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McCabe
& Mrs. Miller
Inhalt:
In
der sich gerade im Aufbau befindlichen Stadt Presbyterian Church im Nordwesten
Amerikas kommt mit John McCabe ein Fremder daher, um eine geschäftliche
Existenz zu gründen. Die vorwiegend von Minenarbeitern besiedelte Kleinstadt
bietet für ihn eine ideale Basis für ein florierendes Geschäft
mit Pokerspielen, Drinks und Prostitution. Als eines Tages die charismatische
Hure Constance Miller in der Stadt auftaucht, bietet sie McCabe an, sein Gewerbe
mit der Prostitution auszuweiten; ein größeres, professionelleres
und anziehendes Bordell zu errichten. Er willigt ein und gewährt ihr fortan
einen Anteil an seinen Einnahmen. Als jedoch zwei Geschäftsleute im Auftrag
eines großen Firma McCabes gesamtes Unternehmen aufkaufen wollen, hat
dessen Ablehnung gravierende Konsequenzen.
Kritik:
Fast
scheint es, als sei in den ersten Bildern und Eindrücken von McCabe
& Mrs. Miller
schon alles definiert, als wäre bereits alles vorweggenommen, verraten
und deutlich gemacht: Ein Fremder reitet in gebückter Haltung über
einen schlammigen Weg, hinein in eine Baulandschaft, die einmal eine kleine
Stadt werden soll. Ein pelzartiger Mantel und sein Hut schützen ihn vor
dem ununterbrochen niederprasselnden Regen und Schnee, als er ankommt in dieser
abweisend wirkenden Atmosphäre des Halbfertigen. Im Hintergrund hören
wir fast nichts, nur Leonard Cohens "The Stranger Song", der, obwohl
früher entstanden, wie maßgeschneidert wirkt für die Geschichte,
die uns erwartet. Wenn
er uns von einem Fremden erzählt, den wir natürlich sofort mit dem
Namenlosen in den Bildern in Verbindung bringen: "You hate to watch another
tired man, lay down his hand, like he was giving up the holy game of Poker,
and while he talks his dreams to sleep you notice there's a highway, that is
curling up like smoke above his shoulder." Cohens
lyrische Worte verdeutlichen uns, was wir schon erahnen: Dieser Held dort ist
nicht John Wayne und auch nicht Henry Fonda oder Clint Eastwood. Genauso wenig,
wie wir uns in einem John-Ford-Film befinden.
Robert
Altmans McCabe
& Mrs. Miller
ist eines der großen Meisterwerke amerikanischer Filmkunst und einer der
herausragenden Filme der Siebzigerjahre. Er ist ein Filmgedicht klagender Art,
durchsetzt von tiefer, aber unterdrückter Sehnsucht - nach Liebe und Tod
gleichermaßen. Ebenso, wie wir nicht die einsamen Helden und Einzelkämpfer
klassischer Westernmythen erleben, finden wir auch nirgends die uns so bekannten
gestalterischen Muster jenes Genres vor: Keine Ritte in den Sonnenuntergang,
keine endlosen Prärielandschaften, keine anmutigen, stolzen Verführerinnen
des Helden, keine großen Männerfreundschaften und redselige Lagerfeuerromantik.
Vielmehr beherrschen weitgehend gerodete, wie unheimlich beobachtend wirkende
Wälder die Szenerie, bilden unvollendete Hütten das Stadtbild, ebenso
wie Huren, Arme, Versager und Glücksuchende. Wie ein alles verstecken wollender
Schleier legt sich ein immerwährender Regen, häufig gepaart mit Schnee,
über den Ort. Unter ihm gehen sie einher, die Ritter zur traurigen Gestalt,
die ihre Träume schon beerdigt haben, noch bevor sie geboren sind. Nur
einer kommt daher, der noch etwas Großes vorzuhaben scheint. Einer, der
sich nur kurz als Geschäftsmann ausgibt, und über den wir nicht wissen,
von woher es ihn in diese Gegend gezogen hat, während wir über seine
Vergangenheit lediglich unglaubwürdige Gerüchte hören: John McCabe
setzt sich bloß ohne große Worte an einen Tisch in Sheehans Saloon
und eröffnet mit einigen Hinzugekommenen ein Pokerspiel. Und wieder kommt
er uns in den Kopf, der eben erst zu Ende gegangene "Stranger Song":
"Like any dealer he was watching for the card, that is so high and wild,
he'll never need to deal another."
Als
seien sie aus dem tiefsten Innern von McCabes Seele erstanden, werden Cohens
Zeilen erneut zur über die Grenzen des Dinglichen hinausgehenden Beschreibung
dieses Mannes: John McCabe ist kein Held, sondern nur jemand, der seine Hand
nach etwas ausstreckt, um es zu greifen und an sich zu binden. Dabei erscheint
er uns zwar als charismatischer und durchsetzungsfähiger, jedoch auch naiver
Träumer. Recht unauffällig ist er, mit Augen, die cleverer und kalkulierender
wirken, als das, was dahinter ist. Seinen runden Hut nimmt er fast nie ab, Gespräche
führt er ohne jedes überflüssige Wort, prägnant und einfach
ist er. Leichte Ironie schwebt immer über seinen Sätzen, wenn er spricht,
und stets verdeutlicht er ohne Umschweife, was er will. Bescheidenheit ist ihm
dabei fremd, er folgt seinen Träumen bedingungslos; will erreichen, was
all diese einfach gestrickten, bedeutungslos wirkenden Figuren in Presbyterian
Church nie schafften, und vielleicht auch nie wollten. McCabe ist jenseits aller
Wild-West-Mythen: Ein einfacher Mann, ohne herausragende Intelligenz, ohne große
Visionen von Anstand und Ehre, dessen wichtigste Gedanken sich selbst und seinem
Profit gelten. Jedoch ergibt es sich auf unergründbaren Wegen, dass ihm
schon fast von Anfang an ein Gerücht, quasi ein urklassischer Westernmythos,
nachgesagt wird: Einen gewissen Bill Roundtree soll er einmal erschossen haben,
ein vortrefflicher Schütze gar sein. Und mehr und mehr stellen wir fest,
dass John McCabe in eine Richtung gedrängt wird, die den weiteren Verlauf
der Handlung wie in einer griechischen Tragödie vorherzubestimmen scheint.
Dabei
sieht McCabes Glücksplan doch so simpel aus: Er gibt den Minenarbeitern
in Presbyterian Church das, was sie außer der Arbeit beschäftigt
- Pokerspiel und Frauen. Er errichtet einen Spielsaloon und lässt unterdessen
drei Huren, die er in einem benachbarten Dorf aufgegriffen hat, in Zelten nahe
der Baustelle für sich arbeiten. Fast scheint so etwas wie Ordnung in McCabes
Leben eingekehrt zu sein, als Constance Miller in der Stadt ankommt. Sie ist
eine bereits leicht in die Jahre gekommene Nobelprostituierte. Frech ist sie,
und ohne jede Illusion. Eine kluge Geschäftsfrau, für die es keine
Träume mehr gibt. Eine, die rational denkt. In der strikten Geschäftswelt
von Mrs. Miller beherrschen nur "machbar" und "keineswegs machbar"
den Antwortenindex für ein Angebot, während bei McCabe lediglich "machbar"
und "versuchenswert" existieren. Sie ist die Organisatorin, er der
Spieler. Mrs. Miller offeriert McCabe einen Plan, mit dem sich seine Profite
schnell vergrößern könnten: Sie hilft ihm bei der Gründung
eines vornehmen Bordells. Einem mit hochklassigen Prostituierten, ordentlicher
Hygiene (jeder Besucher muss zuvor ein Bad nehmen) und einem ansehnlichen Interieur.
Als sie ihm bei einem Essen in einer ihn fraglos intellektuell überfordernden
Art klarmacht, wo überall die Vorteile bei ihrem Konzept lägen, und
ihm im Prinzip verdeutlicht, wie wenig Ahnung er eigentlich vom Geschäft
hat, willigt McCabe ohne großes Überlegen ein. Mrs. Miller beschafft
daraufhin zahlreiche Huren aus der Großstadt und ihr gemeinsames Geschäft
mit John McCabe beginnt. Und es beginnt gut, floriert quasi. McCabe wird schnell
zu einem der angesehensten Bürger der Stadt, während Mrs. Miller im
Hintergrund alle Fäden zieht. Eine rein geschäftliche Beziehung besteht
lediglich zwischen den beiden. So geschäftlich jedenfalls, wie sie in diesem
Metier sein kann: McCabe und Mrs. Miller schlafen miteinander, aber er bezahlt
sie dafür. Nur höchst selten fallen einmal Worte der Zärtlichkeit,
nie erhält der Zuschauer so etwas wie einen Eindruck von Liebe zwischen
ihnen. Erst als zwei Kaufleute an McCabes Bordell anklopfen, mit dem Angebot,
ihm sein gesamtes "Imperium" für 5.500 Dollar abzukaufen, intensiviert
Robert Altman die Darstellung des Verhältnisses zwischen dem Spieler und
der Hure. Denn der Spieler spielt und spricht den Händlern gegenüber
seine Vorstellungen von einem akzeptablen Kaufpreis aus: "14.000 oder 15.000
Dollar", in der Hoffnung, die zwei Herren kommen zurück mit einem
besseren Angebot (McCabe hält in Wirklichkeit eine Summe im Bereich von
8.000 Dollar für anstrebenswert). Hier ist nun die Karte, die so hoch sein
soll, dass der Spieler nie wieder eine andere auszuspielen muss. Die Zeile aus
Cohens "The Stranger Song" erfährt an dieser Stelle ihre Umsetzung.
McCabe denkt, einen brillanten Schachzug getan zu haben, sieht die Chance seines
Lebens; Mrs. Miller fühlt bereits den Untergang, erklärt McCabe, dass
er unbedingt verschwinden müsse, wenn ihm sein Leben etwas wert sei. Als
dann auch statt der Händler mit einem neuen Angebot drei Auftragsmörder
in die Stadt kommen, setzt dieser Untergang unaufhaltsam ein. Leise, fast beiläufig.
Es
sind jene Szenen am Vorabend von McCabes Todesgang, in denen McCabe
& Mrs. Miller
seine ganze Größe entfaltet, in denen er zu einem der poetischsten,
schönsten und zugleich schmerzhaftesten Filme seiner Zeit wird. In einer
unendlich traurigen Sequenz sehen wir McCabe, wie er wenige Tage vor dem Aufeinandertreffen
mit den Mördern seine Waffen anlegt und quasi zu einem Satz gezwungen wird,
wie er fast von einem John Wayne hätte gesagt werden können: "Immer
stehe ich wie der Idiot da. Jetzt werden wir sehen, wer die Idioten sind."
Bei John Wayne wüssten wir, dass ein solcher Satz kämpferisch gemeint
wäre, dass er nach draußen gehen, und die Banditen mit einem findigen
Trick überlisten und erschießen wird. Bei McCabe wissen wir ebenso
genau, dass dies einer seiner letzten Abende ist, dass er getötet werden
wird. Die Worte, die er hervorbringt, werden dadurch immer quälender: Er
versucht seine Gefühle für Constance Miller zu artikulieren, fragt
sich im Monolog, warum sie nicht fähig ist, ohne Geld zu lieben, sagt sich,
dass er Poesie in sich trägt, und nur nicht klug genug sei, sie zu Papier
zu bringen. Als er dann am letzten Abend vor seinem "Duell" noch einmal
bei Mrs. Miller am Bett sitzt, stammelt er einige Worte, die in einem anderen
Film, mit anderen Figuren und unter einer anderen Situation wahrscheinlich "Ich
liebe dich" gewesen wären. Bei Altmans Meisterwerk ist es bloß:
"Ich habe mich niemals einer Person so nah gefühlt" und "Es
tut mir leid". Oh nein, McCabe ist kein Held und Mrs. Miller wird nicht
die Frau an seiner Seite sein, die besorgt zusieht, wenn sich ihr Geliebter
todesmutig duelliert. Vielmehr schaltet sich Rationalität in ihre Liebe
ein und unterdrückt sie. Eine Rationalität, die besagt, dass beide
vor Schmerz umkommen werden, wenn sie jetzt den letzten Schritt auch noch gehen.
Kein stürmisches Küssen also, sondern bloß ein beruhigend wirkendes
Streicheln über McCabes Kopf stellt den einzigen Zärtlichkeitsmoment
dar. Und so verlässt Mrs. Miller noch in derselben Nacht ihr Zimmer und
McCabe und flüchtet sich, weil sie alles Folgende nicht mehr ertragen kann
und will, in einen Opiumrausch.
Am
nächsten Tag dann tritt McCabe vor die Tür. Der Schnee liegt meterhoch
und sein Fallen stellt fast die einzige Geräuschkulisse dar, wenn John
McCabe, der Spieler mit den Träumen, in den Tod geht. Wie eine klassische
Einer-gegen-Alle-Situation mutet diese letzte Sequenz an: Wie das Ende von High
Noon.
Doch noch immer ist John McCabe nicht zu Marschall Will Kane geworden und Constance
Miller nicht zu dessen Amy. Vielmehr wirkt McCabe wie eine Karikatur jedes Klischees,
passt nicht in die Lage, sollte eigentlich keine Waffen tragen und auch nicht
auf diese Weise sein Leben lassen. Somit liegt denn auch eine gewisse Ironie
über McCabes leisem Abschied, wenn McCabe
& Mrs. Miller
zum Anti-Western wird, und er sich mit einer tiefen Wunde im Bauch noch einige
Meter durch den fast mannshohen Schnee schleppt, um dann aufrecht sitzend zu
sterben. Existentialistisch wirken sie, diese letzten Atemzüge des Films,
wenn Altman uns allein lässt mit einer langen Kamerafahrt auf die Augen
der unbeteiligt und umrauscht in einer Hütte liegenden Mrs. Miller. Mit
ihr und Leonard Cohen: "Travelling lady, stay a while, until the night
is over. I'm just a station on your way, I know I'm not your lover."
Janis
El-Bira
Diese
Kritik ist zuerst erschienen in:
McCabe
& Mrs. Miller
(McCabe
& Mrs. Miller, USA 1971)
Regie:
Robert Altman
Premiere:
24. Juni 1971 (USA)
Drehbuch:
Robert Altman & Brian McKay
Dt.
Start: 10. Dezember 1971
FSK:
ab 16
120
min
Darsteller:
Warren
Beatty (John McCabe), Julie Christie (Constance Miller), Rene Auberjonois (Sheehan),
William Devane (Anwalt), John Schuck (Smalley), Corey Fischer (Mr. Elliot),
Bert Remsen (Bart Coyle), Shelley Duvall (Ida Coyle), Keith Carradine (Cowboy),
Michael Murphy (Sears), Antony Holland (Hollander), Hugh Millais (Butler), Manfred
Schulz (Kid), Jace Van Der Veen (Breed), Jackie Crossland (Lily)
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