welt zu transzendieren
oder zu hintergehen. Darin liegt freilich eine ungeheure
Verführungskraft. Denn pfeift man auf den Literalsinn, der hier als
Zweifel am Fleisch schlüssiges erzählerisches Moment wird, ist diese
Welt der Fiktion ein grandioser Ort des Abenteuers, der Möglichkeit
magischen Eingreifens, der Aufhebung des Realitätsprinzips. Am Ende ist
DIE MATRIX die wirkliche Welt, die einzig erstrebenswerte, deren
Regulationen, das Verbot des Lustprinzips, genrekonform Gestalt
geworden sind als Agenten. Ohne die Agenten aber, und das ist noch eine
kluge Einsicht des Films, würde Befreiung, auf unserer demiurgisch
geschaffenen Täuschungs-Welt, überhaupt keinen Sinn machen.
Ekkehard Knörer
Diese Kritik ist zuerst erschienen bei:
Zu diesem Film liegen im archiv
Larry und Andy Wachowski: The Matrix (USA 1999)
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