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Mein
bester Freund
Mal ist es ein Zufall, der eine Begegnung herbeiführt
(„Die Frau auf der Brücke“, fd 34 221; Das zweite Leben des Monsieur Manesquier“,
fd 37 359), mal handelt es sich um eine Verwechslung von Türen („Intime Fremde“, fd 36 833): Patrice Leconte hat sich zuletzt nicht
sonderlich darum bekümmert, seine Filme konventionell in Gang zu setzen,
handelt es sich doch ohnehin eher um doppelbödige, modellhafte Lehrstücke
als um realistisch-geschlossenes Erzählkino. Auch in „Mein bester Freund“,
getragen von zwei famosen Hauptdarstellern und einem pfiffigen Drehbuch, ist
die Exposition von folgenschwerer Kontingenz, sofern man hier nicht gleich einen
Reflex des Unbewussten walten sieht.
Der professionelle, skrupellose Antiquitätenhändler
François ersteigert bei einer Auktion eine antike griechische Vase für
eine Summe, die seine finanziellen Möglichkeiten weit übersteigt.
Seine Geschäftspartnerin Catherine ist über solchen Leichtsinn verärgert;
sie versteht nicht, was François an der auf der Vase dargestellten Freundschaftsgeschichte
von Archilles und Patroklos so berührt, und fordert ihn mit einer Wette
heraus: Binnen zehn Tagen soll er den Geschäftsfreunden, mit denen er regelmäßig
diniert, seinen besten Freund vorstellen. Ziemlich rasch zeigt eine Reihe komischer
Episoden, dass François, geschieden und ein an seiner Tochter zutiefst
desinteressierter Vater, so vollständig in seinem Berufsleben aufgeht,
dass für Freunde kein Raum bleibt. Zudem scheint er emotional so wenig
entwickelt, dass ihm jeglicher Sinn für Freundschaft fehlt. Insofern stellt
die Ersteigerung der Vase vielleicht tatsächlich eine Art von Protest seines
Unbewussten dar.
Durch einen Zufall lernt François den Taxifahrer
Bruno kennen, der sein genaues Gegenteil zu sein scheint: warmherzig und kontaktfreudig.
Als François diese Fähigkeiten Brunos erkennt, beschließt
er ihn zu beobachten, als wäre Empathie ein Repertoire von Verhaltensweisen,
das man sich antrainieren kann. Tatsächlich birgt die Beziehung zwischen
den beiden den Keim einer wunderbaren Freundschaft, doch verhindert eine Reihe
von Gründen ein schlichtes Happy End als Buddy Movie: François macht
zwar Fortschritte, aber es kommt zu Rückschlägen, wenn er rüde
die Macht des Geldes ausspielt oder am Ende Bruno zu einem Freundschaftsdienst
überredet, der ihm nur dazu verhilft, seine Wette doch noch zu gewinnen.
Enttäuscht geht Bruno auf Distanz zu François, zumal auch seine
Kontaktfreudigkeit nur eine andere Seite der Tristesse seiner vereinsamten Existenz
darstellt: Im Grunde sehnt sich Bruno viel mehr nach Freundschaft als François,
weil er einen Begriff davon hat, was ihm mangelt.
So loten Leconte und sein Drehbuchmitautor Jérôme
Tonnerre zwei unterschiedliche Charakterentwicklungen mit einiger Tiefe aus,
registrieren den Moment, an dem vieles möglich wäre – und lassen ihn
passieren. Eine erneute Annäherung wird durch Brunos Leidenschaft für
Quiz-Shows möglich: François verschafft ihm eine Kandidatur bei
„Wer wird Millionär?“, und ausgerechnet bei der Millionenfrage darf Bruno
(böse Drehbuchpointe!) einen Freund anrufen. Es kommt zur Aussprache, und
ein weiteres Mal zeigt sich die schroffe Qualität des Films, weil man nicht
ausschließen kann, dass François aus verletzter Eitelkeit absichtlich
eine falsche Antwort geben könnte. Dass hier längst tatsächlich
ein kleines Wunder geschehen ist, zeigt sich im Epilog, als sich François
und Bruno erneut in einem Restaurant begegnen – wie alte Freunde, die sich länger
nicht gesehen haben, aber darauf brennen, einander aus ihrem Leben zu berichten.
Ulrich Kriest
Dieser Text ist zuerst erschienen
in: film-Dienst
Mein
bester Freund
Frankreich
2006 - Originaltitel: Mon meilleur ami - Regie: Patrice Leconte - Darsteller:
Daniel Auteuil, Dany Boon, Julie Gayet, Julie Durand, Jacques Mathou, Marie
Pillet, Elisabeth Bourgine, Henri Garcin - FSK: ohne Altersbeschränkung
- Länge: 94 min. - Start: 6.12.2007
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